Guardini akut | „Raise up my mind“

Guardini akut | KW 41 bis 42/2021

„Raise up my mind“

Frizzi Krella spricht mit der Künstlerin Arina Dähnick über Mies van der Rohe, ihre Arbeit als Fotografin und über die Pandemie

Frizzi Krella: Wie bist Du auf die Idee für „The MIES Project“ gekommen?

Arina Dähnick: „The MIES Project“ fing an mit einem Foto von der Neuen Nationalgalerie im Jahre 2012, als ich an dem Gebäude vorbeikam. Es war ein besonderer Tag. Vorher war gerade ein Gewitter herniedergegangen, die Luft sehr klar, die Fenster sehr blank und mich hatte diese Stimmung und das Erscheinen der Architektur in Gänze erfasst. In diesem einzigartigen Moment stand ich ganz im Erleben. Und in meinem ersten Bild konnte ich gleich dieses intensive Empfinden umsetzen. Es entstand jenes erste Bild der Nationalgalerie, das jetzt auch unser Titelbild der Ausstellung geworden ist.

Das war also der Auftakt?

Ja und daraus ergab sich für mich die Fragestellung, im Reflektieren dieses Erlebens: Wiederholt sich dieses Gefühl auch an anderen Tagen, bei anderen Stimmungen und in anderen Häusern des Architekten Ludwig Mies van der Rohe?
Anfangs entstand eine Serie zur Neuen Nationalgalerie und erst nach meinem ersten Besuch in Barcelona 2016 mit der Erkenntnis des Barcelona Pavillons war es klar, dass es das „MIES Project“ sein wird. Es ist Mies’ einzigartige Architektur, mit seiner Formensprache, seinen Proportionen und seiner ihm ganz eigenen Ästhetik, die den Betrachter in ihren Bann zieht.

Als ich den ersten Skyscraper in New York besichtigte, war ich wahnsinnig aufgeregt und dachte: Mal sehen, wie das wird. Da bin ich von vornherein mit Genehmigung losgegangen. Und vor Ort empfing mich ein wunderbarer Security-Mann, der mich in eine völlig leere Etage führte. Ein Bild davon hängt ebenfalls in der Ausstellung.

War er es, den Du auch nach seinem Lebensgefühl in diesem Gebäude befragtest?

Ja, und er sagte: „To work here is raising up my mind every day.“ („Hier zu arbeiten bedeutet meinen Geist jeden Tag zu erheben.“)
Und diese Aussage ist sehr spirituell. Ich habe tatsächlich in Mies‘ Gebäuden spirituelle Momente und Erfahrungen erlebt. Und dieser Mann hat genau das dort erfahren.

In Tschechien zum Beispiel, in der Villa Tugendhat, erzählte mir ein Mitarbeiter, dass er abends, wenn das Haus leer sei, dort Klavier spiele. Wie großartig, auch hier wieder: „raise up my mind“.

Wann hast Du Dirk Lohan, den Enkel von Ludwig Mies van der Rohe, kennengelernt?

Ich wollte ihn schon lange kennenlernen und hatte überlegt, wie ich ihm schreiben werde. Und wie das manchmal so ist im Leben, ergab es sich dann einfach so. Ich war am IIT (Illinois Institute of Technology) bei Michelangelo Sabatino, dem Direktor, er wollte mit mir ein Buch und eine Ausstellung machen und schlug spontan vor, dass Dirk Lohan dazu ein Vorwort schreiben solle. Und ab da war das Eis gebrochen. Kurz darauf habe ich ihn persönlich kennengelernt

Bei unserem ersten Treffen schenkte ich ihm auch das erste Bild der Nationalgalerie mit dem Feuerlöscher, in das er sich sofort verliebte.

Welchen Weg nahm das „MIES Project“ danach?

Die erste Ausstellung fand im Atelier bei André Kirchner im Juni 2019 statt, gleich im Anschluss im Farnsworth House, dann am IIT und Goethe-Institut in Chicago, in der S.R. Crown Hall und im Anschluss in Brno in der Villa Tugendhat. 2021 hatte ich zwei Ausstellungen parallel in Barcelona, im Pavillon und im Caixa Forum. Und jetzt pünktlich zur Wiedereröffnung der Neuen National Galerie kann ich sie in der Guardini Galerie zeigen. Was für eine Reise.

