Guardini akut | Interview mit Joachim Klinger

Guardini akut | KW 38/2020

Die Texte rühren uns an – über alle Jahrhunderte hinweg“

Ein Gespräch mit dem Dichter und Zeichner Joachim Klinger über sein Lebenswerk
Von Andreas Öhler

Herr Klinger, Sie sind der Guardini Stiftung schon lange verbunden. Wie kam es dazu?

Ich war eng befreundet mit dem Kunsthistoriker Otto von Simson, einem der Gründungsväter und Präsident der Stiftung.

Sie sind Zeichner und reimender Poet, im Brotberuf waren Sie 30 Jahre lang als Jurist im nordrhein-westfälischen Kultusministerium tätig. Wie kriegte man das unter einen Hut?

Das war nicht immer einfach zu gewichten. Da ich nun gleichzeitig Kulturbeamter war, wollte ich nicht den Eindruck erwecken, ich könnte jede Förderung erwarten. Als ich dann pensioniert war, konnte ich es ein wenig lockerer angehen.

Man kann sich ausmalen, dass Ihre Schulhefte früher voller kleiner Kritzeleien waren, wenn sie sich im Unterricht gelangweilt haben.

Oh ja. Im Unterricht zeichnete ich fortwährend, habe aber dabei immer genau zugehört. Natürlich versuchten mich die Lehrer auf dem Gymnasium der Unaufmerksamkeit zu überführen. Aber das Zeichnen versetzte mich in einen kontemplativen Zustand, der Raum schaffte für höchste Konzentration. Sie haben mich nie erwischt.

Sie haben einen sehr schnellen Strich. Und bringen die Dinge auf den Punkt.

Das wurde aber gerade gelegentlich kritisiert. Man riet mir, mit vorsichtigen Strichen heranzugehen, erstmal Konturen vorsichtig zeichnen und dann schraffieren. Aber ich hatte nun mal die Angewohnheit, immer sehr kräftige Striche zu machen, die dann meist sofort saßen.

Haben Sie denn ernsthafte Ambitionen entwickelt, wenn ihnen ohnehin alles so zuflog?

Es gab eine Weiterentwicklung. In Frankreich, wo ich mit meiner Frau und meinen Töchtern immer unseren Sommerurlaub verbrachte, besuchte mich im Anjou ein Hochschulprofessor für Kunst aus Dortmund. Der sagte: „Mensch Klinger, mal doch nicht immer nur Köpfe. Hier gibt es doch so wunderbare Häuser, Gemäuer und Schlösser. Zeichne doch das mal!“ Ich ging in den Dorfladen, dort lagen noch drei Zeichenhefte neben der Marmelade, eines war ganz verklebt. Die habe ich mir gekauft mit Schwarzstiften losgelegt und zunehmend Freude daran gewonnen. Zu meiner Freude ist es mir jetzt im hohen Alter gelungen, 324 Zeichnungen dem Archiv des Departements Maine-et-Loire in Angers als Schenkung zu vermachen. Nun bin ich sie los und das ist eine Erleichterung im Alter, denn man muss ja sehen, dass man seine Hinterlassenschaft reduziert und nicht Berge von Bildern zurücklässt.

Sie haben in der Nähe der Bonner Republik gewohnt. Da war die politische Karikatur noch in ihrer Höchstphase. Haben sie jemals überlegt, mit Ihrem schnellen Strich auch politische Karikaturen zu machen?

Natürlich, nur konnte ich sie in meiner Stellung nicht veröffentlichen. Ich hatte mal das Vergnügen, während meiner Amtszeit eine Karikaturenausstellung eröffnen zu dürfen. Das war in Leverkusen. Da war ein Karikaturist, der hat, wenn ich mich recht erinnere, Porträtkarikaturen gezeichnet. Kohl und Strauß hingen da zusammen neben irgendeiner Nazigröße. Da gab es eine Riesenaufregung. Ich wurde vom Pressereferenten des Kultusministeriums gebeten, weil ich ja nun diese Ausstellung eröffnet hatte, diese Hängung zu kommentieren. Ich argumentierte: Eine Karikatur kann doch keine bessere Wirkung erzeugen als mit einer solchen Aktion. Und Wirkung zu erzeugen, in Form von Überzeichnung, ist doch der Sinn der Karikatur!

In Ihnen wohnen zwei Künstler: Der Zeichner und der Dichter. Wie stehen die zueinander? Dominiert einer von beiden?

Bei Wilhelm Busch habe ich oft über das Verhältnis von Text und Zeichnung nachgedacht, und bin zum Ergebnis gekommen, dass es letztlich völlig unerheblich ist, was am Anfang steht. In meiner Morgenstern-Ringelnatz-Nachfolge dachte ich oft, ich müsste noch eine Zeichnung dazu machen. Es ist wohl häufiger die Zeichnung dem Gedicht gefolgt als umgekehrt.

Sie sind ein Reimeschmied. Muss ein Gedicht immer gereimt sein?

Ich habe nun mal eine Neigung zum Reim. Und man sagte oft, die Lyrik hätte in den Zwanzigern, Sechzigern oder heute geschrieben werden können. Als wären alle literarischen Entwicklungen völlig daran vorbeigegangen.

Und was entgegnen Sie dieser Kritik?

Liebe, Leid, Missgeschicke sind anthropologische Grundkonstanten. Sonst würde uns ein Goethe-Gedicht oder der Minnesang nur noch literaturhistorisch interessieren. Aber die Texte rühren uns an – über alle Jahrhunderte hinweg.


Der Zeichner und Dichter Joachim Klinger war als studierter Jurist 30 Jahre lang im Kultusministerium des Landes Nordrhein-Westfalen tätig, zuletzt als leitender Ministerialrat. Seine zahlreichen Gedichtbände in der geistigen Nachfolge von Joachim Ringelnatz und Christian Morgenstern hat er mit eigenen Illustrationen versehen. Sein bisher letzter Streich: „Großer Tusch für Wilhelm Busch. Einführung und Illustrationen zu Versen von Wilhelm Busch“ erschien erst kürzlich im Grupello Verlag. Joachim Klinger ist seit 33 Jahren Mitglied der Guardini Stiftung.

Kategorien: