Guardini akut | Interview mit Max Cappabianca OP

Guardini akut | KW 29/2020

„In diesem Moment können wir etwas gestalten“

Ein Interview mit Pater Max Cappabianca OP über seine Arbeit mit internationalen Studierenden, Seelsorge in Zeiten von Corona und die Chancen der Krise
Von Patricia Löwe

Du betreust die Katholische Studierendengemeinde Edith Stein in Berlin. Wie sieht Deine Arbeit aus? Welche Aufgaben fallen Dir als Studierendenpfarrer zu?

In Berlin gibt es etwa 180.000 Studierende. Die Katholische Studierendengemeinde ist für diejenigen da, die ein geistliches Angebot suchen. Das wichtigste ist sicher der Gottesdienst am Sonntagabend in St. Augustinus in Prenzlauer Berg. Dazu kommen Bildungsangebote, soziale Hilfe, Beratung, Coaching und Gemeindeabende. Wir erarbeiten alles zusammen mit den Studierenden. Zum Beispiel gab es kürzlich einen Abend mit dem Titel „Rassismus bei mir“. Alle Welt redet jetzt sehr allgemein über Rassismus; aber wir haben uns das Problem ganz konkret bei uns selbst angeschaut, zumal wir viele Internationals haben, die persönlich davon betroffen sind und von Alltagsrassismus berichten können.

Ich habe außerdem häufig mit den kirchlichen Begabtenförderungswerken zu tun – also mit dem Cusanuswerk und dem Katholischen Akademischen Ausländerdienst –, ganz einfach, weil es in Berlin viele Studierende gibt, die sich dort bewerben bzw. gefördert werden. Und schließlich leisten wir natürlich auch individuelle Seelsorge, sprich geistige Begleitung und Beichte.

Wie groß ist das Team?

Das hauptamtliche Team umfasst dreieinhalb feste Mitarbeiter*innen, also vier Personen. Dazu kommen eine Pastoralassistentin, die in Adlershof einen hochschulpastoralen Auftrag hat, und ein Praktikant.

Wie viele in der KSG aktive Studierende betreut Ihr?

Das ist schwer zu sagen. An einem Sonntag kommen in etwa 40 bis 60 Studierende zum Gottesdienst. Durch Corona musste ich teilweise Anwesenheitslisten führen – aber ich wusste natürlich vorher schon, dass nicht alle jeden Sonntag kommen. Wir erreichen vielleicht insgesamt 200 bis 300 Personen in unterschiedlichen Formen der Verbindlichkeit. Dazu kommt mein Engagement als Hochschulseelsorger für die Katholische Fachhochschule für Sozialwesen in Karlshorst und meine Arbeit mit den katholischen Studentenverbindungen. Zuletzt ist dann noch das Institut für katholische Theologie an der Humboldt-Universität dazugekommen, wo ja auch der Guardini Lehrstuhl angesiedelt ist. Es ist schön, dass mittlerweile etwa 100 Studierende dort eingeschrieben sind.

Was ist Deine liebste, was ist die anstrengendste Aufgabe als Studierendenpfarrer?

Zu den ungeliebtesten Aufgaben gehört alles, was mit Verwaltung zu tun hat. Für jeden Vortrag oder Gast, den wir haben, müssen insgesamt fünf Seiten Formular ausgefüllt werden. Zum Glück habe ich einen Kollegen, der mir da hilft.

Am meisten Freude macht mir tatsächlich die konkrete Arbeit mit Studierenden – alles, was wir gemeinsam unternehmen; wir sind ja schon mehrfach zum Guardini Salon gekommen: übrigens ein ganz tolles Format! Zu Ostern sind wir jedes Jahr als Gemeinde weggefahren – außer in diesem Jahr wegen Corona. Vor zwei Jahren haben wir eine Romwallfahrt unternommen. Dieses Jahr wollten wir nach Jerusalem; das wird nun leider nicht klappen. Wenn alles gut geht, fahren wir nächstes Jahr nach Straßburg. An diesen Dingen habe ich wirklich Freude.

Wie bist Du zur KSG in Berlin gekommen?

