Guardini akut | Zur Relevanz der katholischen Schulen in Zeiten von Corona

Guardini akut | KW 45 bis 46/2021

Zur Relevanz der katholischen Schulen in Zeiten von Corona

Die katholische Schule als Modell einer funktionierenden Gemeinschaft
Von Markus Mollitor

Spätestens seit dem Jahr 2015 und insbesondere seit den mit der Coronapandemie einhergehenden Herausforderungen zeichnet sich in unserer Gesellschaft (auch auf den Straßen) die allen Gemeinschaften innewohnende Werte-Disparität ab. Und um es in Erinnerung zu rufen: Gesellschaft lebt von unterschiedlichen Positionen, sie sind gleichsam Garant dafür, dass die Gesellschaft nicht erstarrt, und die Voraussetzung dafür, sich selbst als Gesellschaft nicht absolut zu setzen, um so extremen Ausformungen entgegenzuwirken. Die bloße Existenz voneinander abweichender Positionen zwingt jede Gemeinschaft in die Auseinandersetzung mit sich selbst und in den Diskurs. Dieser unterliegt selbstverständlich auch von allen Seiten zu akzeptierenden Konventionen und Regularien, er muss rational geführt werden, es lässt sich also nur auf der Sachebene streiten, persönliche Positionen, Befindlichkeiten oder gar Empörungen müssen vom in den Diskurs involvierten Individuum geschieden werden. Es geht ganz konkret darum, ob ich selbst gewillt bin, mich an die Regeln des „gepflegten“ Austausches zu halten. Und wohlgemerkt: Das ist keine Forderung einer (parteiorientierten) Politik oder einer spezifischen Gemeinschaft (die man „liken“ oder „disliken“ darf), sondern das ist die Basis unseres ganz individuellen Bedürfnisses im Sinne des aristotelischen Zoon politikon, eines Wesens, das der Gemeinschaft bedarf (und das deshalb für diese eintritt).
Es stellt sich also in Anbetracht einer sich immer stärker säkularisierenden Welt die Frage, auf welchen Werten ein solcher Diskurs in unserer Gesellschaft geführt werden kann und muss.

Schulgemeinschaft ist ein gesellschaftlicher Mikrokosmos. Auch sie kann nicht einfach „bewahrt“ werden, z. B. indem die einzelnen Glieder der Gemeinschaft nicht gegen deren Regeln verstoßen; deren Akzeptanz hat als Grundkonstituente innerhalb der individuellen Motivation zu gelten. Insofern ist die Forderung nach aktiver Teilhabe an der Gemeinschaft im Sinne der von ihr formulierten Überzeugungen und Regeln nicht Auflage für deren Glieder, sondern Erfüllung der Konsequenz, die sich aus dem Wunsch, Teil dieser Gemeinschaft zu sein, ergibt. Dies lässt sich auch mit den Begriffen „Bekenntnis“, „Interesse“, „Überzeugung“ oder „Selbstverständnis“ benennen. Auch die Schulgemeinschaft bedarf der individuellen Ansichten und – auch abweichenden – Positionen des gemeinschaftlichen Diskurses: Nicht die Durchsetzung der eigenen Positionen durch Verhalten oder Tat, sondern nur der Diskurs innerhalb der Gemeinschaft darf und kann diese verändern und damit aktuell und lebendig erhalten und gestalten.

Die dabei unweigerlich auftretenden Spannungen sind notwendige „Markierungen“, die den Diskurs initiieren und zur Schulentwicklung beitragen. Junge Menschen daran zu beteiligen, sie dazu zu befähigen, eine sich selbst erfüllende Gemeinschaft aktiv zu gestalten, setzt deren Annahme „vor aller Leistung und trotz aller Schuld“ voraus, die auch ein Scheitern erlaubt, ohne dass der Mensch an sich selbst (ver)zweifeln muss.

Die sich dem christlichen Menschenbild verpflichtet fühlenden katholischen Schulen setzen damit einer von Egoismus, Pragmatismus und Utilitarismus geprägten Gesellschaft die Werte der christlich-jüdischen Tradition entgegen. Das ist das unsere Kultur begründende Wertegefüge. Natürlich bedeutet das Gebot, den Nächsten zu lieben wie mich selbst, dass ich mich selbst erst einmal annehmen können muss – laut Romano Guardini die vielleicht schwierigste Aufgabe des Menschen; es bedeutet aber eben auch, dass ich auch meinen Nächsten annehmen will und nur so kann. Dies war und ist Grundlage aller katholischer Bildungsarbeit: Es geht um den Menschen, der willens ist und der mich braucht als Teil einer Gemeinschaft, die ihm Not tut und Ziel ist.

Grafikdesign Anja Matzker


Markus Mollitor ist Schulleiter des Gymnasiums an der Katholischen Schule Bernhardinum in Fürstenwalde/Spree.

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