Guardini akut | Licht in der Mitte des Tunnels…

Guardini akut | KW 1/2021

Licht in der Mitte des Tunnels…

Nicht nur Menschen mit psychischen Erkrankungen, wir alle sind während der Pandemie mit Existenziellem konfrontiert. Was gibt Hoffnung in diesen Zeiten?
Von Sr. Dr. Beate Glania MMS

Wo kann ich mich verankern, wenn alles ungewiss ist? Was hilft, wenn ich nicht mehr weiter weiß? Was bleibt in existenzieller Ungewissheit und Einsamkeit?
Diesen und ähnlichen Fragen begegne ich immer wieder im Krankenhaus auf den psychiatrischen Stationen, wo ich als Seelsorgerin tätig bin. Diese Fragen bewegen mich, denn die Untiefen und Unsicherheiten, aus denen sie sich speisen, gibt es auch in mir.
Bedingt durch die gemeinsame Erfahrung der Pandemie tauchen ähnliche Fragen bei uns allen auf, angefangen bei der Frage nach Dauer und Umfang belastender Kontaktbeschränkungen bis hin zu den großen Fragen der Existenz: Wo und wie finden wir Halt im Absoluten? Wer oder was hilft uns in unserer Angst?

Auch im Krankenhaus verwischen sich vertraute Grenzen zwischen Krankenhauspersonal, Patientinnen und Patienten: Potenziell kann jeder Mensch jeden anstecken und dies erzeugt eine neue, grundlegende Unsicherheit. Sie bewirkt Vorsicht und Angst, denn die Grenzen zwischen denen, die helfen, und denen, die krank sind, verschwimmen. Jeder Kontakt mit anderen, selbst in der Pflege, muss wohlüberlegt werden, denn jede Unachtsamkeit kann tödliche Gefahr mit sich bringen. Es liegt eine permanente Anspannung in der Luft, die uns gemeinsam herausfordert und zum Miteinanderlernen nötigt.

Ich spüre in solchen Situationen: Am liebsten hätte ich Fakten und Klarheit, denn diese würden helfen, mich einzustellen. Doch klare Antworten gibt es angesichts der Pandemie und auch im Blick auf persönliche Fragen und Ängste wenig. Ich merke, Unsicherheit will ausgehalten werden. Wir müssen lernen, auf Sicht zu fahren und geduldig nach den kleinen Zeichen der Hoffnung und des Trostes zu suchen.

Ein solches kleines und in seiner Wirkung erstaunlich tröstendes und uraltes Zeichen habe ich zusammen mit vielen Patienten und Patientinnen neu entdecken dürfen: ein Kerzenlicht entzünden.
In unserer Krankenhauskapelle in Hedwigshöhe im Südosten Berlins steht ein schlichter Kerzenständer. Dort liegen stets ein paar Teelichter bereit. Immer wieder staune ich, wie gut vielen Menschen die einfache Geste tut, ein eigenes Anliegen mit dem Anzünden und Aufstellen einer Kerze zu verbinden:

Es steht kritisch um einen Menschen – ein Licht ist wie ein Flehen ohne Worte.
Da ist jemand gestorben im nahen Umfeld – ein Licht schafft tröstlich Verbindung.
Da steht eine Entscheidung an – ein Licht möge uns aufgehen.
Da ist es innerlich dunkel – ein Licht kann erhellen.
Da ist alles unsicher – ein Lichtschein schenkt Hoffnung.

Das Entzünden eines Kerzenlichts in guter Atmosphäre erhellt mehr als nur die äußere Dunkelheit. Das Licht sucht sich einen Weg in unser Gefühl, in unser Innerstes. Es kann zum Gebet mit oder ohne Worte werden. So kann ein wenig Anspannung weichen. Und das Licht lädt ein, mich womöglich einer höheren Macht zu überlassen. Seine Ausstrahlung kann die Ahnung entstehen lassen, dass ich gehalten bin.
Nicht immer ist dabei ausdrücklich von Gott die Rede. Viele Menschen im Berliner Südosten sind kaum oder gar nicht kirchlich geprägt. Aber im Entzünden der Kerze leben und erleben sie das Fundament jeder Theologie und den Wurzelgrund jeder Seelsorge: Gott ist da.

Anna Dengel, die Gründerin meiner Gemeinschaft, der Missionsärztlichen Schwestern, sagte oft: „Niemand ist auf der Welt sicher, wir sind nur in Gott sicher. Das Größte ist immer, auf Gottes Hilfe zu vertrauen.“ Die Pandemie mit all ihren Unwägbarkeiten lässt mich diese vertrauensvolle Haltung neu und intensiver ersehnen, diesen Sprung über mich hinaus zu wagen. Denn was wir ja eigentlich wissen, wird wieder erfahrbar: Wir haben das Leben nicht im Griff. Über vieles können wir nicht verfügen. Und danebenlegen dürfen wir eine weitere Wahrheit: Es gibt Lichtmomente, die uns ahnen lassen, dass wir angebunden und verbunden sind, dass wir gehalten sind und sogar leise geführt werden, auch durch die Pandemie. In solchen Augenblicken ist es uns zuweilen gegeben, zu spüren, dass sich um unsere Anspannung ein warmer Mantel von Trost legt, der unser Herz leichter werden lässt. Und manchmal sehen wir dann ein Licht – in der Mitte des Tunnels.

Predigt von Schwester Beate Glania MMS im Rahmen der Theologischen Predigtreihe „Wo ist Christus?“ (WS 2020/21)


 

 

Sr. Dr. Beate Glania ist Mitglied der Gemeinschaft der Missionsärztlichen Schwestern, Pastoralreferentin und Pastoralpsychologin. Zurzeit arbeitet sie als Krankenhausseelsorgerin, vor allem mit psychiatrischen Patient*innen, im Krankenhaus Hedwigshöhe im Südosten Berlins.

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