Guardini akut | „Ich versuche einfach, durchzuhalten“

Guardini akut | KW 4/2021

„Ich versuche einfach, durchzuhalten“

Ein Gespräch mit der Krankenschwester Christina Müller über ihre Arbeit auf der Pandemiestation
Von Patricia Löwe

Du arbeitest in einem großen Berliner Krankenhaus. Wie genau sieht Dein Beruf aus?

Ich bin Krankenschwester auf der internistischen und chirurgischen Intensivstation. Dort betreue ich schwerkranke Patient*innen, die häufig in so schlechtem Zustand sind, dass wir alles daransetzen müssen, sie am Leben zu halten.

Und im Augenblick arbeitest Du hauptsächlich auf der Pandemiestation.

Genau. Im letzten Jahr, als Corona in Deutschland angekommen war, wurde im Krankenhaus ein Pandemieplan aufgestellt. Es mussten Intensivplätze für Covidpatient*innen eingerichtet und dafür andere Stationen geschlossen werden. Die Station, auf der ich üblicherweise arbeite, also die gesamte Intensivstation, wurde in eine Pandemiestation umgewandelt. Die Auslastung ist jetzt, während der zweiten Welle, viel höher als während der ersten Welle im Frühjahr 2020. Die Schwestern und Pfleger der Stationen, die jetzt geschlossen sind, helfen auf der Pandemiestation aus.

Wie hat sich Dein Arbeitsalltag durch die Pandemie verändert?

Der psychische und körperliche Stress ist auf jeden Fall viel größer als vorher. Die Patient*innen sind schwerer krank, als wir das gewohnt sind. Eigentlich alle haben Vorerkrankungen; das bedeutet, sie haben viele Zu- und Ableitungen am Körper. Zusätzlich sind sie mitunter übergewichtig. Das alles zusammen sorgt dafür, dass es sehr schwer ist, diese Menschen beispielsweise in Bauchlage zu bringen. Das ist eine Maßnahme, um die Lunge, die bei Coviderkrankten schwer betroffen ist, besser zu belüften. Der Zustand der Patient*innen, die wir betreuen, verschlechtert sich oft sehr schnell. Wenn sie eingeliefert werden, haben sie in der Regel „nur“ eine verschlechterte Atmung; kurze Zeit später müssen einige beatmet werden, es kann zu Multiorganversagen kommen.

Die stationspflichtigen Covidpatient*innen, also diejenigen, die so schwer krank sind, dass wir sie nicht nach Hause schicken können, werden in der Regel über die Notaufnahme aufgenommen, dann abgestrichen und bekommen schließlich eine Computertomographie (CT). Diese Untersuchung ermöglicht den Ärzt*innen zu sehen, ob die Lunge stark betroffen ist; das ist immer ein wichtiger Hinweis auf eine Infektion mit dem Coronavirus, selbst bei leichten Verläufen. Die Patient*innen, deren Zustand besonders bedenklich ist und die mit hoher Wahrscheinlichkeit intubiert werden müssen, kommen sofort auf die Intensivstation und werden überwacht. Bei einer Intubation wird ein Schlauch in die Luftröhre eingeführt, sodass künstlich beatmet werden kann. Mit einer Intubation müssen wir rechnen, sobald die Sauerstoffsättigung im Blut unter 90 % sinkt, die Laborwerte schlecht ohne Tendenz zur Besserung sind und wir alle anderen Beatmungsmöglichkeiten ausgeschöpft haben. Gesunde Menschen haben je nach Alter eine Sauerstoffsättigung zwischen 92 bis 100 %.

Erlebst Du häufig, dass Patient*innen auf der Pandemiestation sterben?

Ja. Nach meiner Erfahrung haben Coviderkrankte, die intubiert werden müssen, eine ungefähr fünfzigprozentige Überlebenschance.

Hast Du dich freiwillig für die Arbeit auf der Pandemiestation gemeldet?

Diese Möglichkeit gab es nicht. Das Intensivpflegepersonal wird auf der Pandemiestation gebraucht. Wir müssen da durch, da haben wir keine Wahl. Ausgenommen sind diejenigen, die zum Beispiel Lungenerkrankungen haben, also im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben.

