Guardini akut | Sky & Heaven | Interview mit Frizzi Krella

Guardini akut | KW 35/2020

„Das ist ganz großes Kino“

Ein Gespräch mit der Kunsthistorikerin und Kuratorin Frizzi Krella über ihre Arbeit in der Guardini Galerie und die aktuelle Ausstellung „Sky & Heaven“
Von Andreas Öhler

Die Galerie der Guardini Stiftung begeht am 11. September 2020 ihr zwanzigjähriges Jubiläum. Sie sind dort für die Ausstellungen zuständig. Seit wann sind Sie als Kuratorin für die Stiftung tätig?

Ich bin 2009 dazugekommen und gehe jetzt ins zwölfte Jahr. Eingeladen zur Mitarbeit wurde ich vom Kunsthistoriker und Kurator Matthias Flügge, der bis 2006 Vizepräsident der Akademie der Künste war. Große Ausstellungen der Stiftung haben wir gemeinsam gemacht, u. a. das DEKALOG-Projekt, das wir zusammen mit Eugen Blume und Mark Lammert über fünf Jahre hinweg kuratiert haben.

Können Sie sich noch an das erste Projekt erinnern, das Sie für die Galerie umgesetzt haben?

Mein erstes großes Projekt war eine Sandschüttung des israelischen Künstlers Micha Ullman im Rahmen der Ausstellung SANDTAG in der Guardini Galerie. Das wohl bekannteste Denkmal von ihm in Berlin ist das Mahnmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung auf dem August-Bebel-Platz.

Sie machen vielerorts Ausstellungen, u. a. auch in Dresden. Was macht den Unterschied, wenn Sie ein Projekt für die Guardini Stiftung entwickeln?  

Ich habe dabei immer das Guardinische Dreieck der Stiftung vor Augen: das Beziehungsgeflecht, die Triangel aus Wissenschaft, Kunst und Glauben. Das ist das Logo der Stiftung. Das heißt aber nicht, dass sich immer alle drei Bereiche unmittelbar in den Kunstwerken widerspiegeln müssen. Was einen Künstler ausmacht, ist, dass er in besonderer Weise auf die Welt schaut und Dinge sichtbar macht, die uns selbst aus dem Blick geraten sind. In der Kunst schwingt per se eine transzendente Ebene mit, die uns etwas über die Weltzusammenhänge sagt, ob religiös oder nicht.

Eine Ausstellung ist mehr als die Summe der gezeigten Werke. Wie gehen Sie daran, den Guardini-Gedanken umzusetzen?

Da greife ich vor allem auf die Erfahrungen meiner Ausstellungstätigkeit der vergangenen Jahre zurück. Mir begegnen immer wieder sehr interessante und fantastische Künstlerinnen und Künstler mit berührenden und sehr besonderen Arbeiten. Es sind gerade diese vielfältigen und differenzierten Sichtweisen, die in den guardinischen Kontext passen – das Blicken hinter die Dinge, wie es Guardini lehrte, das Befragen des menschlichen Daseins. Diese Künstler tun genau das und lösen damit Fragen und Assoziationen aus. Eine besondere Möglichkeit des Ausstellens von Kunst sehe ich auch in einem begleitenden Ausstellungsessay zu einem ausgewählten Thema.

Die jetzige Jubiläumsausstellung ist dem Himmel in seiner ganzen Mannigfaltigkeit gewidmet: „Sky & Heaven. Der Himmel über Berlin“. Warum genau dieses Thema hier und jetzt?

Wir alle leben unter dem einen Himmel und dennoch haben wir unseren eigenen Himmel in uns, in unserem Geist, in unserer Seele, in unserem Körper. Wir erleben Tag und Nacht, Licht und Dunkel. Wolken treiben in unseren Gedanken, die Vögel ziehen und manchmal kommen Unwetter auf. Wo immer wir uns in Europa nachts befinden, wir sehen alle denselben Mond, in anderen Kontinenten etwas zeitversetzt. Es ist das Firmament, das uns alle miteinander verbindet und das uns überspannt.

Die Ausstellung wurde u. a. von Wim Wenders´ Film „Der Himmel über Berlin“ inspiriert. Wie kam es dazu?

Wim Wenders hat seinen Film 1987 gedreht. Ich lebte zu dieser Zeit in Ostberlin. Für mich funktionierte er, als ich ihn nach der Wende sah, wie eine Prophezeiung darüber, was dann im Herbst 1989 geschah. Wenders hat sich bereits damals über die Grenzen zwischen Ost und West hinweggesetzt. Er hat auf die geteilte Stadt geschaut aus einem geteilten Himmel heraus – und sich ganz unmittelbar mit dem menschlichen Dasein auseinandergesetzt. Himmel und Erde spiegeln sich in diesem Werk in einer einzigartigen Poesie wieder, zu der Peter Handke nicht unwesentlich beitrug. Dieser Film inspirierte mich dann zu dieser Ausstellung.

Sie haben dafür Künstlerinnen und Künstler versammelt, die in der Guardini Galerie in den letzten zwei Dekaden ausgestellt haben. Warum?

