Projekt „Stadt und Religion“
Rückblick | Exkursionsreihe „Ortsbekenntnis – Bekenntnisorte“ 4/6
Die vierte Staffel unserer Exkursionsreihe führte uns in die Synagoge am Fraenkelufer, die griechisch-orthodoxe Kirchengemeinde Christi Himmelfahrt zu Berlin und zum interreligiösen Projekt „House of One“. Jede Gemeinde, jede Gemeinschaft und jedes religiöse Projekt, das wir im Rahmen der Reihe entdecken, eröffnet neue Perspektiven auf das religiöse Spektrum in Berlin.
26. Oktober 2019 | Wiederaufbau und Weiteraufbau. Die Synagoge am Fraenkelufer
2018 hat sich auf Initiative des SPD-Abgeordneten (im Berliner Abgeordnetenhaus) Raed Saleh ein Kuratorium gegründet, das nun den vollständigen Wiederaufbau der Synagoge am Fraenkelufer betreibt, die Ziel der ersten Exkursion der aktuellen Staffel gewesen ist. Durch die Synagoge führten Tanja Berg und Jonathan Marcus, die zugleich die beiden Trägervereine der Synagogengemeinde repräsentieren. Die Freunde der Synagoge Fraenkelufer e. V. sind ein Zusammenschluss ehrenamtlicher Beter, die sich um alle Belange der Beterschaft kümmern. Der Verein Jüdisches Zentrum der Synagoge Fraenkelufer e. V. betreibt nicht nur den Wiederaufbau, sondern möchte auch ein jüdisches Zentrum am Standort der Synagoge einrichten. Die Beterschaft ist durch und durch demokratisch organisiert; alle wichtigen Fragen – auch die theologischen – werden gemeinsam entschieden. Einen festen Rabbiner gibt es nicht. Trotzdem handelt es sich um eine Synagoge traditionell-konservativer Ausrichtung. Fragen gab es aber nicht nur zur jüdischen Tradition und zum aktuellen Gemeindeleben, diskutiert wurde auch die Bedeutung der Unterstützung von Religionsgemeinschaften, insbesondere jüdischen, durch Staat und Politik. Dazu gab der Religionswissenschaftler und ehemalige Bundestagsabgeordnete Volker Beck Auskunft. Religionsgemeinschaften, so Beck, übernehmen soziale und integrative Aufgaben, die der Staat selbst gar nicht leisten kann. Deshalb ist es nicht nur wichtig, sondern sogar notwendig, sie in ihren Belangen zu unterstützen und ihnen falls nötig auch Schutz zu gewähren.
2. November 2019 | „Kleine Heimat“. Die griechisch-orthodoxe Kirchengemeinde Christi Himmelfahrt zu Berlin
Griechinnen und Griechen kamen nicht erst als Gastarbeiter in den 1960er-Jahren nach Berlin. Pfarrer Emmanuel Sfiatkos, Archimandrit des Ökumenischen Patriarchats verwies in seiner Einführung auf das Jahr 1797. Der preußische König Friedrich II. hatte damals beim osmanischen Reich um die Entsendung eines griechischen Bischofs ersucht, der seine Landsleute in einer eigenen Gemeinde seelsorgerisch betreuen sollte. Sfiatkos hat heute mit ganz anderen Dimensionen von Zuzügen aus Griechenland zu tun – mit den Folgen des Brain drains. Er betreut um die 14.000 Griechinnen und Griechen allein in Berlin, mit dem Brandenburger Umland sind es 25.000. In der ruhig gelegenen Mittelstraße in Steglitz ist die 1976 erbaute griechisch-orthodoxe Kirche Anlaufstelle für die Gläubigen. Der Einführung schloss sich ein Gespräch zwischen dem Gastgeber, der protestantischen Pfarrerin Dr. Cornelia Kulawik und dem früheren Bezirksbürgermeister Norbert Kopp an. Der ehemalige Baustadtrat, der auch im katholischen Kirchengemeinderat aktiv ist, verdeutlichte die intensive Zusammenarbeit zwischen dem Bezirk und der Kirche. Pfarrerin Cornelia Kulawik von der Evangelischen Kirchengemeinde in Dahlem ging mit der griechisch-orthodoxen Gemeinde eine ökumenische Kooperation ein. Die gemeinsamen Gebete und Gottesdienste sollen die Unterschiede beider christlicher Konfessionen nicht negieren, sondern in einem fruchtbaren Dialog zusammenführen. Im Rahmen einer Studienreise nach Kreta kam es zu einem ergiebigen Stoffwechsel zwischen der bilderreichen griechischen Orthodoxie und der Geistigkeit des Protestantismus.
23. November 2019 | Ein Ort für einen Gott? Das Projekt „House of One“
Nathan der Weise in Berlin? Auf den Fundamenten der Petrikirche, einer der ersten Kirchen des alten Berlins, entsteht ein ganz besonderes Sakralgebäude, in dem Juden, Christen und Muslime in ihren je eigenen Räumen Gottesdienste feiern und in einem einzigen Versammlungsraum miteinander lernen und in Dialog treten können. Zahlreiche Exkursionsteilnehmer fanden sich an der Baustelle ein. In der Marienkirche am Alexanderplatz wurde das Vorhaben von Imam Osman Oers und dem evangelischen Pfarrer Roland Stolte erläutert. Beide gehören zu den leitenden Mitarbeitern des Projekts. Die Idee, ein Gebäude für drei Religionen zu errichten, entwickelt sich, so Stolte, zu einem Exportschlager; es gibt Anfragen aus der ganzen Welt zur Übernahme des Berliner Modells; in Kenia wird es in den kommenden Jahren realisiert. Anhand der Baupläne von „Lessings Ringparabel in Architekturform“ erklärten die Referenten die zukünftige Nutzung des Gebäudes in der Planungsphase. Um den liturgischen Bedürfnissen einerseits und den zu erwartenden Besucherströmen andrerseits gerecht zu werden, wird das Baukonzept noch modifiziert werden müssen. Auch die Formen des interreligiösen Miteinanders müssen noch erarbeitet werden. Fest steht, dass das „House of One“ als Friedensprojekt nach außen strahlen soll. Die Baukosten des Gebäudes sind auf 43,5 Millionen Euro beziffert; zwei Drittel zahlen Bund und Land, das letzte Drittel muss durch Crowdfunding eingeworben werden. Natürlich melden sich nicht nur Befürworter zu Wort; insbesondere viele muslimische Dachverbände und Moscheevereine lehnen das Vorhaben ab. Lediglich ein 100 Mitglieder starker Verein der von der türkischen Regierung bekämpften Gülen-Bewegung konnte als Träger gewonnen werden. Zur Sprache kam auch das mögliche Missverständnis, das mit dem Begriff „House of One“ aufkommen könnte: Die Unterschiede zwischen den Religionen sollen nicht durch den Hinweis auf ihren gemeinsamen abrahamitischen Ursprung negiert werden. Das Ziel des Projekts ist vielmehr gelebte Vielfalt.