Theologische Predigt | „Glauben ist Antwort auf den redenden Gott“

25. Mai 2019 | Theologische Predigtreihe „Wo ist Christus?“

„Glauben ist Antwort auf den redenden Gott“

Predigt von P. Philemon Dollinger OCist

„Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten.“ (Joh 14,23)

Ein Gespräch zweier Menschen: Was glaubst du: Welche Partei wird morgen als Sieger aus der Europawahl hervorgehen? Was glaubst du: Werden, wie bei der letzten Wahl, die Christdemokraten, oder werden diesmal die Sozialdemokraten stärkste Partei? Antwort: Ich glaube, es wird vielleicht die eine oder die andere. Keine Sorge, ich werde nicht über Politik predigen. Auch Guardini hat dies übrigens nicht getan; mit einer Ausnahme, das war in einer Predigt, in der er über den Ungarnaufstand 1956 sprach. Aber die Frage Was glaubst du? führt uns zu dem hin, womit sich Guardini intensiv beschäftigt hat. Immer wieder hat er darüber nachgedacht, was es bedeutet, wenn eine Person sagt: ich glaube.

Das Wort „glauben“ hat zwei verschiedene Bedeutungen. In der Alltagssprache wird „glauben“ meist als Synonym für „vermuten“, „meinen“ oder „annehmen“ verwendet. Demnach hieße unsere eingangs gestellte Frage Was vermuten Sie, wer die Wahl gewinnen wird? Gemeint ist: Was meinen Sie? Was nehmen Sie an? Es geht bei dieser Bedeutung von „glauben“ also um eine Vermutung. Und dementsprechend die Antwort: ich glaube… im Sinne von ich vermute… Glauben im religiösen Sinn, und darum ging es Guardini, bedeutet nicht Vermutung oder Meinung – diese Bedeutung lässt die Heilige Schrift nicht zu –, sondern glauben bedeutet vielmehr Antwort. Aber Antwort auf was? Wie ist das zu verstehen, dass Glaube Antwort ist?

Aus der Heiligen Schrift erfahren wir, wie Gott immer wieder zu Menschen gesprochen hat, zunächst im Alten Testament: zu Abraham, zu Mose, dann zu den Propheten; und schließlich, in unüberbietbarer Weise, in Jesus Christus. Wie der Hebräerbrief sagt: „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat.“ (Hebr 1,1)

Gott hat durch den Sohn zu uns gesprochen. Alles, was der Sohn uns mitteilt, kommt vom Vater. Jesus sagt das heute im Johannesevangelium: „Das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat.“ (Joh 14,24) Jesus gibt authentisch und unverkürzt weiter, was der Vater den Menschen mitteilen möchte. Jesus ist gewissermaßen das menschliche Sprachrohr des Vaters. Es ist aber nicht so, dass Jesus einfach nur weitergegeben hätte, was Gott gesagt hat. Am Anfang des Johannesevangeliums erfahren wir, dass Jesus das menschgewordene Wort Gottes ist: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Im Anfang war es bei Gott… Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ (Joh 1,1-2;14) Das ist keine Vermutung, keine Meinung oder Annahme, sondern eine Aussage. Jesus gibt also nicht nur die Worte des Vaters weiter, er ist selbst dieses Wort, das der Vater gesprochen hat, und er ist selber Gott. Das Wort war bei Gott und das Wort war Gott (vgl. Joh 1,2). Wenn nun der Christ, der sich auf Jesus Christus bezieht, sagt: ich glaube, dann ist das seine Antwort auf Jesus Christus, seine Stellungnahme zu ihm, sein Sich-Verhalten in Bezug auf Jesus Christus. Oder anders ausgedrückt: der Christ reagiert. Er reagiert auf einen Vorgang, der von Gott, und das ist wichtig, zuerst begonnen wurde. Die Initiative liegt bei ihm. Gott offenbart sich dem Menschen, indem er auf den Menschen zugeht, und der Mensch verhält sich dazu. Was Offenbarung ist, drückt Guardini in einer Predigt folgendermaßen aus: es ist „das Sichkundtun Gottes. Gott spricht. Und die Antwort auf dieses Sprechen ist der Glaube“.1

Damit ist der Glaube, entgegengesetzt der eingangs erwähnten alltäglichen Verwendung, keine Vermutung, keine Meinung, die so oder auch anders ausfallen könnte. Glaube ist etwas völlig anderes. Glaube im christlichen Sinne meint, dass Gott auf mich zukommt, mich in Jesus und durch Jesus konkret anspricht; mich meint, und mich herausfordert zu einer Antwort meinerseits. Sein Wort trifft mich, ich bin betroffen, bin ein Getroffener, und nun verhalte ich mich zu diesem Getroffensein. Das ist Glaube.

