Guardini akut | Nr. 57 | 15. November 2023
Die Tage werden kürzer und dunkler. Das Tageslicht schwindet. Wir stellen Weihnachtsbeleuchtung auf, um die Dunkelheit zurückzudrängen und uns auf das Kommende vorzubereiten.
Licht begegnet uns vielschichtig. Licht ist Quelle des Lebens, es gibt Orientierung und Wärme. Nehmen wir das Licht einer Kerze in die Hand und tragen es weiter, auf dass Wahrheit und Gutes ans Licht komme. Oder mit Romano Guardini: „Du sagst vielleicht: […] [Die Kerze] hat doch keine Seele! Gib du sie ihr! Laß sie zum Ausdruck der deinen werden. Laß vor ihr alle edle Bereitschaft erwachen: Herr, hier bin ich! Dann empfindest du ihr reines Dastehen als Ausdruck deiner eigenen Gesinnung. Laufe deiner Bestimmung nicht weg. Harre aus, frage nicht immer nach Warum und Wozu. Es ist der tiefste Sinn des Lebens, sich in Wahrheit und Liebe für Gott zu verzehren, wie eine Kerze in Licht und Glut.“ (Romano Guardini, Von heiligen Zeichen, Ostfildern 2019, S. 39).
Die 57. Ausgabe unseres Newsletters ist voller Licht und Schatten: Mit der Künstlerin Petra Lottje haben wir über inneres und äußeres Licht gesprochen. Pascale Käser-Huber denkt in ihrer Radiopredigt über herbstliches Sonnenlicht nach. Und auch die aktuelle Ausstellung LUX AETERNA in der Guardini Galerie befasst sich mit manchem, was leuchtet. Schließlich, zur guten Nacht, kommt noch Franz Kafka zu Wort – einst Gast am Anhalter Bahnhof.
Mit Dank an Dr. Maria Teresa Börner für die Mitwirkung am Editorial
„Ich habe noch nie ausprobiert, was passiert, wenn ich nicht zeichne“
Ein Gespräch mit der Künstlerin Petra Lottje vom Profanen, Technischen hin zum inneren Licht
Von Patricia Löwe
Patricia Löwe: Du bist für Deine Zeichnungen bekannt, arbeitest aber auch intensiv mit Video. Welche Bedeutung haben Licht und Schatten für Dich in beiden Medien?
Petra Lottje: Letzte Woche, als Du mich schon für das Interview angefragt hattest, war ich im Zentrum für Kunst und Medien in Frankfurt. Dort war unter anderem Heinz Mack, einer der Gründer der Gruppe ZERO, ausgestellt. Während ich mir seine Werke angesehen habe, dachte ich: Verdammt, was soll ich in einem Interview über Licht erzählen, wenn es Künstler*innen gibt, die sich in dieser Art und Weise damit auseinandergesetzt haben – fluoreszierende Farben, Spiegel, Scheinwerfer, Strahlendes. Ich überlegte kurz, Dir abzusagen.
Wenn ich mit einer Arbeit beginne, denke ich nicht über Licht und Schatten nach. Beim Zeichnen spielen Licht und Schatten erst dann eine Rolle, wenn ich plastisch werden möchte, d. h. wenn ich Cut-Outs vornehme, was ich in letzter Zeit vermehrt auch erst im Ausstellungsraum gemacht habe. Dann ist mir wichtig, wie das Licht fällt und dass es Schatten werfen sollte. Aber ich plane das nicht im Vorfeld, sondern agiere situativ.
Während des Zeichnens selbst spielt Licht für mich tatsächlich überhaupt keine Rolle, weder Sonnenlicht noch Kunstlicht noch Tageslicht.
Bei der Beschäftigung mit Video wird Licht erst dann wichtig, wenn ich mir vorstelle, was bleibt, wenn man den Stecker zieht. Videokunst gibt es nicht ohne Strom. Für Animation ist Schatten natürlich ein wesentliches Zusatzelement, das auch zusätzliche Arbeit bedeutet. Licht kann im Video Dramatik implementieren und es sollte nicht flackern, es sollte nicht mal gelb, mal weiß leuchten etc. Doch an sich schätze ich den intuitiven Umgang, der bei technischen Vorgängen und Umsetzungen zu Schwierigkeiten führen kann, für die ich dann dringend Hilfe brauche.
Als du mich für dieses Interview angefragt hast, dachte ich zuerst sowieso an etwas, das hoffentlich nicht abgedroschen klingt: Licht kann nicht allein von außen kommen, es findet auch im Inneren statt. Ohne das innere Licht, die innere Flamme kann ich nicht arbeiten.
Auf dieses Thema bewegen wir uns zu! Trotzdem noch einmal etwas technischer: Ist es schwieriger, Videokunst auszustellen, weil die Präsentation immer durch „Geräte“ vermittelt ist?
