Guardini akut | Advent: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Der Advent als Vorbereitungszeit auf Weihnachten ist im Bewusstsein unserer Gesellschaft immer mehr am Verdunsten – wie die Bedeutung anderer christlicher Feste und Festzeiten im Übrigen auch. Darum könnte es helfen, die Bedeutung des liturgischen Jahres immer wieder wach zu rufen.
Von Weihbischof Matthias Heinrich

Schon Romano Guardini hat in seinen Betrachtungen zur „Nähe des Herrn“ versucht, den Sinn des Advents am Symbol des Adventskranzes zu verdeutlichen. Der Adventskranz, schreibt Guardini, „spricht vom adventus domini, von der Ankunft des Herrn, und mahnt, sich auf diese Ankunft des Herrn zu bereiten“.
Aber vielleicht lässt sich der Sinn des Advents nicht nur an den adventlichen Symbolen, sondern auch am Wort Advent selbst deutlich machen; denn für den christlichen Glauben ist Advent ja Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich.
Advent bedeutet – aus dem Lateinischen übersetzt – zunächst Ankunft. Wir feiern Advent, weil Gott leibhaftig eingetreten ist in unsere Welt und Geschichte. Dieser erste Advent Gottes ist zwar Vergangenheit, aber er liegt nicht nur hinter uns, sondern immer auch vor uns; denn dieser erste Advent muss mit unserem Leben noch eingeholt werden. Dass Gott in unsere Welt gekommen ist, heißt ja nicht auch schon, dass er bei den Menschen angekommen ist.
„Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf…“, sagt Johannes (Joh. 1,11). Und dies deutet doch darauf hin, dass die Ankunft Gottes noch nicht für alle Lebenswirklichkeit geworden ist, sondern dass Gott bei vielen noch „draußen vor der Tür“ steht und Einlass sucht.
Und deshalb geht es im Advent darum, den gekommenen Gott einzulassen, ihm Raum zu schaffen in unserem Leben, damit unsere Gottesferne zu seiner Nähe wird.
Gott ist erst dort richtig angekommen, wo man ihn aufnimmt.

Advent bedeutet aber nicht nur Ankunft. Er lässt sich auch verstehen als: Entgegenkommen. Wir feiern im Advent, dass Gott uns in Christus entgegengekommen ist und weiter entgegenkommt. Nicht der Mensch muss den ersten Schritt auf Gott hin machen. Gott macht den ersten Schritt auf den Menschen zu. Unser Gott ist ein entgegenkommender Gott.
Und dieses Entgegenkommen Gottes zeigt sich in unserer Gegenwart, die auch seine Gegenwart ist. Es zeigt sich – trotz mancher Fragen – durch Gottes Da-Sein in und für seine Schöpfung.
Deshalb ist die adäquate Antwort auf das Entgegenkommen Gottes das Entgegengehen des Menschen. Die Dynamik des Advents besteht also nicht in besinnungsloser Aktivität, in der Hektik des Geschenkekaufs oder des Briefeschreibens – so gut dies auch alles sein kann. Sie besteht vielmehr in der Bewegung Gottes auf den Menschen hin und in der Bewegung des Menschen auf Gott hin.
Sich auf diese Dynamik einzulassen, ja sich selber in diese Bewegung hineinzugeben: das ist Advent.

Das Wort Advent lässt sich schließlich aber auch mit Zukunft übersetzen; denn die lateinische Vorsilbe ad meint ja nicht nur an, sondern auch zu: advenire würde dann auch zukommen bedeuten. Wir feiern Advent, weil noch etwas auf uns zukommt, weil die Welt und der Mensch eben noch nicht am Ende sind, weil wir durch Christus und mit ihm eine Zukunft haben.
Nicht erst in unseren Tagen macht sich unterschwellig Angst breit, weil keiner weiß, wie es weitergeht mit unserer Welt und auf unserer Erde. Die Wegweiser unserer Zivilisation lassen keinen Zielort mehr erkennen. Und auch im persönlichen Leben gibt es Sorgen und Nöte, die uns an einer guten Zukunft zweifeln lassen.
Die Feier des Advents will solche Ängste nicht überdecken und schon gar nicht wegwischen. Sie ist vielmehr ein Zeichen des Gottvertrauens; denn der Advent als Zukunft sagt uns: Alles Leid und alle Not sind aufgehoben und mitgetragen von dem, der gekommen ist und der am Ende der Zeit wiederkommen wird. Alles wird gut, weil Gott es in seinen Händen hält.
Angesichts der Nöte und Zweifel – auch bei den Gläubigen – ermahnt der Hebräerbrief die Christen: „Werft also eure Zuversicht nicht weg“ (Hebr. 10,35). Die Feier des Advents ist Ausdruck solcher Zuversicht.

Grafikdesign Anja Matzker


Der gebürtige Berliner Dr. Matthias Heinrich ist Weihbischof im Erzbistum Berlin und Bischofsvikar für außergerichtliche Ehesachen sowie das Dispenswesen. Seit seiner Bischofsweihe 2009 begleitet ihn der Spruch: „Illum oportet crescere“ – „Er muss wachsen“ (ich aber muss kleiner werden) (Joh 3,30). Weihbischof Heinrich ist Mitglied des Metropolitankapitels und übernimmt Amtshandlungen und Gottesdienste, die einem Bischof obliegen wie u. a. Firmungen und Weihen.

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