Guardini akut | Interview mit Pfarrer Marc Grießer

Guardini akut | KW 16/2020

„Christ-Sein geht nur in der ekklesialen Dimension“

Der Allgäuer Pfarrer Marc Grießer über die Wiederentdeckung der Liturgie. Ein Interview von Andreas Öhler.

Was bedeutet es für Sie als Pfarrer, aber auch als Seelsorger, dass das Osterfest in der gewohnten Form ausgefallen ist?

Für mich ist das ein riesiger Schmerz. Seit ich zurückdenken kann, als Kind, als Ministrant waren diese Tage über die Liturgie definiert.

In Kirchenkreisen wurden allerdings auch Stimmen laut, die vorgeblich tröstend argumentierten, Ostern sei doch etwas Sinnbildliches, die Auferstehung könne man auch mit sich selbst feiern. Wie wichtig ist das Osterritual, wie wir es kennen?

Um mit Romano Guardini zu sprechen: Christ-Sein geht nur in der ekklesialen Dimension. Wenn wir in die Texte hineinschauen, sind es die Jünger, die in der Gemeinschaft den Auferstandenen erleben und sich gegenseitig die Osterbotschaft zusprechen. Ich meine die klassische Bibelstelle, in der die beiden Emmaus-Jünger, die miteinander unterwegs sind, Jesus begegnen. Da wird der Schluss immer ein wenig unterschlagen, wo diese beiden den anderen ihr Ostererlebnis erzählen und wo gesagt wird, der Herr ist auferstanden und Simon erschienen.

Es gab ja die Debatte, dass man keine Geisterliturgien unter Ausschluss der Öffentlichkeit feiern kann. Wie sehen Sie das?

Das sehe ich grundsätzlich anders. Schon die Bezeichnung ‚Geisterliturgie‘ ist ja eine Abwertung. Es sollte allein schon von der intuitiven pastoralen Empfindung her einleuchten, dass es wichtig ist, diese Gottesdienste auch zu feiern. Das Wesen der Eucharistie verbindet uns ja immer über die persönliche Anwesenheit hinaus miteinander.

Aber Beten kann man auch allein…

Insofern liegt in dieser Situation auch die Chance, die Kraft des Gebetes und der Verbundenheit in Christus neu zu entdecken. Ich weiß auch von vielen, wie wichtig es ihnen war, dass ich die Eucharistie allein zelebriere, aber dass wir uns trotzdem im Gebet verbunden wussten.

Die Krise weckt Begehrlichkeiten nach neuen liturgischen Formen. Soll die Liturgie neu überdacht werden?

Diese Situation erinnert mich ein wenig an die Verhüllung der Kreuze am fünften Fastensonntag. Da wird ja auch etwas entzogen, das man vielleicht gar nicht mehr richtig im Blick hatte, weil man es zu oft gesehen hat. Und erst durch diesen Verzicht kann man dann am Karfreitag das Kreuz wieder neu sehen. Vielleicht liegt darin auch eine Chance für die Liturgie, den Sonntagsgottesdienst, den man womöglich wieder ganz neu wahrnimmt. Ich halte aber nichts davon, diese Krise als Reformkatalysator zu instrumentalisieren.

Man macht also weiter wie bisher?

Es ist uns doch allen klar, dass sich die Kirche in einer großen Krise befindet, die ja auch eine Krise des Christseins beinhaltet. Daraus erwächst eine Herausforderung, unser Kirche-Sein in dieser Welt zu überdenken. Aber ich habe schon den Eindruck – auch bei anderen Problemen, die sich uns stellen –, dass jeder seine Anliegen egal von welchem Lager der Kirche durchdrücken möchte.

Nun sind ja Ostern und Pfingsten prominente Feiertage. Was machen Sie an Christi Himmelfahrt oder Fronleichnam?

Das wird sehr schwierig. Pfingsten fällt dieses Jahr auf den 31. Mai und Fronleichnam ist erst im Juni. Wir sind da doch sehr von der Hoffnung getragen, dass bis dahin, in welcher Form auch immer, ein Gottesdienst möglich sein wird. Ich schreibe jetzt immer eine kleine Predigt als Wort zum Sonntag und veröffentliche sie zusammen mit einem Gebet auf der Homepage der Gemeinde. Dort gibt es auch einen Link zur Diözese, wo man Gebete und Liederanregungen für den Hausgebrauch herunterladen kann.

Spüren Sie eine Aufwertung der Kirche in der Corona-Krise?

In den Gemeinden hier im Allgäu habe ich die Palmzweige gesegnet, die die Leute gebunden vor die Kirche gebracht haben. Am Palmsonntag konnten sie sie dann wieder abholen. Gleichzeitig sagen mir die Mesner, dass sie einen Umsatz von Kerzen wie sonst nie verzeichnen. Viele kommen zum persönlichen Gebet in die Kirche und suchen dort das Ritual. Ich habe die Hoffnung, dass bei dem ein oder anderen ein Nachdenken eintritt. Äußere Anzeichen dafür sind schon sichtbar. Als Guardini-Forscher beteiligt er sich an der Theologischen Predigtreihe der Guardini Stiftung.


Marc Grießer ist Priester der Diözese Rottenburg-Stuttgart und promoviert derzeit an der Universität Regensburg über Romano Guardini. Er engagiert sich für den Freundeskreis Mooshausen und ist dort u. a. Beiratsmitglied. In diesen Tagen liest er mit großer Begeisterung das Buch „Für ein Europa der Bürger!“ des Philosophen Ottfried Höffe.

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