Guardini akut | KW 14/2021
Eine Frage des Budgets
Hinter der Kamera: Ein Gespräch mit dem Digital Imaging Technician Maxmilian Link über Filmproduktion in Zeiten von Corona.
Von Patricia Löwe
Du bist seit 2009 in der Filmbranche tätig, inzwischen auch bei Projekten mit großen Budgets wie aktuell bei der Agentenkomödie „Ze Network“ mit David Hasselhoff. Was genau sind Deine Aufgaben beim Dreh bzw. bei der Produktion?
Ich befinde mich beruflich ein wenig im Umbruch. Jahrelang habe ich als Digital Imaging Technician Dreharbeiten begleitet. Das ist eine Position in der Kameraabteilung, die erfordert, sowohl Hardware als auch Software hinter dem Objektiv im Blick zu behalten. Außerdem kümmert man sich um das aufgenommene Material – Sichtung, Farbkorrektur, Qualitätskontrolle, Katalogisierung usw. Ein DIT ist eine Art Bindeglied zwischen der Kameraabteilung und der Postproduktion. Mit den Jahren habe ich aber mehr und mehr ausschließlich in der Postproduktion gearbeitet und bin inzwischen bei einer entsprechenden Firma als sogenannter Post Production Supervisor angestellt. Hier bin ich nicht nur für die Überwachung der technischen Abläufe zuständig, sondern trage auch Verantwortung für die gesamte Endfertigung nach dem Schnitt. Im letzten Jahr habe ich trotzdem ein Projekt in meinem alten Job als Digital Image Technician angenommen, um über die Coronakrise zu kommen.
An welchen Projekten arbeitest Du gerade?
Insgesamt bin ich im Augenblick in fünf Projekte involviert. Wo wir über Corona sprechen, ist die Fortsetzung der ZDF-Fernsehserie „Sløborn“ besonders erwähnenswert. Es geht um eine tödliche Lungenkrankheit, die Europa überrollt. Im Dezember 2019 fand der letzte Dreh statt. Als der erste Lockdown 2020 verhängt wurde, waren wir gerade in der Postproduktion. Das hat sich natürlich sehr makaber angefühlt. Alles, was ging, wurde ins Home Office verlagert. Für bestimmte Arbeitsschritte, die nicht von zu Hause aus erledigt werden konnten, haben wir uns schichtweise mit der Nutzung der Räumlichkeiten abgewechselt. Ich selbst bin meist nachts zur Tonpostproduktion gefahren.
Das Projekt hat Wellen geschlagen und den Verschwörungstheoretiker*innen in die Karten gespielt – wusste das ZDF schon von der Pandemie, bevor es sie gab? Natürlich nicht! Unsere Screenwriter haben im Vorfeld gut recherchiert; sie haben mit Gesundheitsämtern und dem Katastrophenschutz zusammengearbeitet, um herauszufinden, wie schnell Chaos ausbrechen kann. Natürlich ist die Serie um einiges dramatischer als die Realität. Monatelanges Auf-der-Couch-Liegen und Nichts-Tun während eines Lockdowns ist kein gutes Fernsehen.
Ein paar gravierende Fehler sind uns aber doch unterlaufen. Während der Endabnahme fiel uns besonders eine Szene ins Auge: Ein Bundeswehrsoldat trifft auf eine schutzlose junge Mutter und ihr Kind. Er nimmt seine Mundnasenbedeckung ab und überlässt sie ihr. Das wäre in der Realität natürlich fatal. Als die Szene Mitte 2019 gedreht wurde, ist das noch niemandem aufgefallen.
Durch Corona hat sich eine Menge verändert in Deinem Arbeitsalltag.
Das Komplizierteste ist die Reiselogistik; danach kommt die Umsetzung von Hygieneregeln am Set und schließlich – und damit haben wir häufig zu tun – das Durchbrechen von Infektionsketten. Bei eigentlich jedem Projekt seit dem ersten Lockdown gab es Hygienekonzepte. Die haben sich nach und nach verschärft – am Anfang ging es hauptsächlich darum, Abstand zu halten und Alltagsmasken zu tragen. Später gab es ausgeklügeltere Ideen wie das Aufteilen des Sets in verschiedene Bereiche. Wenn beispielsweise die Schauspieler*innen für das Drehen einer Szene die Maske abgenommen haben, durften nur noch die wirklich essentiellen Personen anwesend sein, etwa Regie, Kamera und Ton. Später kamen regelmäßige PCR-Tests und schließlich Antigen-Schnelltests hinzu. Die meisten größeren Produktionen beschäftigen mittlerweile eine Betriebsärztin oder einen Betriebsarzt. Inzwischen ist das Testen für mich Alltag geworden. Mein Mitarbeiter und ich testen uns täglich zu Hause, bevor wir ins Büro fahren.