Dieses Getroffensein und Daraufantworten hat Guardini intensiv beschäftigt. Es ist ein Akt, in dem der Mensch seine spezifische Bestimmung als ein Ich-Du-Verhältnis erfährt. Der Mensch ist nach Guardini ein personales Wesen, ein Wesen, das ins Dasein gerufen wurde. Guardini drückt das einmal so aus: „Gott ruft den Menschen: du, werde. Und das Dasein des Menschen ist seine Antwort auf das Du.“2 Für Guardini ist klar: Unser Sein, unser Dasein ist von vornherein schon Antwort, unabhängig davon, ob der Mensch sich bewusst zu Gott verhält oder nicht. Der Mensch ist nach Guardini kein in sich selbst verschlossenes Wesen, sondern er existiert „zum Entgegenkommenden hinüber“.3

Was passiert nun aber mit einem Menschen, wenn er sich auf diesen Anruf Gottes hin öffnet? „Mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm Wohnung nehmen“ (Joh 14,23). Es geht um die Einwohnung Gottes in mir. Gott ist in mir — und will mit mir in eine innige Beziehung treten. Ein wunderbarer Gedanke. „Im Glauben“, so sagte es Guardini an anderer Stelle, „spricht der lebendige Mensch zum lebendigen Gott: ich will Dein sein!“4 Glauben ist demnach ein Ja?Sagen zu Gott, „ein inneres Leben; etwas, was wächst, was stärker wird, was wirkt; zu dem man sein Leben hinträgt; von wo aus es geordnet und beurteilt wird. Das heißt Glaube!“5

Die Frage, die an dieser Stelle für uns von Bedeutung ist, lautet: Wie wird dieser Glaube genährt? Darauf gibt Jesus im heutigen Evangelium einen entscheidenden Hinweis: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten“ (Joh 14,23). Wir haben gesagt, dass Glaube im christlichen Sinn personale Antwort des Menschen auf das Wort Gottes ist. Liebe ist die höchste Form dieser personalen Antwort. Und unsere Liebe bringen wir dadurch zum Ausdruck, dass wir das Wort Gottes „halten“, wie es bei Johannes hieß. „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten.“ Das heißt, dass der ein Liebender ist, der sich festhält an seinem Wort. Am Wort Gottes festhalten ist Ausdruck unserer Liebe zu Jesus. Und nicht nur Ausdruck unserer Liebe, sondern zugleich auch Nahrung, die unseren Glauben stärkt. In ihm, im Wort Gottes, kommt uns nämlich der lebendige Gott entgegen und teilt sich uns mit. „Das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat“ (Joh 14,24).

Jedes Mal, wenn in der Heiligen Messe aus dem Wort Gottes vorgelesen wird, geht Gott durch und in diesem Wort auf jeden Einzelnen von uns zu. „Wort des lebendigen Gottes“ heißt: der lebendige Gott spricht. Er spricht zu mir, damit er mir zur Nahrung werden kann für meinen Weg als Glaubender. Von daher ist auch eine tiefe Verbindung zur Eucharistie gegeben: Wir empfangen den Leib dessen, der zuvor in und durch sein Wort zu uns gesprochen hat. „Das Wort ist Fleisch geworden.“

Liebe Schwestern und Brüder, die Heilige Schrift will uns auch über den Gottesdienst hinaus Nahrung sein. Im Leben der gläubigen Christen hat sie von Beginn an immer eine zentrale Rolle gespielt. Der heilige Basilius etwa, ein bedeutender Bischof und Kirchenlehrer des 4. Jahrhunderts, vergleicht die Heiligen Bücher mit einer Apotheke, die mit allen Heilmitteln reichlich versehen ist. In ihr seien, so Basilius, alle Wahrheiten niedergelegt, alle Arzneien, um von den Krankheiten der Seele zu genesen; alle Mittel zur Stärkung und Kräftigung des Seelenlebens.6 Auch Guardini war überzeugt, dass das Lesen der Heiligen Schrift von entscheidender Bedeutung ist. Immer wieder sprach er über die Wichtigkeit der Heiligen Schrift für das eigene Glaubensleben und ermutigte dabei seine Hörer: „Wir wollen die Schrift aufschlagen, wir wollen immer einen Satz nehmen, irgendeinen und wollen ihn sorgsam betrachten und wollen sehen, was der Herr redet. Und vielleicht entschließen Sie sich dann selbst, die Schrift zu lesen. So wie man nicht leben kann, wenn man nicht Speiße ißt, so kann man nicht christlich leben, wenn man mit dem Wort Gottes nicht im Umgang steht. Es geht nicht.“7 Die Heilige Schrift als Speise, als Nahrung, als Grundlage für unser gläubiges Leben. Für Guardini war klar: Ob unser Glaube erhalten bleibt und wächst, hängt auch von unserem Umgang mit der Heiligen Schrift ab. „Der Glaube“, so sagt es Guardini einmal in einer Predigt, „der Glaube, der die Antwort auf Gottes Wort ist, kann doch nicht lebendig bleiben, wenn die Heilige Schrift in unserem Leben keine Rolle spielt.“8

Liebe Schwestern und Brüder, werden wir Liebende, fangen wir an, das Wort Gottes zu lieben. Bemühen wir uns darum, Christus in diesem Wort immer besser kennenzulernen, ist es ein Akt der Liebe unsererseits. Und ein Akt der Liebe Gottes, denn er sehnt sich danach, uns immer mehr von sich mitzuteilen, immer mehr in uns Wohnung zu nehmen. Er will unseren Glauben nähren. Glaube ist mehr als Vermutung, er ist Antwort auf das Wort. Amen.


 

1 Predigt in Bogenhausen, 31.3.1963.
2 Predigt in Bogenhausen, 3.3.1963.
3 R. Guardini, Welt und Person, 1988, 10.
4 Siehe Fußnote 1.
5 Predigt am Fest der Hl. Dreikönige, Großhesselohe, 6.1.1955.
6 https://katholischglauben.info/das-verstaendnis-ueber-die-heilige-schrift/, aufgerufen am 15.5.2019.
7 Predigt in St. Ludwig, 1949 (Anm.: nicht genauer datiert).
8 Siehe Fußnote 1.

Foto & Grafikdesign Anja Matzker

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