Guardini akut | Zwischen zwei Welten

Guardini akut | KW 13/2021

Zwischen zwei Welten

Während in Deutschland um Freiheiten und Einschränkungen gerungen wird, wird die Pandemie in El Salvador kaum noch öffentlich thematisiert. Ist die Krise dort bereits überstanden?

Von Viktoria

Als wir im März 2020 aus El Salvador mit einem Koffer zusammengewürfelter Sachen in einem Repatriierungsflug nach München flogen, war uns noch nicht klar, wie lange wir weg sein würden. Nach neun Monaten praktisch aus dem Koffer lebend und manchen Abend aufgrund der Zeitverschiebung mit den KollegInnen aus Zentralamerika in Videokonferenzen verbringend, bin ich seit Januar 2021 nun wieder in Zentralamerika. Manchmal fühlen sich die 8 Stunden Zeitverschiebung und 20 Stunden Reisezeit zwischen beiden Ländern an wie die Reise zwischen zwei Welten.

Seit 2018 arbeite ich hier in El Salvador. Die Sicherheitslage, die in Deutschland – wenn überhaupt – das Einzige ist, was die Menschen über das kleinste Land Zentralamerikas wissen, abgesehen vielleicht vom strengsten Abtreibungsrecht weltweit, hat es mir am Anfang schwer gemacht, mich einzuleben. Auch schon vor der Pandemie hatte ich gefühlt zwei Leben, eins hier und eins in Deutschland. Während ich in Deutschland Fahrrad fahre und im Park picknicke, sind wir hier im Jeep mit verdunkelten Scheiben unterwegs und gehen in der nächsten Mall essen. Dieses Gefühl verstärkte sich während meines Pandemieaufenthalts in Berlin, als ich weiterhin mobil meine Arbeit in El Salvador fortführte.

Bei unserer Rückkehr aus dem sehr strengen Lockdown in El Salvador (totale Ausgangssperre und nur zwei Einkäufe des täglichen Bedarfs pro Woche und Arztbesuche möglich) in den vergleichsweise leichten Lockdown in Deutschland letztes Jahr waren wir überrascht, bald von Coronaleugnern zu hören. Die Angst vor einer Coronadiktatur in Deutschland wirkte angesichts dessen, was in El Salvador und vielen anderen lateinamerikanischen Ländern im Frühjahr 2020 an Einschränkungen erlassen wurde, fehl am Platz. In Zentralamerika waren in den meisten Ländern die Flughäfen komplett geschlossen und StaatsbürgerInnen mussten monatelang im Ausland ausharren, bevor sie wieder in ihre Heimat zurückreisen konnten (und nach ihrer Ankunft erst einmal vier Wochen in Quarantänezentren verbringen mussten). Deutschland hingegen organisierte Repatriierungsflüge für risikoaffine TouristInnen, die im März 2020 noch auf andere Kontinente geflogen waren.

In manchen Ländern war die Linie zwischen Demokratie und Autokratie dünn geworden, in vielen Regionen konnten die Menschen sich bis Ende 2020 weiterhin nicht frei bewegen oder mussten monatelange Ausgangssperren ertragen. In vielen Ländern hat sich die Bildungsnot auch dadurch stark erhöht, dass die Schulen – wie in El Salvador – seit über einem Jahr komplett geschlossen sind. Ecuador und Brasilien wiederum sendeten Bilder von Toten, die auf der Straße gelagert wurden oder von neu ausgehobenen Friedhöfen, die uns erahnen ließen, wie viel schlimmer es noch werden könnte. Das alles schien im gut organisierten Deutschland sehr weit weg.

Doch dann kamen die zweite Welle und der zweite Lockdown in Deutschland, während in El Salvador alle Beschränkungen durch Gerichtsbeschluss Ende August aufgehoben wurden. Seitdem findet hier ein (fast) normales Leben statt. Öffentlich wird über Coronafälle und die Situation in den Krankenhäusern kaum noch gesprochen, man bekommt wenn überhaupt nur durch persönliche Kontakte noch etwas von der konkreten Situation dort mit. Dennoch gibt es einen großen Unterschied: Im Gegensatz zu Deutschland wird die Maske von den meisten als Fremd- und Eigenschutz ernst genommen und sogar auf der Straße und im Park getragen. Masken waren hier zu Beginn der Pandemie zwar auch schwer erhältlich, aber sie waren nie ein derartiges Politikum wie in Deutschland. In jedem Café oder Restaurant in den besseren Vierteln der Hauptstadt ist es normal, dass alle KellnerInnen sie tragen und alle Gäste, wenn sie nicht gerade essen oder trinken. Wer sich keine Sorgen um das Virus macht, kann allerdings auch maskenfrei in Diskos tanzen oder in Bars ein Bier trinken gehen. Das Designen und Nähen von Alltagsmasken ist auch hier eine neue Einkommensquelle geworden. Auf dem lokalen Kunsthandwerksmarkt bekommt man eine Maske passend zum gekauften Outfit dazu.

Da wir öffentlich so wenig mitbekommen, scheint mir die Pandemie hier schon sehr weit weg. Drei Monate bin ich nun wieder hier und die Situation in Deutschland ist mir sehr fern. Ich verfolge die politischen Diskussionen ab und zu im Radio und frage mich als Außenstehende, was in Deutschland gerade passiert und warum. Und auch wenn das virtuelle Vernetztsein uns weit entferte Orte näher bringt, fühle ich mich dennoch so weit weg, dass die Diskussionen in Deutschland für mich nicht immer nachvollziehbar sind. Nun ist die Situation umgekehrt und wir können hier relativ frei leben und dort sind meine Familie und FreundInnen seit Monaten fast nur Zuhause und können höchstens spazieren gehen.

Ich hoffe, dass die Menschen in Deutschland einerseits sehen, wie gut es ihnen im Vergleich zu Menschen in anderen Ländern noch geht, da es Arbeitslosengeld gibt, der Staat Firmen in der Krise unterstützt, Kurzarbeitergeld gezahlt wird und die Gesundheitsversorgung auch in Pandemiezeiten doch immer noch vergleichweise verlässlich ist. Andererseits hoffe ich jedoch auch, dass es langsam möglich wird, die Politik im „Wie“ zu kritisieren, ohne direkt als CoronaleugnerIn abgestempelt und diskreditiert zu werden.

Letzte Woche wurde ich hier von meinem Hausarzt gefragt, ob ich bereits geimpft wurde und habe für starkes Erstaunen gesorgt, als ich die deutsche Priorisierungsstrategie kurz skizzierte, da diese in anderen Ländern ganz anders aussieht. So reisen viele Salvadoreños mit Familie in den USA bereits dort hin, um sich impfen zu lassen.

Denn auch wenn es sich fast so anfühlt, auch hier in der Region, ist die Pandemie wohl noch nicht überstanden.


 

 

Viktoria hat Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen in Bremen, Berlin, Lissabon und Melbourne studiert und arbeitet seit 2015 im Bereich Klimapolitik und Waldschutz, seit Ende 2018 in El Salvador. Von März bis Dezember 2020 war sie aufgrund der Pandemie in Deutschland.

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