Guardini akut | KW 18/2020
Corona und die Freiheit – eine Chance für Demokratie und soziale Marktwirtschaft
Die Wahrung von Grundrechten, das Aufrechterhalten der sozialen Marktwirtschaft und die Abwendung einer pandemischen Katastrophe sind Maßgaben aller derzeitigen politischen Entscheidungen. Das ist eine große Chance für unsere Demokratie.
Von Marie-Luise Dött MdB
Die Würde des Menschen ist unantastbar, die Freiheit der Person unverletztlich. Alle Deutschen haben das Recht, sich zu versammeln, und genießen Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet. Diese verfassungsrechtlich garantierten Bürgerrechte sind die Grundpfeiler unserer freiheitlichen Gesellschaft und mittelbar auch der marktwirtschaftlichen Ordnung, die unserem Land Stabilität und Wohlstand gebracht hat.
Lange galten uns Freizügigkeit, Versammlungsfreiheit, Berufsfreiheit und Eigentumsfreiheit als selbstverständlich. Im Angesicht der Gefahr durch COVID-19 sind sie massiv eingeschränkt – eine Bankrotterklärung der Demokratie? Massive Eingriffe hemmen das wirtschaftliche Leben, milliardenschwere Staatshilfen aus Steuergeldern sind an der Tagesordnung – das Ende der marktwirtschaftlichen Ordnung?
Keineswegs. Wir befinden uns in einer Krisensituation – und der Staat ist als Krisenmanager gefordert. Nicht im Konflikt mit Demokratie und marktwirtschaftlicher Ordnung, sondern als Akteur dieser weiterhin gut funktionierenden Systeme. Auch in der Krise hat der Staat Bürgerrechte zu achten und zu schützen – aber eben auch gegen andere Rechtsgüter abzuwägen. In der Pandemie ist er gefordert zur Seuchenabwehr – in Abwägung der individuellen Freiheit gegen den Schutz besonders risikobehafteter Gruppen und gegen eine Überforderung der Intensivkapazitäten unseres Gesundheitssystems – und der Menschen, die dort tätig sind.
Auch in der Wirtschaftspolitik bleibt die Maßgabe, sich auf das Setzen von Rahmenbedingungen zu beschränken – jedenfalls wo immer das ausreicht. An manchen Stellen kann es jedoch nötig sein, über die Gestaltung des Ordnungsrahmens hinaus zu gehen. Der Staat ist gefordert als Versicherer gegen die Folgen der Epidemie – ein nicht privat versicherbares Risiko. Die Wirtschaftskrise und das Straucheln vieler Unternehmen sind wesentlich Folge des politisch veranlassten Lock-Downs – eine Situation, die die Unternehmen nicht verschuldet haben. Jetzt prinzipiell solvente, aber krisenbedingt illiquide Betriebe zu unterstützen, erkauft hoffentlich, dauerhafte fundamentale wirtschaftliche Schäden abzumildern.
Zu einem sehr hohen Preis, das ist unbestritten. Und daher ist diese Krise auch kein Freibrief für staatliche Eingriffe – jeder einzelne davon muss verhältnismäßig sein, also auf das notwendige Maß und die notwendige Dauer beschränkt. Folgewirkungen und Alternativen sind zu prüfen, Erlasse zu befristen. Eingriffe sind regelmäßig zu hinterfragen, Exit-Strategien müssen mitgedacht werden.
Es ist gut und wichtig, dass Parlamente, Verbände und zivilgesellschaftliche Akteure ihre Mitwirkung und Anhörung einfordern, und dass die Medien die Prozesse kritisch begleiten. Wer für demokratische Grundrechte eintritt, Schutzmaßnahmen infrage stellt oder auf Kosten und Gefahren von Unterstützungsleistungen hinweist, ist kein unsolidarischer Nestbeschmutzer, sondern existenzieller Teil einer funktionierenden Demokratie. Und anders herum ist, wer für staatliche Eingriffe und Unterstützung eintritt, nicht gleich rücksichtloser Egoist und Lobbyist.
Demokratie lebt vom sachlich-konstruktiven Austausch von Argumenten. Darauf sollten wir uns auch in der Krise besinnen, selbst wenn Emotionalität und Betroffenheit groß sind und die Zeit drängt. Das kam auch vor der Krise in Zeiten von Fake News und Populismus zuletzt zu kurz.
Vielleicht ist diese Krise daher nicht nur eine riesengroße Herausforderung für Staat, Wirtschaft und Bürgergesellschaft, sondern auch eine Chance. Dann verhilft die Erkenntnis darüber, wie schmerzhaft der Verlust unserer Freiheitsrechte ist, unserem freiheitlich-demokratischen Gesellschaftssystem zurück zu der Anerkennung, die es verdient. Dann führt die Leistungsfähigkeit unserer Unternehmen, die trotz Hamsterkäufen alle mit notwendigen Gütern versorgen und ihre Produktion in Reaktion auf Knappheitssignale teils flexibel auf Schutzmasken und medizinische Geräte umgestellt haben, zu Respekt und Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft. Analoges gilt für die Sozialsysteme, die uns durch diese Krise tragen. Dann führt die kreative Kraft krisenbedingt entwickelter digitaler Arbeitsstrukturen zu einem langfristigen Innovationsschub.
Und die menschliche Verbundenheit, die sich im alltäglichen Engagement vieler Helfer zeigt, führt zu einem Wiedererstarken von Verbundenheit und Nächstenliebe.
Marie-Luise Dött ist seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages. Sie ist Vorsitzende der Arbeitsgruppe Umwelt, Naturschutz und Nukleare Sicherheit und Umweltpolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Vor ihrer Karriere als Politikerin war sie als Gemmologin und Unternehmerin tätig. Seit vielen Jahren ist sie Mitglied des Präsidiums der Guardini Stiftung.