Guardini akut | Interview mit Irene Kurka

Guardini akut | KW 21/2020

„Das Adrenalin wird das gleiche sein wie in einem Livekonzert“

Ein Gespräch mit der Sängerin Irene Kurka über Neue Musik und das Podcasten in Zeiten von Corona
Von Andreas Öhler

Sie haben sich mit Ihrer Gesangskunst der modernen Musik verschrieben. Seit 2018 machen Sie einen Podcast. Wie läuft der Podcast in Zeiten von Corona?

Als ich anfing, hatte ich ein Buch in Planung mit dem Titel „Neue Musik macht meine Stimme nicht kaputt“. Das war die Antwort auf eine Frage, die mir Zuhörer immer wieder gestellt haben. Ich will mit meinem Podcast auch ein Nicht-Fachpublikum erreichen. Das Projekt bringt aber auch die Community der Neuen Musik näher zusammen. Früher sendete ich 14-tägig, ein Wechsel von Interviews mit Solofolgen. Als dann Corona kam, habe ich mit meinem ersten persönlichen Wochenbericht angefangen und bin jetzt in Woche Zehn. Mal sehen, wie lange das nun geht.

Was hat sich genau verändert? Geraten die musikalischen Themen in den Hintergrund?

Natürlich bleibt die Musik im Focus. Aber da Existenzen bedroht sind, weckte das in mir das Gefühl, nicht einfach wie üblich weitersenden zu können. Ich will den Leuten Mut machen und vermittelte schon mal handfeste Tipps, etwa in einem Interview mit dem Filmkomponisten Matthias Hornschuh, der sich wirklich gut auskennt in der Musikpolitik. Festivalleiter, die kreativ mit der Krise umgingen, habe ich befragt, wie coronataugliche Formate aussehen könnten. Mit dem Ziel, dass andere auch auf gute Ideen kommen und wir diese spezielle Zeit durchstehen. Ich habe in meinem Podcast kein Zeitlimit, das wissen meine Gesprächspartner sehr zu schätzen.

Hat der Podcast Ihr Bühnenverhalten verändert?

Ich bin auf jeden Fall versierter geworden. Wenn ich auf der Bühne agiere, dann bin ich die Sängerin Irene Kurka, ich befinde mich in einem geschützten Raum. Beim Podcasten ist das ganz anders. Das hat mich auch erstmal Mut gekostet. Ich wuchs immer mehr rein. Wenn Leute den Podcast hörten und mich dann persönlich erlebten, stellten sie im Idealfall fest: Die ist ja so wie im Netz. Das schafft Vertrauen. Manche engagieren mich dann auch, weil sie genauer wissen, wer ich bin und wie ich denke.

Wie singt es sich in zusammengeschalteten Bildschirm-Konzerten vor dem Computer?

Ich kann noch nicht viel dazu sagen. Meine ersten gestreamten Konzerte finden im Juni statt. Aber ich bin ein Mensch, der gut in einem Tonstudio arbeiten kann. Das Adrenalin wird das gleiche sein wie in einem Livekonzert.

Warum ist Neue Musik so schwer verständlich für unsere Ohren?

Für mich ist das erstmal ganz fremd, dass Leute diese Neue Musik immer auch geistig durchdringen wollen. Eine Kollegin von mir sagte mal sehr treffend: Wenn ich in ein modernes Gebäude gehe, muss ich doch kein Architekt sein, der auch so ein Haus bauen könnte. Ich kann doch einfach nur schauen, was ich darin wahrnehme. Genau so würde ich mich freuen, wenn sich ein Publikum auf ungewohnte Töne einlässt – es muss sie nicht verstehen.

Ist die Musikererziehung, was Neue Musik angeht, auf der Höhe der Zeit?

Für Leute, die heute Musik studieren, ist sie oft eine Randerscheinung. Dabei gibt es in den meisten deutschen Spielplänen eine zeitgenössische Oper pro Jahr. Die Hochschulen sollten ihre Studierenden darauf vorbereiten. Sie müssen ja nicht gleich Spezialisten werden.

Hand aufs Herz: Welche Musik hören Sie zur Entspannung?

Es gibt zwei Arten von Musikern. Die einen üben den ganzen Tag und ziehen sich danach noch zehn CDs rein. Dann gibt es die anderen, die proben auch sehr viele Stunden am Tag, genießen aber danach die Stille. Zu denen gehöre ich. Zuhause läuft bei mir eigentlich so gut wie nie Musik oder nur, wenn ich sie für die Arbeit hören muss.

Wie blicken Sie in die Zukunft?

Ich bin ein Mensch des Vertrauens. Irgendetwas Gutes wird bei dieser Krise sicher auch herauskommen. Am Anfang war ich geschockt, dann geriet ich in einen Aktionismus, was den Vorteil hatte, dass ich meine Steuer schon gemacht habe. Ich meditiere mehr und intensiver; das tut mir sehr gut in dieser Zeit. Und gemeinsam mit meiner Lektorin arbeite ich an meinem Buch zum Podcast.

Alle Folgen des Podcasts neue musik leben von Irene Kurka finden Sie auf ihrer Website.


Die Sopranistin Irene Kurka studierte Gesang in München, Dallas und Vancouver. Sie bestritt im Laufe ihrer Karriere über 240 Uraufführungen und leistete damit Pionierarbeit im Repertoire für Stimme solo. Zahlreiche Komponisten und Komponistinnen widmeten ihr Stücke. Als hingebungsvolle Interpretin insbesondere zeitgenössischer Musik startete sie 2018 ihren Podcast „neue musik leben“. Irene Kurka ist Mitglied im Fachbeirat Musik der Guardini Stiftung.

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