Guardini akut | Für ein kreatives Ende der Großen Pause

Guardini akut | KW 19/2020

Für ein kreatives Ende der Großen Pause

Kinder haben meistens eine Schnoddernase und lecken sich gegenseitig mit Vergnügen ab. Warum wir dennoch über Kita- und Grundschulöffnungen nachdenken sollten und wie dies gelingen kann – dazu inspiriert der Alltag einer Assistenzärztin in der Kinderklinik.
Von Lea Seeber

Als Kinderärztin in der Klinik weiß ich nur allzu gut, dass 4-Jährige „Der Plumpsack geht um“ – ein allseits beliebtes Kindergartenspiel – nicht in einer Zoomkonferenz in ihrem Homeoffice spielen können. Das ist nicht nur für viele Eltern eine Herausforderung, sondern auch ein gesellschaftliches Problem.

Papa geht zur Arbeit und Mama kümmert sich um die Kinder – dass wir in Zeiten von Ad-hoc-Krisen, wie einem kurzfristigen Lockdown, in archaische Muster zurückfallen, mag zwar grundsätzlich betrauernswert sein, ist aber nachvollziehbar. Unsere Toleranz für ausgediente und ungerechte Konzepte sollte jedoch schnell nachlassen – we can do better. Denn während viele Eltern mittlerweile festgestellt haben, dass Homeschooling und Homeoffice zwei sehr schlecht verheiratbare Aufgaben sind, ist es noch problematischer, in einem systemrelevanten Schichtdienst zu arbeiten und parallel Kinder zu beschulen. An diesem Spagat versuchen sich im Augenblick jedoch viele Eltern – vor allem Mütter –, die, stellen wir „überrascht“ fest, auch gesamtgesellschaftlich einen Großteil der „Arbeit mit Menschen“ bewältigen.

Im Klinikalltag habe ich es immer wieder erlebt: Es ist empörend, dass eine Krankenschwester während ihrer Schicht mehrmals zuhause anrufen muss, um ihre Kinder, eins nach dem anderen, ans Telefon zu holen und abzufragen, ob die Geometriehausaufgaben schon erledigt sind – und, nein, PlayStation ist erst erlaubt, wenn eine halbe Stunde Flöte geübt wurde. Der Vater ist übrigens in diesem Szenario zu Hause, ist aber zu schnell überfordert, wenn die Kinder nicht spuren. Klingt nach Klischee, aber wer vorher noch nie Carearbeit übernommen hat, wird nicht plötzlich zum geduldigen und verantwortungsvollen Hausaufgabenkontrollierer. Nicht umsonst sind Lehrer und Kindergärtner speziell ausgebildet und haben Flexibilität und Kreativität als Kernkompetenzen entwickelt – es wäre also verschenktes Potenzial, sie bei der Suche nach Lösungen für Kindergarten- und Schulöffnungen auf der Ersatzbank sitzen zu lassen.

Auch die Kinder selbst werden chronisch unterschätzt. Sei es in ihrer Fähigkeit, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen, sei es beim Finden von eigenen Lösungswegen. In der Medizin nennen wir das Resilienz. Was habe ich einer Krise an Ressourcen entgegenzusetzen? Vorausgesetzt, sie haben ein sicheres und vertrauensvolles Umfeld, meistern Kinder oft Herausforderungen, an denen wir Erwachsenen längst gescheitert wären.

Schon Kindergartenkindern kann erklärt werden, dass Oma und Opa gerade krank werden können, wenn wir ihnen zu nahekommen. Warum wird dann nicht auch gemeinsam gebrainstormt, wie man den Kindergarten sicherer gestalten kann? Natürlich wird ein durchschnittliches Kleinkind dabei auch verbesserungswürdige Vorschläge äußern. So wollten beispielsweise die Sprösslinge einer Kollegin „kleine Fallen bauen und damit den Corona zu Boden werfen“. (Als Ärztin halte ich diese Strategie allerdings für wirksamer als die Injektion von Desinfektionsmittel…)

Aber trotzdem, was wäre alles denkbar? Kitaraumtrennwände aus Plexiglas zum Fingerbemalen? Masken mit coolen Dinos? Wer am wenigsten seine Spiderman-Schminke verwischt (und sich demensprechend am wenigstens ins Gesicht fasst), hat gewonnen? Einfach alles mit Prinzessin Lillifee? (Ja, Prinzessinnen und Feuerwehrautos auf den Wänden unserer Rettungsstelle sind die wahren Helden, wenn es darum geht, Kinder zum Kooperieren zu bewegen.)

Kindergärten und Schulen sind außerdem wichtige Pfeiler des Kinderschutzes.  In ihrer Funktion als Kontrollinstanz sind diese Einrichtungen nicht selten die ersten Melder ans Jugendamt. Schulschließung kann für einige bedeuten, dass die einzige warme Mahlzeit des Tages fehlt. Zudem entlastet schon eine halbtägige Fremdbetreuung die derzeit immens gestressten Eltern – andernfalls reißt der Geduldsfaden nachweislich schneller. Schweren Herzens stellen wir uns in den Kinderschutzambulanzen auf mehr Fälle häuslicher Gewalt ein. Schon jetzt sehen wir eine deutliche Zunahme an Wohnungsunfällen mit Wasserkochern und Herdplatten, weil gelangweilte Kinder und überarbeitete Eltern eine gefährliche Kombination sind.

Gerade weil uns dieses Virus noch lange auf Trab halten wird, ist es an der Zeit, die ersten behelfsmäßigen Lösungen zu überdenken und neue kreative, flexible Formen der Kinderbetreuung und -beschulung zu finden. Dafür müssen wir alle Betroffenen, auch die Kleinsten, ins Boot holen, um von ihren Kompetenzen und ihrer Resilienz zu profitieren.


Lea Seeber verfolgt in einer Berlin Klinik als Assistenzärztin Kinder mit dem Stethoskop. Sie studierte an der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie der Tulane University in New Orleans und promoviert aktuell an der Université de Franche-Comté in Besançon über Impfkommunikation. Neben dem Studium war sie als freie Redakteurin und Übersetzerin tätig.

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