Wenn ich es gut gemacht habe oder wenn ich einen Flow beim Schneiden habe, freue ich mich über das Ergebnis. All das andere, das Aufbereiten der Medien etc. ist nichts, was ich gern tue. Monitor, Wandhalterung, Stativ raussuchen … Diese technischen Dinge entsprechen mir nicht. Ich rahme auch nicht gern oder dokumentiere Zeichnungen. Zeichnen, Schneiden, Cut-Outs an der Wand bearbeiten, all das Kreative, in dem ich versinken kann, liegt mir deutlich mehr. Aber hey, das andere kann ich auch.
Wenn Du ein Video produzierst, hast Du dann eine Vorstellung, auf welchem Endgerät, in welchem Format Dein Publikum es anschaut?
Ja! Mein Film „Mir fehlt nichts“ war von Anfang an für Kurzfilmfestivals gedacht. Er war hoch aufgelöst und ich habe ihn groß gedacht. Es gibt viele kleine Details, die verschwinden, wenn man ihn auf einem Smartphone anschaut. Der Plot muss trotzdem im Kleinen funktionieren und zugleich die Möglichkeit offen halten, im Großen Details entdecken zu können.
2016 bei „Timecode“ war wiederum völlig klar, dass es zwei relativ große, baugleiche Screens geben musste, die vertikal nebeneinander positioniert sind. Eine Installation, bei der framegenaues Abspielen wichtig ist. Im Kino, mit beiden Videoteilen auf der platten Leinwand, funktioniert das nicht so gut.
Bei der Arbeit „Ausnahmezustand“, die auch in der Ausstellung ELEMENTAR zu sehen war, ist der Monitor kleiner. Dieses Video ist nichts für die Leinwand. Es darf nicht überlebensgroß werden, sonst wird es unheimlich.
Die nächste Frage stellt unverkennbar jemand, der nicht zeichnen kann: Deine Zeichnungen bestehen aus wenigen Linien, die sehr intensive und ausdrucksstarke Bilder ergeben. Diese Linien existieren in der Realität gar nicht, die Realität besteht aus Körpern. Wie findest Du diese Linien, die eigentlich nicht existieren?
Das hängt ganz stark mit dem inneren Licht zusammen und ist schwer zu beantworten. Ich kann Dir sagen, wie ich nicht zeichne: Ich gehöre nicht zu den Menschen, die bei der Arbeit sehr lange sitzen. Die Bilder finde ich über eine Art von Energie in mir. Ich weiß dann, wenn ich nicht langsam anfange zu zeichnen, dann platze ich.
Wenn ich an diesem Punkt bin, nehme ich das Material, das mir in diesem Augenblick zur Verfügung steht. Ich habe stapelweise unterschiedlichste Papiere, die wahrlich nicht zu exklusiven Künstler-Papieren zählen, – und darauf zeichne ich auch. Ich mache z. B. 50 Zeichnungen und es kann passieren, dass ich bei der fünfzigsten Version denke: Die ist es! Dann gelingt mir die Zeichnung auf „gutem“ Papier vielleicht nicht nochmal. Ergebnis: fünfzigste Zeichnung, total super, hinten steht drauf „30 Prozent auf Pullover“ und es ist ordinäres Druckerpapier – was ich übrigens auch echt mag!
Das kann auch kostspielig werden. Wenn mir eine Zeichnung, die ich in Groß gemacht habe, nicht gefällt, bin ich 150,00 € los. Aber das nehme ich in Kauf. Die Form muss mit dem, was ich ausdrücken möchte, übereinstimmen, mit der Energie. Die Strichstärke muss passen, wann ich langsamer und wann ich schneller werde. Manchmal ist es auch völlig okay, wenn man gar nicht gleich erkennt, was es ist, weil es dann mehr Linie ist als z. B. Figur.
Deine Zeichnungen verwandeln sich immer wieder, je länger man hinsieht.
Ja, genau! Das geht mir sogar selbst so. Ich fange bei Figürlichem z. B. oft beim Kopf an. Dann bin ich fertig, trete zurück und denke: Wo ist denn jetzt der Kopf? Dann verfolge ich mit den Augen die Linie bis zum Anfang. Während des Zeichnens kann sich etwas in mir und damit an und in der Zeichnung ändern und herauskristallisieren. Dann bin ich entweder positiv überrascht oder ich bin einfach sehr viel Geld für Papier losgeworden.
Beim Zeichnen bin ich sehr im Augenblick. Meine Arbeiten denke ich nicht „für immer“.
Seit wann zeichnest du?