2006 bis 2016 war ich in Rom, zunächst drei Jahre bei Radio Vatikan und danach siebeneinhalb Jahre in der Ostkirchenkongregation, also in einem Ministerium des Vatikans für unierte Ostkirchen. Ich habe darum gebeten, versetzt zu werden. Ich dachte mir: Nach zehn Jahren in Rom ist es mal wieder an der Zeit, etwas mit „normalen“ Menschen und nicht nur mit Bischöfen zu machen (lacht). Ich war sehr gerne in Rom. Aber wenn man zu lange in einer Verwaltungstätigkeit ist und noch andere Begabungen hat, ist es gut, irgendwann den Standort zu wechseln. Schließlich ergab sich die Gelegenheit, dass mein Vorgänger, Pater Bernhard Kohl, aufhörte. Meine Brüder in Deutschland wollten ohnehin schon lange, dass ich zurückkomme. Der interessante Job hat dann den Ausschlag gegeben, diesem Wunsch nachzukommen. Jetzt bin ich seit drei Jahren wieder in Berlin.

Wie hat sich Deine Arbeit mit den Studierenden seit Corona verändert?

Alles hat sich ins Digitale verlagert. Einige Studierende leiden sehr darunter, allein in ihrem Zimmer zu sein, solange alles nur noch online läuft – um deren seelische Probleme kümmern wir uns verstärkt. Das digitale Studium stellt für viele eine Belastung dar.

Andererseits gibt es auch Personen, die sehr gut damit umgehen und das als echte Chance begreifen. Beispielsweise haben wir als eine der ersten Gemeinden in Berlin nach Beginn der Krise mit Online-Gottesdiensten angefangen. Das hat zu einer Explosion der Kreativität der Studierenden geführt, vor allem der Musiker. Die können jetzt Dinge machen, die man live technisch nicht so einfach hinbekäme. Seitdem wir wieder „in Präsenz“ feiern dürfen – auch die Eucharistiefeier –, wechseln wir deshalb tatsächlich wöchentlich zwischen Offline- und Online-Gottesdiensten.

Ergreifst Du besondere Vorsichtsmaßnahmen bei Live-Gottesdiensten?

Wir halten die Gottesdienste im Freien ab. Natürlich haben wir vom Erzbistum ein paar Hinweise bekommen, aber letztlich muss jede Gemeinde selbst entscheiden, wie sie das handhabt. Christi Himmelfahrt haben wir in den Prinzessinnengärten gefeiert, Pfingsten im Innenhof von St. Augustinus.

Ich wasche mir natürlich ständig meine Hände. Wir singen nicht, wir summen nur – die Musiker singen vor für alle anderen. Und wir führen Anwesenheitslisten. Die sind zwar neuerdings nicht mehr obligatorisch, aber seitdem ein katholischer Priester in Stralsund so viele Menschen angesteckt hat, habe ich beschlossen, dass wir das trotzdem tun. Ich will wissen, wer da ist, damit ich im schlimmsten Fall Infektionsketten nachverfolgen kann.

Hast Du persönlich Angst vor Ansteckung?

Manchmal wünschte ich, ich hätte Covid-19 schon symptomlos gehabt. Demnächst werde ich, in Reaktion auf den Fall von Stralsund, selbst einen Test machen. Ich möchte niemanden gefährden. Leute, die häufig mit Menschen in Kontakt sind, sollten das meiner Meinung nach regelmäßig machen.

Wie geht es den internationalen Studierenden während der Coronakrise? Musst Du hier besondere seelsorgerische Arbeit leisten?

Das ist extrem schwierig. Die fallen durch viele Sicherungsmechanismen. Es gab zum Beispiel Nothilfeangebote für Menschen ohne Arbeit, die diese Studierenden aber nicht nutzen konnten, u. a. weil sie keine deutschen Staatsbürger sind. Wir haben einen kleinen Notfonds, den das Erzbistum uns in anderem Zusammenhang schon vor zwei Jahren zur Verfügung gestellt hat und den meine Kollegin Karen Siebert verantwortet. Aber der ist längst aufgebraucht für dieses Jahr. Es gibt Studierende, die wirklich kein Geld mehr zum Essen haben. Deshalb sind wir da sehr engagiert und versuchen auch politisch Druck zu machen, damit diesen Leuten unbürokratisch geholfen wird.

