Guardini akut | Mein Guardini

Guardini akut | KW 27/2021

Mein Guardini

Romano Guardini als Begleiter eines geistlichen Lebens
Von Pater Anselm Grün

In den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts habe ich öfter eine Woche Exerzitien im Dominikanerinnenkloster Neustadt am Main gemacht. Da bin ich immer einen Tag zur Burg Rothenfels gewandert, bin den Philosophenweg gegangen, den Romano Guardini oft morgens für sich ging, um seine Gedanken zu sammeln. Und ich habe die Atmosphäre auf der Burg geatmet und mir vorgestellt, wie Romano Guardini damals die jungen Menschen begeistert hat. Er war nicht der typische Jugendseelsorger. Er war als Theologe ernster. Aber er hat die jungen Menschen fasziniert mit seinen abendlichen Gesprächsrunden und vor allem mit der Art und Weise, wie er mit ihnen Liturgie gefeiert hat. Bei meinen Besuchen auf Burg Rothenfels setzte ich mich längere Zeit in die Burgkapelle, die Rudolf Schwarz gemeinsam mit Romano Guardini gestaltet hat. Da wird der Geist Guardinis erfahrbar: Einfachheit, Klarheit, ganz und gar auf die Gestaltung der Liturgie ausgerichtet.

Als Gymnasiast habe ich Romano Guardinis Buch „Das Ende der Neuzeit“ gelesen, aber nicht alles verstanden. Im Noviziat habe ich dann sein wohl berühmtestes Buch „Vom Geist der Liturgie“ gelesen, mit dem er damals den jungen Menschen den Sinn für Liturgie erschlossen hat. Und ich habe im Noviziat „Der Herr“ täglich meditiert. Als wir in den siebziger Jahren öfter bei Graf Dürckheim waren und dort den Leib als wichtigen Ort des geistlichen Lebens wieder entdeckt haben, habe ich Guardinis „Von heiligen Zeichen“ gelesen. Er hat mit einer einfachen, aber doch schönen und klaren Sprache über das Knien und Stehen und Sitzen und Sichverbeugen geschrieben.

Während des Theologiestudiums habe ich mich mehr Rahner und modernen Theologen wie Schillebeeks und Schoonenberg zugewandt und auch evangelischen Theologen wie Paul Tillich, Rudolf Bultmann und Jürgen Moltmann. Doch in den letzten Jahren habe ich mir immer wieder Bücher von Guardini zur Hand genommen. Berührt haben mich seine Gedanken, die er in „Stationen und Rückblicke/Berichte über mein Leben“ geschrieben hat. Da zeigt er sich als kritischer Beobachter auch der Kirche. Er leidet darunter, dass er lange Zeit von den Theologen nicht anerkannt war. Er galt als Schönschreiber aber nicht als Theologe. Umso dankbarer war er, als er dann im Alter doch auch von Bischöfen und Theologen geschätzt war. Bei Laien waren seine Bücher immer beliebt.

Gerade im Blick auf die heutige Situation schärft uns Romano Guardini, dass wir nur im Dialog mit der Wissenschaft, mit der Literatur und Kunst eine Sprache finden, die die Menschen anrührt. Was er am 19.8.1942 nach dem Lesen von Nietzsches „Wille zur Macht“ schreibt, gilt wohl auch für die heutige Situation der Kirche: „Die übliche Christlichkeit, Theologie und Predigt, stehen –geschichtlich genommen – überhaupt nicht da, wo die Entscheidungen fallen.“ Guardini leidet unter der Bedeutungslosigkeit der Kirche. In seinen Büchern wagt er den Dialog mit den Menschen und versucht, die Botschaft Jesu so darzustellen, dass suchende Menschen sie verstehen. Aber ihm ist jede Selbstdarstellung fern. Das wird deutlich in seiner Bemerkung über die Demut: „Ihre erste Stufe ist die Bescheidenheit, welche sagt: Andre sind auch noch da und sind vielleicht besser als ich – wozu noch der Geschmack kommt, der es dumm findet, sich vorn hinzustellen. Ihre zweite Stufe ist das Stehen in der Wahrheit, über welche die eigene Person sich selbst vergisst. Die dritte Stufe ist die Liebe, die jene heilige Bewegung mitvollzieht, in welcher der große Gott sich ins Kleine hinabgeworfen hat.“ (Stationen 125)

