Rückblick | Die Tafelrunde

Rückblick

Die Tafelrunde

Schriftsteller*innen begegnen ihren Leser*innen an einem Abend im kleinen Kreis

Der Literaturbetrieb wurde, wie alle anderen Veranstaltungsbranchen auch, durch die Pandemie drastisch heruntergefahren. Begegnungen zwischen Autor- und Leserschaft reduzierten sich auf die reine Lektüre, die Literatur wurde in die Sphäre des Privaten verwiesen. Doch die Menschen wollen heute im Medienzeitalter nicht nur lesen, sondern über das Gelesene mit anderen kommunizieren. Lesekreise, Schreibwerkstätten, literarische Privatsalons, Literaturfestivals lagen vor Corona im Trend. Auch die Autor*innen profitieren gewöhnlich von diesem Resonanzraum, er sicherte ihnen ihre materielle Existenz. Mit der Coronapandemie wurde dieses System massiv erschüttert.

Eine Ausschreibung des Deutschen Literaturfonds im Rahmen seines Förderprojektes „Neustart Kultur“ inspirierte den Literaturbeirat der Guardini Stiftung zur Entwicklung des Projekts „Tafelrunde“. Autor*innen wurde im pandemiegerechten Rahmen eine Plattform gegeben, auf der sie sich wieder mit ihrer Leserschaft austauschen konnten. Sechs Veranstaltungen, im Sommer und draußen, im Hinterhof der Guardini Galerie, bei Käse und Wein. Alle Teilnehmer*innen, bis zu acht an der Zahl bei jeder Runde, waren mit dem jeweiligen Werk vertraut. Moderiert wurde jede Veranstaltung von einem Mitglied des Literaturbeirates. Nach einem zehnminütigen Einleitungsgespräch folgte oft eine kurze Lesung. Die Anregung, welche Passage des Buches gelesen und besprochen werden sollte, kam vielfach von den Teilnehmer*innen der Runde. Die Autor*innen hatten wiederum Fragen an die Gäste. Einzelne Passagen wurden lebhaft diskutiert, leidenschaftlich gelobt und kritisiert. Die Veranstaltung erwies sich im besten Sinne als eine Werkstatt, in der der Text inspiziert wurde, in einer äußerst konzentrierten, sachkundigen und entspannten Atmosphäre. Ziel des Projektes sei, so formulierte es der Schriftsteller Christoph Wilhelm Aigner: „wenn endlich auch mal wir mitschreiben müssen, was die Leser uns sagen und nicht immer umgekehrt“.

Die erste Tafelrunde fand am 24. Juni 2022 in der Guardini Galerie statt. Volker Demuth moderierte die aus München stammende Filmregisseurin und Schriftstellerin Lola Randl. Ihr Roman „Die Krone der Schöpfung“ ist ein aus ironischer Distanz erzählter Roman mit autobiografischen Bezügen über eine Stadtneurotikerin, deren Welt in Mecklenburg aus den Fugen gerät, nicht zuletzt weil auch ein Virus die Menschen auf sich zurückwirft. Ist das die adäquate Form, Corona in der Literatur zu fassen?

Am 26. Juli 2022 stellte Michael Braun den Salzburger Schriftsteller Christoph Wilhelm Aigner vor. Dieser las aus seinem Prosawerk „Mensch.Verwandlungen“ und stellte eine Reihe neuerer unveröffentlichter Gedichte vor. Gelingt es dem Autor, das antike Muster der Metamorphosen zu durchbrechen, in dem er die Natur in menschliche Natur überführt?

Am 28. Juni 2022 moderierte Andreas Öhler die Büchnerpreisträgerin Felicitas Hoppe. In ihrem Werk „Fährmann hol über oder wie man das Evangelium pfeift“ sind ihre Essays über Religion versammelt. Wie gelingt die zeitgemäße Betrachtung von Heiligen und geht das ohne Hölderlins „Heiterkeit im Leiden“?

Christiane Neudecker moderierte am 30. Juli 2022 ihren Schriftstellerkollegen Gregor Hens, der sein neuestes Werk „Die Stadt und der Erdkreis“ mit seinen Gästen besprach: Wie nehmen wir Stadt wahr? Wäre sie ohne unseren subjektiven Blick und unsere Projektionen nur ein Häusermeer?

Die Romanautorin und Lyrikerin Ulrike Draesner, von Hans-Michael Speier moderiert, warf am 8. August 2022 ihren Roman „Kanalschwimmer“ in die Tafelrunde. Es ist die Geschichte einer Kanalüberquerung, die äußere wie innere Grenzen auslotet. Wie ist Aufbruch im Alter möglich? Wo liegen die Grenzen der Selbstfindung?

Die letzte der Tafelrunden war ein Projekt der anderer Art. In der katholischen Schule Bernhardinum in Fürstenwalde an der Spree diskutierte die Autorin Kerstin Hensel mit sechs Schülerinnen und Schülern des Deutsch-Leistungskurses Gedichte aus ihrem Lyrikband „Cinderella räumt auf“. Norbert Hummelt fungierte als Moderator. Die Schülerinnen und Schüler hatten vorher eine Auswahl der Texte getroffen, in die sie sich eingehend, ohne Intervention des Lehrers, eingearbeitet hatten. Die Autorin war erstaunt über die unterschiedlichen Leserarten, die mit jeder Generation entstehen.

Die Bilanz aus sechs Tafelrunden: Vielfach entstanden reziproke Prozesse, aus denen sowohl Autor*innen als auch ihre Gäste mit einer ganz anderen Intensität Textarbeit leisteten. Die Nähe und Transparenz bot die Möglichkeit, Einblicke in literarische Arbeits- und Denkprozesse zu erhalten, bei denen Leseerfahrungen an die, die die Literatur schreiben, zurückgespiegelt werden. Das alles weckte bei allen Beteiligten die Lust, auf diesem Weg und vielleicht in diesem Format neue Impulse für den literarischen Diskurs auszuloten.

Grafikdesign Anja Matzker

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