Guardini akut | „Setzen Sie auch in Coronazeiten auf eine berufliche Ausbildung“

Guardini akut | KW 6/2021

„Setzen Sie auch in Coronazeiten auf eine berufliche Ausbildung“

Die Pandemie verringert nicht nur die Zahl der ausgeschriebenen Ausbildungsplätze, sondern auch die der Ausbildungsanwärterinnen und –anwärter.
Von Antje Lezius MdB

Home-Schooling, Ängste um den Arbeitsplatz, Einsamkeit: Die Coronapandemie stellt jeden Einzelnen unserer Gesellschaft vor enorme berufliche und persönliche Herausforderungen. Seit dem Ausbruch der Pandemie vor gut einem Jahr beschäftigen wir uns im Bundestag unter anderem mit folgenden Fragen: Wie schützen wir die Bürgerinnen und Bürger bestmöglich? Welche Maßnahmen sind angemessen? Welche Hilfspakte brauchen wir? Und wie gehen wir – auch wirtschaftlich gesehen – gestärkt aus der Krise hervor?

Aus vielen Gesprächen in meinem Wahlkreis und in Berlin weiß ich, wie viele Unternehmen und Selbstständige von der Coronapandemie betroffen sind. Als ehemalige Unternehmerin blutet mir das Herz, wenn ich mitbekomme, wie ehemals gut aufgestellte, familiengeführte Unternehmen, Restaurants oder Hotels schließen müssen. Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Auszubildende: Sie alle sind gleichermaßen betroffen.

Aktuelle Zahlen des Ausbildungsmarkts zeigen die Auswirkungen der Pandemie deutlich: Das Ausbildungsangebot sank 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 50.700 Plätze beziehungsweise 8,8 % auf 527.400. Die Zahl der jungen Menschen, die eine Ausbildungsstelle nachfragten, verringerte sich um 53.000 beziehungsweise 8,9 % auf 545.700. Ausbildungsmessen, Jobbörsen und Betriebspraktika konnten in den meisten Regionen nicht stattfinden. Im Ergebnis waren auch deshalb 59.900 beziehungsweise 11,7 % der betrieblichen Ausbildungsplatzangebote zum Stichtag 30. September 2020 immer noch nicht besetzt (Vorjahr: 53.100 beziehungsweise 9,4 %). Infolge des sinkenden Angebots und der Nachfrage sowie der zunehmenden Passungsprobleme fiel die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 57.600 beziehungsweise 11,0 % im Vergleich zum Vorjahr. Mit nunmehr 467.500 lag sie in Deutschland erstmals unter 500.000 (2019: 525.000).

Ich habe vor meiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete selbst ausgebildet und verfolge schon seit langer Zeit die Lage am Ausbildungsmarkt. Dass seit einigen Jahren immer weniger ausgebildet werden kann und Stellen unbesetzt bleiben, beunruhigt mich sehr. Ich bin überzeugt davon, dass wir eine starke berufliche Bildung brauchen, um die Wirtschaftskraft Deutschlands zu stärken, die Teilhabe und Integration junger Menschen zu fördern und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Mit dem erst im letzten Sommer novellierten Aufstiegs-BAföG fördern wir noch umfangreicher die berufliche Fortbildung, mit dem Qualifizierungschancengesetz (seit 2019) die berufliche Weiterbildung und mit dem Beschäftigungssicherungsgesetz vom November 2020 nun gezielt auch die Weiterbildung in der Kurzarbeit.

Wie kann die berufliche Bildung gefördert werden? Auf welche Art und Weise muss die berufliche Bildung an die neuen Anforderungen einer digitalen Arbeitswelt angepasst werden? Welche Auswirkungen hat die Coronapandemie auf die berufliche Bildung? Über diese Fragen diskutieren wir in der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“. Die im Juni 2018 vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission analysiert die berufliche Aus- und Weiterbildung, prüft ökonomische und soziale Herausforderungen und leitet daraus konkrete Handlungsempfehlungen für die Politik ab. 19 Abgeordnete und 19 Sachverständige aus Praxis, Verbänden und Wissenschaft arbeiten zusammen an einem Abschlussbericht, der im Juni 2021 vorgestellt wird. Fest steht, dass im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung lebensbegleitende Weiterbildungen, gut ausgestatte Berufsschulen und digitale Kompetenzen unabdingbar sind.

Als Vorsitzende der Enquete-Kommission appelliere ich an junge Menschen: Setzen Sie auch unter besonderen Bedingungen in Coronazeiten auf eine berufliche Ausbildung. Die berufliche Bildung ist Aushängeschild und Erfolgsgarant der deutschen Wirtschaft. Die Suche nach passenden Ausbildungsstellen ist während einer Pandemie schwer, Unsicherheiten sind verständlich, Aus- und Fortbildungen dennoch möglich. Eigenverantwortliches Handeln ist derzeit wichtiger denn je. Statt sich auf Ausbildungsmessen zu informieren, muss man sich nun beispielsweise im Internet verstärkt Angebote anschauen, wie z. B. auf der Seite der Bundesagentur für Arbeit. Immer mehr Bundesländer bieten zudem Telefon-Informationshotlines an.

Nicht nur für Auszubildende, sondern für alle Generationen, sind diese aufwühlenden Zeiten schwierig. Kinder, Schülerinnen, Schüler und Studierende lernen unter außergewöhnlichen Bedingungen, Familien müssen sich neu organisieren, Rentnerinnen und Rentner leiden unter der Isolation. Ich bin der Ansicht, dass wir alle derzeit daran erinnert werden, dass das Leben ein Veränderungsprozess ist. Es geht nicht immer vorwärts, unvorhersehbare Ereignisse gehören zum Leben dazu.

Bei den Coronamaßnahmen und Diskussionen im Parlament achten wir darauf, keine Generation aus dem Blick zu verlieren. Jede Generation ist anders von der Pandemie betroffen, für jede Generation gibt es Möglichkeiten. Die Palette reicht vom Homeoffice über digitale Sport- und Musikangebote bis hin zu Nachbarschaftsplattformen.

Ich bin mir sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind, die Situation in den Griff zu bekommen. Es stehen uns noch einige harte Wochen bevor, Geduld ist gefragt, dennoch: Die Impfung bringt Licht an das Ende des Tunnels.


 

 

Antje Lezius ist seit 2013 Abgeordnete im Deutschen Bundestag für die Landkreise Birkenfeld und Bad Kreuznach. Sie ist Mitglied im Ausschuss „Arbeit und Soziales“ und seit September 2020 Vorsitzende der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“. Vor ihrer Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete arbeitete sie als Familienunternehmerin im Mittelstand, selbstständige Unternehmensberaterin und Coach. Sie ist Mutter zweier Töchter.

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