Offengestanden finde ich die Idee, einfach nur eine Jubiläumsausstellung konzipieren, eher uninteressant. Ich finde, jede Ausstellung muss einer Inspiration folgen, ist eine Suche nach einem Mehr, das unser Leben so wertvoll macht. Dazu haben wir Künstlerinnen und Künstler eingeladen, die in den letzten zwanzig Jahren in besonderer Verbindung zur Guardini Stiftung standen und stehen und hier bereits ausgestellt haben.

Was werden die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung zu sehen bekommen?

Der Maler Alfred Sisley sagte einmal so schön: „Ich beginne ein Bild stets mit dem Himmel.“ Es werden Arbeiten ausgestellt, die diesen Himmel abbilden, ähnlich wie in der traditionellen Landschaftsmalerei der Himmel immer als eine Sphäre des Göttlichen anwesend ist, als ein Seelenspiegel. Aber auch absurde, realistische Perspektiven werden gezeigt: Der Berliner Flughafen BER, auf dem noch kein Flugzeug gelandet und gestartet ist. Der Leipziger Künstler Matthias Hoch fotografiert die Start- bzw. Landebahn des zukünftigen Flughafens, markiert mit zwei roten Balken: ein mythisch aufgeladener Ort des Stillstandes, durchkreuzt, der seit 2012 auf seine Inbetriebnahme wartet.

Ein weiteres Bild desselben Künstlers zeigt den Himmel als ein Versprechen für Aufbruch und Veränderung, den Wechsel in neue Sphären. Vor der Maueröffnung hatte Matthias Hoch zum ersten Mal die Möglichkeit, nach Frankfurt, Paris und Westberlin zu reisen. Schwebend in der Magnetbahn über dem Potsdamer Platz, dem Niemandsland, fast über der Berliner Mauer, musste er eine schwierige Entscheidung treffen: Bleiben oder zurückgehen? Am 16.10.1989 war Hoch rechtzeitig zur ersten großen Demonstration wieder in Leipzig. Zum Glück ging alles gut.

Die Fotografin Barbara Klemm porträtiert ein junges Liebespaar hinter dem Martin-Gropius-Bau, an der Berliner Mauer. Der ungestörte Blick von West nach Ost. Und Lara Faroqui hat einen Film mit zeichnerischen Ausschweifungen gedreht, in dem das Licht des Berliner Himmels im Hinterhof über ihr Zeichenpapier wandert und sich niederschreibt. Flüchtige Schatten der Bäume und ihre Bewegungen werden im Dialog zwischen Bild und Musik zur Zeichnung.

Bildhauer geraten da doch eher ins Hintertreffen, oder? Wie lässt sich der Himmel plastisch abbilden?

Friedemann Grieshaber hat Wolken in Beton gegossen. Sie sind natürlich genau das Gegenteil dessen, was Wolken sind. Er schuf eine „Viertelwolke“, eine kleine Skulptur mit dem Titel „Die viertel Wahrheit“. Auf der Betonwolke befindet sich ein Häuschen, das an das sprichwörtliche Wolkenkuckucksheim erinnert. In den zwölf Partituren von Harriet Groß macht sich die Künstlerin das formale Prinzip der Komposition einer Fuge zu eigen und spielt so für sich immer wieder aufs Neue Themen durch, die sie in Rhythmen gliedert. Es sind Bewegungen sowie Gegenbewegungen, Zwischenräume – Pausen als wichtige Momente des Ausatmens und Innehaltens.

Wie ordnen Sie die Werke an?

Wir verfügen über drei Räume. Wahrscheinlich werde ich mich im ersten Raum der Malerei widmen, im zweiten Raum werden Zeichnungen zu sehen sein, ein Film und vielleicht ein weißes diaphanes Gemälde. Im Kellergeschoss wird Fotografie dominieren. Ausstellungen entstehen meistens beim Aufbauen. Es ist ein Prozess, der neuen Gedanken und Veränderungen unterworfen ist.

Worauf legen Sie besonderen Wert?

Es ist mir sehr wichtig, dass im Wechselspiel der Werke ein Klang entstehen kann und kein zu fragiles Bild neben einem stärkeren, oder besser gesagt lauten Bild verstummt.

Ganz besonders freut mich das Schwarz-Weiß-Foto von Ingar Krauss, das wir auf unserer Einladungskarte abgedruckt haben: Das alte Kino „Colosseum“ schrieb Berliner Kinogeschichte. Nach der Wende wurde das Filmtheater umgebaut und die Wand, auf die der Film projiziert wurde, weggerissen und geöffnet. So blickt der Zuschauer quasi aus einem Tempel der Imagination durch den Raum hindurch ins Offene, durch die Realität in den Himmel. Und das ist ganz großes Kino.


Frizzi Krella studierte Kunstgeschichte, Archäologie sowie romanistische Literatur- und Sprachwissenschaften in Berlin und Paris. Veröffentlichungen zur Kunst der Moderne und zu zeitgenössischen künstlerischen Positionen. Als freischaffende Kunsthistorikerin und Kuratorin lebt sie in Berlin und kuratiert neben zahlreichen anderen Projekten die Ausstellungen in der Guardini Galerie.

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