Teilweise stammen die Internationals auch aus Ländern mit gravierenden Problemen. Ich habe einen Studierenden aus Nicaragua, wo ein katastrophales Regime herrscht, das behauptet, es gäbe keine Coronapandemie. Dieser Studierende ist Arzt und macht an der Charité ein Aufbaustudium in Public Health. Seine Kolleg*innen in Nicaragua berichten, dass die Menschen wie die Fliegen sterben; das wird einfach geleugnet und damit auch nicht eingedämmt. Wir hatten auch Studierende aus Ecuador oder Brasilien, die hier hängengeblieben sind und nicht nach Hause konnten, weil es keine Flüge mehr gab. Andersherum gab es auch deutsche Studierende, die im Ausland gestrandet waren, eine in Kanada, einer in Jordanien. Zum Glück sind beide wieder zurück. Toll war, dass sie trotz der großen Entfernung an Online-Gottesdiensten teilnehmen konnten, Lesungen gelesen und Fürbitten gehalten haben. Wir haben per Zoom mit ihnen sprechen können, und das war ein wirklich gutes Gefühl für beide Seiten.

Hilft denn der Glaube bei diesen ganz lebenspraktischen, zum Teil sehr großen Nöten?

Ich habe auf Twitter ein Interview des Deutschlandfunks mit Olivia Mitscherlich-Schönherr kritisch kommentiert, die der Kirche vorwirft, sie sei in dieser Krise spirituell untätig geblieben. Mich hat das unheimlich geärgert. Selbstverständlich behauptet niemand mehr, dass Corona eine Strafe Gottes ist. Aber trotzdem versuchen wir, auch geistlich damit umzugehen und uns zu fragen, was die Krise für unseren Glauben heißt. Das bedeutet eben nicht nur Sprachlosigkeit, sondern zum Beispiel die tröstenden Aspekte von Religion in den Blick zu nehmen oder die Frage zu stellen, wie man mit Brüchen in der Biographie umgeht. Die Pläne so vieler Studierender – Praktika im Ausland oder Auslandssemester –, wurden über den Haufen geworfen. Und genau in solchen Situationen fragen sich diese jungen Menschen, was sie antreibt und was ihnen wichtig ist. Das ist unser täglich‘ Brot.

Man könnte sich dennoch theologisch fragen, ob beispielsweise die Aussagen des Papstes zur Krise mitzutragen sind. Franziskus sagt, Corona setze ein Fragezeichen hinter die Art und Weise, wie wir leben. Hier muss man gut überlegen, was gemeint ist. Jedes Erlebnis kann ein Anlass sein, umzukehren. Aber falsch wird es, wenn dahinter die Vorstellung einer göttlichen Pädagogik aufscheint. Das wäre dann auf Umwegen doch wieder eine Strafe Gottes.

Wie hast Du den Lockdown erlebt? Bist Du als Ordensbruder Zurückgezogenheit gewohnt oder hast Du die Maßnahmen als starke Einschränkung empfunden?

Wir sind Dominikaner. Die Welt ist unser Kreuzgang, hat mal jemand gesagt. Wir sind so gesehen keine normalen Mönche. Ich bin einer von fünf Brüdern hier in Berlin. Wir alle sind ständig unterwegs und reisen viel. Durch Corona hat sich das verändert; wir verbringen sehr viel Zeit miteinander – und das ist eigentlich wunderbar! Alle kochen sehr gut! Ich bin natürlich viel mit der Studierendenseelsorge beschäftigt, aber die anderen haben Zeit gewonnen, zu schreiben und theologisch zu arbeiten. Wir haben aus der Krise wirklich das Beste gemacht. Und inzwischen hat sich vieles ja wieder normalisiert.

Zum Schluss: Dein persönlicher Tipp für die Coronazeit?

Nach der Krise wird das Leben vermutlich anders aussehen als vorher. Das heißt, in diesem Moment können wir etwas gestalten. Deshalb ist es jetzt für jede und jeden ein Gewinn, sich zu überlegen, was sie oder er im Privaten und Beruflichen verändern bzw. beibehalten möchte. Ich persönlich hoffe, dass wir uns diese Augenblicke von Lebensqualität, die viele infolge der zwangsweisen Verlangsamung gewonnen haben, bewahren können.


Der Dominikanerpater Max I. Cappabianca betreut seit 2017 die Katholische Studierendengemeinde Edith Stein in Berlin. Zuvor war er über zehn Jahre in Rom tätig – zunächst bei Radio Vatikan, danach in der Ostkirchenkongregation. Neben seiner Arbeit in der Studierendenseelsorge moderiert er die Sat.1-Sendungen „So gesehen“ und „So gesehen Talk am Sonntag“.

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