Welche Auswirkungen hatte die Pandemie auf Deine Ausstellungen und Dein künstlerisches Schaffen?

Ich hatte mein tolles Visum für 2020, mit dem ich 300 Tage in den USA hätte bleiben dürfen, und dann kam der Lockdown und alles ging nicht mehr. Hier in Europa hatte ich auf der Frankfurter Buchmesse Bettina von Pfeil kennengelernt, die Kulturredakteurin von 3Sat und ZDF, und wir wollten gemeinsam einen Film zu Mies van der Rohe zur Eröffnung der Neuen Nationalgalerie machen. Auch Dirk Lohan und Frank Herterich waren von dieser Idee begeistert und wollten sehr gern ihr Material für den Film zur Verfügung stellen. Kurz nachdem wir am 9. März 2020 vom ZDF die offizielle Zusage für den Film hatten – ich stand kurz vor der Eröffnung in der Villa Tugendhat auf der Terrasse, die Silhouette der Stadt Brno im Hintergrund und wir waren unglaublich euphorisch –, kam der Lockdown. Er kam in Tschechien, er kam hier in Deutschland, und alles wurde anders und das Geld ging dann schlussendlich nicht in unseren Film über die Architektur der Moderne im vorigen Jahrhundert, sondern es ging in Coronafernsehen und der Film war tot. Die Idee konnte bis heute nicht wieder aufgenommen werden.

Ich bin trotzdem zufrieden, was mein Projekt betrifft. In Tschechien wurde ein Film gedreht, ich habe für das Buch einen Preis bekommen. Was ich verloren habe, und das macht mich traurig und betrifft unser gesamtes Team, ist der Verlust dieser historischen Chance um den Nachlass von Mies und damit verbunden auch die Richtigstellung historischer Missverständnisse. Darum tut es mir am meisten leid. Für die Protagonisten, die Enkel von Mies van der Rohe, die ja auch noch lebendige Erinnerungen an alles haben, hätte sich das aufgelöst. Und das ist so schade.
Wenn solche Jubiläen erst einmal vorüber sind, wird auch so schnell nichts kommen.

An welchen Projekten arbeitest Du aktuell?

Derzeit arbeite ich an einem Projekt über die Architektur von Zaha Hadid mit dem Titel „Exploring ZAHA Hadid“ sowie an einem zweiten über das Leben von Menschen mit und in der Architektur Ludwig Mies van der Rohes: „Living with MIES“.

Und dann bin ich als Fotografin nach Chicago eingeladen worden, zu einem Teamprojekt, mit dem großartigen Lichtinstallateur David Wallace Haskins. Es geht um Pavillons in der Welt, die Geschichte des Pavillons. Geplant ist dabei neben dem Farnsworth House einen großen begehbaren Pavillon zu bauen, David Wallace Haskins ist der Künstler vor Ort. Michelangelo Sabatino ist der Autor.


 

Die Ausstellung „The MIES Project“ ist noch bis zum 29. Oktober 2021 in der Guardini Galerie zu besichtigen. Geöffnet Montag bis Freitag 13-18 Uhr. Eintritt frei.

Wir laden Sie herzlich zum Künstlergespräch „Erfahrungsraum MIES“ am 25. Oktober 2021 um 19:00 Uhr mit Joachim Jäger, dem Leiter der Neuen Nationalgalerie, und Arina Dähnick in die Kirche St. Matthäus ein.


 

Arina Dähnick lebt als Fotokünstlerin in Berlin. Ihre internationalen Projekte „Perfect Life“, „Contemporary Architecture Barcelona“ und „The MIES Project“ wurden in Zeitungen und Magazinen wie z.B. Tectonica, Metalocus, The Plan, Photonews, LFI International veröffentlicht und vorgestellt. Zum „MIES Project“ erschien 2019 eine Publikation mit einem Vorwort von Dirk Lohan und einem Essay von Michelangelo Sabatino in der Edition Cantz bei DCV-books.

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