Seit ich denken kann – und im Ansatz, rückblickend, oft so wie heute. Ich hatte keine ruhige Kindheit. Das Grundgefühl von damals ist geblieben. Ich hatte immer das Gefühl, ich habe keine Zeit und ich möchte etwas loswerden, was ich in Worten weder kommunizieren kann noch will. Es gibt in mir einen existenziellen Drang, etwas muss heraus.
Ist der Drang das innere Licht, von dem Du gesprochen hast?
Es gibt einen Unterschied zwischen dem Ausdruck des inneren Lichts und dem Ausdruck des inneren Brennens. Ein Lichtlein z. B. sehe ich als Kerze. Aber wenn ich nicht aufpasse, habe ich das Gefühl, es bricht ein ganzes Feuer aus. Ich habe noch nie ausprobiert, was passiert, wenn ich nicht zeichne. Warum sollte ich auch? Ich habe den Eindruck, ich sollte aufpassen, dass mein Licht die richtige Größe erreicht und nicht zu einer Flamme wird, mit der ich es nicht mehr aushalte.
Die Künstlerin Petra Lottje, langjähriges Mitglied im Fachbeirat Film und Neue Medien der Guardini Stiftung, lebt und arbeitet in Berlin. Die gebürtige Westfälin studierte zunächst Sozialwesen und dann Freie Kunst. Über ihr Schaffen sagt sie: „In meinen Werken sind unsere kleinsten sozialen Einheiten, die Regeln und die Spannungen im Umgang mit sich selbst, mit dem Nächsten, dem Partner und der Familie als politischer Schlüssel zum großen Ganzen zu sehen.“
Herbstliches Sonnenlicht und andere Helligkeiten
Radiopredigt, gehört auf DRS 2 am 7. Oktober 2007
Von Pascale Käser-Huber
Manchmal
Spricht ein Baum
Durch das Fenster
mir Mut zu
Manchmal
Leuchtet ein Buch
Als Stern
Auf meinem Himmel
Manchmal
ein Mensch
den ich nicht kenne
der meine Worte
erkennt
Dieses Gedicht von Rose Ausländer stelle ich heute an den Anfang meiner Gedanken, die um das Herbstlicht und sein Lachen kreisen. Vielleicht ist es dieses schüchterne „manchmal“, das mich so anspricht, vielleicht das Licht des Sternenbuchs, nach dem ich mich sehne. Vielleicht brauche ich aber auch die Ermutigung des Baumes.
Gerne verbringe ich im Herbst einige Tage in klösterlicher Stille – alleine mit mir und mit Gott. Und in dieser Zeit des Schweigens gehen mir die Augen auf für das Licht und die Farben und ich genieße jeden Freiluftmoment draußen im warmen, gnädigen Herbstlicht, das Häuser und Bäume, Hügel und Felder weichzeichnet, das mich selber in einem anderen Licht erscheinen lässt, eben in einem wohltuend gnädigen …
Ich habe in den vergangenen Tagen Licht-Gedanken gesammelt und werde sie nun wie Perlen auf eine Schnur fädeln. Der Prediger rät uns im ersten Testament der Bibel, die sonnigen Tage zu genießen, die anderen, dunklen folgen ja unweigerlich. „Süß ist dem Auge das Licht und köstlich ist es, die Sonne zu schauen“ (Pred 11,7) steht da geschrieben.
Und so wie die Herbstsonne die Welt manchmal in goldenes Licht eintaucht, können wir Menschen einander das Leben hell machen, vergolden. Der Liebende singt im Hohelied sehnsüchtig von seiner Geliebten: „Wer ist sie, die hervorbricht wie die Morgenröte, schön wie der Mond, klar wie die Sonne?“ (Hl 6, 10) Eine Liebende und ein Liebender können unsere Gesichter zum Strahlen bringen. Und mehr noch: Uwe Timm hat in seinem Buch mit dem Titel „Rot“ eine Liebesgeschichte geschrieben. Es ist die Geschichte von einem Grabredner, der sich in eine Lichttechnikerin verliebt. Und auf einmal steht das Licht im Zusammenhang mit dem Lachen – im Gesicht: „Ich behaupte, zwischen dem Lachen und dem Licht besteht eine Korrespondenz, beide erhellen Gegenstände und damit auch die Personen, ja man erhellt sich selbst, lacht man über sich – und lacht sie über mich, sehe ich mich weit deutlicher, so unangestrengt. Ihr Lachen entspricht […] dem Theaterscheinwerfer, der mit einem Gelbfilter arbeitet und plötzlich, der Regler wird aufgezogen, die Szene ins Sonnenlicht taucht.“
Sehen Sie dieses Bild? Da lacht eine und seine Lebensbühne wird vom warmen gelbtonigen Scheinwerfer erleuchtet. Solche Sonnen können wir einander sein. Die Sonne bringt es an den Tag, sagen wir so. Und meinen, was in der Finsternis der Nacht geschieht, im Verborgenen passiert, kommt über kurz oder lang zum Vorschein, kommt eben „ans Licht“. Das Sonnenlicht steht hier für die Wahrheit. Der Tag schaut anders – genauer – hin als die Nacht, eben wegen des hellen Lichts.