Wie häufig gibt es Ausbrüche an Filmsets?
Das passiert leider immer wieder. Um die Infektionsketten zu unterbrechen, müssen zunächst Kontakte nachvollzogen werden. Ich führe deshalb inzwischen ein entsprechendes Tagebuch. Bei jedem Coronafall muss die gesamte Crew sich sofort Schnelltests unterziehen; Erstkontakte werden isoliert.
Wann hast Du zuletzt einen Ausbruch erlebt?
Vor etwa einem Monat bei einem Dreh in Bulgarien gab es den heftigsten Ausbruch, in den ich bisher involviert gewesen bin. Die ersten Infizierten waren bulgarische Kolleg*innen. Beim Drehen im Ausland ist es nicht so einfach, die „mitgebrachten“ Hygienekonzepte auch vor Ort umzusetzen. Schon in den ersten Tagen gab es einen positiven Fall in der Grip-Abteilung, die für die sichere Befestigung und das Bewegen der Kamera zuständig ist. Wir haben sofort die komplette Abteilung nach Hause geschickt und ausgetauscht. Zwei Tage später hatten wir den nächsten Infizierten unter den neuen Kolleg*innen. Mitarbeiter*innen, die vor Ort leben, holen sich das Virus meist irgendwo im privaten Bereich. Die angereiste Crew pendelt ausschließlich zwischen Set und Hotel und hat aufgrund der strengen Regelungen kaum Chancen, sich anzustecken.
Schließlich ist die gesamte Crew für ein paar Tage zum Drehen in die Berge gefahren; dort mussten wir sehr viel Zeit auf engstem Raum verbringen und konnten uns nicht wie sonst an Distanzzonen halten. Zunächst hat sich eine Nebendarstellerin infiziert, die sofort isoliert wurde. Direkt danach wurde zuerst unsere Regisseurin positiv getestet und dann der Hauptdarsteller. Aus diesem Cluster heraus hat die Infektion Wege genommen, die kaum noch nachvollziehbar waren. Viele Personen wurden positiv getestet und sind erkrankt, die nur sehr wenig Kontakt zu anderen Infizierten hatten. Es stellte sich heraus, dass alle positiv Getesteten mit der B117-Mutante infiziert waren.
Du kommst beim Dreh immer wieder in solche Gefahrensituationen. Macht Dir das Angst?
Auf jeden Fall! Im Kollegenkreis gab es mehrere Coronfälle, die sehr schwer verlaufen sind. Ein Darsteller aus der letzten Produktion war zwei Wochen im Krankenhaus. Und natürlich bin ich auch um finanzielle Fragen besorgt. Es war ein Kraftakt, die Firma, bei der ich arbeite, durch das letzte Jahr zu bringen. Wenn wir wieder für ein paar Wochen oder Monate pausieren müssen, kann das das Zünglein an der Waage zwischen „Wir schaffen es durch dieses Jahr“ und „Ich bin in drei Monaten arbeitslos“ sein.
Wie verändert die Pandemie die Filmlandschaft in Deutschland und weltweit?
Wie sehr die Pandemie die Filmlandschaft auch inhaltlich und ästhetisch beeinflusst, ist vor allem eine Frage des Budgets. Vieles ist anstrengender geworden. Eine intime Szene mit einer Schauspielerin oder einem Schauspieler, die oder der nur für einen Tag am Set ist, gestaltet sich kompliziert, denn sie oder er muss vor dem Dreh in Quarantäne. So etwas kann sich ein Fernsehfilm leisten; eine Vorabendserie aber womöglich nicht. Hygienekonzepte kosten Geld, vor allem Drehs im Ausland sind für Produktionen mit kleinem Budget oft unbezahlbar.
Aufwändige Großprojekte mit entsprechend großen Crews haben mitunter so viele Coronafälle, dass es ihnen immer schwerer fällt, ihre Leute zusammenzuhalten. Bei 400 Mitarbeiter*innen kann es schon mal zu zehn Infizierten pro Woche kommen. Dadurch entstehen massive Personalprobleme.
Es gibt aber auch Innovationen wie z. B. Virtual Production. Dabei wird vor einer LED-Leinwand gedreht, die mit verschiedenen Hintergründen bespielt werden kann. U. a. inspiriert durch das letzte Jahr entsteht gerade in Babelsberg eine der größten Virtual-Production-Bühnen der Welt. Statt zu reisen, holt man sich die Welt ins Studio.
Maximilian Link arbeitet bei der Postproduktionsfirma Syrreal Works GmbH als Post Production Supervisor. 2008 begann er in Erlangen Theater- und Medienwissenschaften zu studieren und wagte schon ein Jahr später den Quereinstieg in die Filmbranche. Heute ist er bei großen und kleinen Produktionen sowohl hinter der Kamera als auch in der Postproduktion tätig.