Hat Dir diese neue Aufgabe Angst gemacht?

Nein, eigentlich nicht. Wir sind sehr gut geschützt. Wir tragen während der gesamten Zeit auf der Station einen Schutzkittel, Maske, Häubchen, Schutzbrille, Handschuhe, sogar die Schuhe sind desinfizierbar. Stressig war vor allem der Beginn der Pandemie. Natürlich haben wir uns große Sorgen über die zu erwartende Anzahl schwerkranker Patient*innen gemacht. Es war alles ein ziemliches Durcheinander, als wir begonnen haben, den Pandemieplan umzusetzen. Aber das ist eben meine Arbeit; vor der fürchte ich mich nicht. Ich versuche, nicht zu viel darüber nachzudenken, sondern mich einfach darum zu kümmern, dass meine Patient*innen gut versorgt sind. In den ersten Monaten war ich nach der Arbeit oft sehr müde und belastet. Aber inzwischen habe ich mich an den Stress gewöhnt.

Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Ärzt*innen aus?

Das Pflegepersonal, das sich den ganzen Tag über um die Erkrankten kümmert, wird in viele Entscheidungen miteinbezogen. Wir kennen die Patient*innen und führen häufig unterstützende, seelsorgerische Gespräche mit den Angehörigen. Damit tragen wir eine große Verantwortung für viele Menschenleben. Ich persönlich bin aber sehr froh, dass ich die medizinischen Entscheidungen nicht treffen muss.

Wie gestaltet sich der Kontakt zu Angehörigen? Derzeit herrscht ja fast überall Besuchsverbot…

Telefonisch! Das hat für uns auch seine Vorteile. Besucher*innen und Angehörige brauchen meist mehr Seelsorge als die Patient*innen selbst. Dafür ist oft nicht genug Zeit. Diese Betreuungsaufgabe fällt im Augenblick weg, dafür rufen manche Angehörige mehrmals am Tag an. Ich kann das gut verstehen, sie machen sich Sorgen um ihre Lieben.

Wie hoch ist die Auslastung der Pandemiestation zurzeit?

Die Auslastung stagniert seit etwa drei Wochen. Wir haben noch freie Betten. Im Dezember und über Weihnachten war es sehr stressig. Viele meiner Kolleg*innen sind ausgefallen, weil sie selbst in Quarantäne mussten oder einfach überlastet waren. Im Augenblick haben wir aber eine Menge „normaler“ Intensivpatient*innen. Sehr viele Betten wurden für Menschen mit einer Coronainfektion reserviert. Die Intensivpatient*innen, die andere Erkrankungen haben, werden deshalb oft zwischen den Krankenhäusern hin und her verschoben, weil es keine Plätze für sie gibt.

In Deutschland werden seit Anfang Januar Menschen gegen Corona geimpft. Man liest immer wieder, dass gerade medizinisches Personal skeptisch gegenüber der Impfung sei. Wie erlebst Du das bei Deinen Kolleg*innen?

Alle Kolleg*innen, mit denen ich gesprochen habe, stehen zur Impfung wie ich selbst: Am liebsten würden wir noch ein bisschen warten, bis es mehr Langzeitstudien gibt. Aber Covid-19 ist eine schwere Erkrankung. Deshalb werden wir uns trotzdem sofort impfen lassen, wenn wir die Möglichkeit dazu haben. Im Augenblick wird jede Mitarbeiterin bzw. jeder Mitarbeiter gefragt, ob er oder sie geimpft werden möchte und es werden nach dem Impfplan Termine vergeben.

Zum Schluss: Macht es dich wütend, von den vielen Coronaleugner*innen zu hören und zu lesen?

Sicher! Aber ich versuche, nicht darüber nachzudenken, weil mich das viel Kraft kosten würde, die ich für meine Arbeit brauche. Ich versuche einfach, durchzuhalten.


 

 

Christina Müller arbeitet in einem großen Berliner Krankenhaus als Krankenschwester auf der chirurgischen und internistischen Intensivstation. Zurzeit übernimmt sie meistens Schichten auf der 2020 eingerichteten Pandemiestation. Ihre Ausbildung hat sie in Freital bei Dresden absolviert; seit 2019 lebt sie in Berlin.

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