Für Rose Ausländer ist das schönste Gedicht des Tages: die Sonne. Unnachahmlich hell, auch gnadenlos klar, an dieser Wahrheit – unsagbar – kommt keine und keiner vorbei.
Wenn‘s in einem Menschenleben schwierig wird, wächst die Sehnsucht nach einem Silberstreifen am Horizont, ersehnen wir uns einen neuen, anderen Tag, dessen Licht in die dunkle Seele leuchtet. Der Prophet Maleachi macht seinen Zeitgenossinnen und Zuhörern Mut. Mut, den Glauben an Gott nicht zu verlieren – sogar in ihrer furchtbaren Situation, trotz allem. Er spricht ihnen gut zu, ermutigt sie, aller Bedrängnis und Anfechtung zum Trotz, durchzuhalten, weil: „Euch, die ihr an Gott festhaltet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen, die Heilung birgt unter ihren Flügeln.“ Die Sonne werde die Frechen und Gottlosen das Schweigen lehren, wenn sie in der Gluthitze verdorren. Allen anderen aber bringe sie Licht, Luft und Freiheit.
Haben Sie schon einmal zugeschaut, wie Kälber und Rinder am ersten schönen Frühlingstag wieder aus dem Stall hinaus auf die Weide dürfen? Die Tiere machen echte Freudensprünge. Sie wirbeln ihre Beine durch die Luft, ihre Hinterteile scheinen sich unabhängig von Kopf und Brust hochzuschleudern. Wenn Sie diesem Schauspiel schon einmal lachend zugeschaut haben, verstehen Sie wohl, was der Prophet Maleachi meint, wenn er sagt: „Euch wird die Sonne aufgehen, und ihr werdet hinausgehen und springen wie die Kälbchen aus dem Stall.“ Wenn ich an das Ende des Erdenlebens, ans Sterben und an den Tod denke, kommt mir unweigerlich wieder das Dunkel in den Sinn und will mir nicht aus Kopf und Herz. Was ist, wenn uns die irdischen Lichter ausgehen? Was, wenn die Finsternis nach uns greift? Dann kommt Gott selber und nimmt uns in ihre lichtvollen Arme und wir brauchen uns nicht mehr zu fürchten. „Die Sonne wird nicht mehr dein Licht sein am Tag und der Mond dir nicht mehr leuchten des Nachts. Aber Gott wird dein ewiges Licht sein. Dann wird deine Sonne nicht mehr untergehen und dein Mond nicht mehr schwinden. Gott wird dein ewiges Licht sein.“ (Jes 60,19f)
Mit diesen Perlen, die ich nun aufgefädelt habe, wünsche ich, dass uns das goldene und gnädige Herbstlicht ins Gesicht und bis ins Herz hinein leuchtet. Und dass wir von diesem Licht tanken können für die Wintermonate, die vor uns liegen. Amen.
Pascale Käser-Huber leitet die Reformierten Medien in Zürich. Sie studierte Theologie und war zwölf Jahre Gemeindepfarrerin in den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Seit 1998 engagiert sie sich an der Schnittstelle von Kirche und Medien und verknüpft gesellschaftliche Fragestellungen in Kultur, Theologie, Politik und Medien. Sie war Radiopredigerin, von reformierter Seite in enger Zusammenarbeit mit dem SRF verantwortlich für die kirchlichen Sendungen in Radio und Fernsehen und arbeitete als Social-Media-Community-Managerin.
Nachts
Von Franz Kafka
Versunken in die Nacht. So wie man manchmal den Kopf senkt, um nachzudenken, so ganz versunken sein in die Nacht. Ringsum schlafen die Menschen. Eine kleine Schauspielerei, eine unschuldige Selbsttäuschung, daß sie in Häusern schlafen, in festen Betten, unter festem Dach, ausgestreckt oder geduckt auf Matratzen, in Tüchern, unter Decken, in Wirklichkeit haben sie sich zusammengefunden wie damals einmal und wie später in wüster Gegend, ein Lager im Freien, eine unübersehbare Zahl Menschen, ein Heer, ein Volk, unter kaltem Himmel auf kalter Erde, hingeworfen wo man früher stand, die Stirn auf den Arm gedrückt, das Gesicht gegen den Boden hin, ruhig atmend. Und du wachst, bist einer der Wächter, findest den nächsten durch Schwenken des brennenden Holzes aus dem Reisighaufen neben dir. Warum wachst du? Einer muß wachen, heißt es. Einer muß da sein.
Aus: Franz Kafka, Erzählungen und Skizzen aus dem Nachlass