Guardini hat nicht nur unter Depressionen gelitten, sondern im Alter auch unter Trigeminus, der ihn oft plötzlich mit heftigen Schmerzen überfallen hat. Aber gerade als der, der zu seiner eigenen Schwermut stand und sie in einem eigenen Buch zu deuten versuchte, hat er den Zugang zu den Menschen gefunden. In seinen persönlichen Aufzeichnungen wird deutlich, dass er immer wieder neu um den Glauben gerungen hat. Er hat es sich nicht leicht gemacht, zu schreiben. Das Schreiben war für ihn immer ein Ringen um die Wahrheit.

Das Aufleuchten der Wahrheit war für ihn ein zentrales Thema. Darin fühlt er sich mit Platon verbunden. Das drückt er in seiner Dankesrede zu seinem 80. Geburtstag aus. Er schließt seinen Vortrag mit den Worten: „Es wäre, glaube ich, gut platonisch zu sagen, der Mensch verrate seinen Adel, wenn er sich von dem her verstehe, was unter ihm ist. Vielmehr lebe er erst dann richtig, wenn er von dem herab lebe, was über ihm ist – auch wenn er nicht fähig ist, es zu begreifen.“ (Stationen 315)

Ich war fasziniert, als ich die Vorträge las, die Romano Guardini unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg vor jungen Menschen hielt, die ihn dazu eingeladen hatten. Da war sein zentrales Thema die Macht der Wahrheit, die nach der Lüge der Nationalsozialisten neu zur Geltung gebracht werden sollte. Er spricht zu jungen Menschen. Aber er fordert sie zum Denken heraus. Er spricht eine Sprache, die sie verstehen, ohne sich ihnen anzubiedern. Er versucht den jungen Menschen das Wesen der Wahrheit zu erklären, indem er von der Wahrheit der Dinge und von der Wesenswahrheit des Menschen steht. Und dann kommt er auf die eigentliche Zerstörung hin, die die Nationalsozialisten den Deutschen angetan haben: „die Zerstörung der Wahrheit“.  Dann ermutigt er die jungen Menschen: „Wir wollen aus der Zerstörung heraus. Wir wollen wieder ein Leben aufbauen, das lohnt. Dazu müssen wir bei der Wahrheit anfangen. …. Denkt nach über das, was hier gesagt worden ist; und wenn Euch scheint, es sei so, dann fasst den heiligen Entschluss: Ich will heraus aus der Lüge. Mein Wort soll so werden, dass man ihm trauen kann. Ich will dazu helfen, dass wieder die reine klare Luft der Wahrheit um uns sei.“ (Worte zur Neuorientierung 52)

Das sind für die heutige Situation der Kirche genau die Worte, die wir brauchen, damit man der Kirche wieder trauen kann.

Grafikdesign Anja Matzker


 

P. Dr. Anselm Grün OSB trat nach seinem Abitur im Alter von 19 Jahren in die Benediktinerabtei Münsterschwarzach ein. Nach seinem Studium wurde er zum Doktor der Theologie promoviert. Im Anschluss studierte er Betriebswirtschaftslehre und wirkte bis 2013 als Cellerar der Abtei. Er institutionalisierte den klostereigenen Vier-Türme-Verlag, in dem er seine ersten Bücher veröffentlichte. Mit aktuell mehr als 300 lieferbaren Titeln, über 14 Millionen weltweit verkauften Büchern und Übersetzungen in über 30 Sprachen gilt P. Anselm Grün als der erfolgreichste Autor spiritueller Bücher im deutschsprachigen Raum. Heute ist er geistlicher Leiter des Recollectio-Hauses und Geschäftsführer des Fair-Handels in Münsterschwarzach.

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