Ökumenische Vesper | Predigt zur Jahrestagung 2020

11. September 2020 | Kirche St. Lukas

Predigt zur Jahrestagung der Guardini Stiftung 2020

Von Pfarrer Hannes Langbein und Pater Georg Maria Roers SJ

HL: Vom Himmel gefallen. Vor 19 Jahren vor den Fernsehgeräten. Ich auf dem Jakobsweg in Burgos, Spanien. Ich verstehe nichts. Sehe nur: Die brennenden Türme. Dann wie fallende Späne Menschen, die aus den brennenden Türmen fallen. Falling Men. Für einen Moment schwerelos bis zum Aufprall.

GMR: Müsste ich nicht jedes Jahr trauern, wenn ich an 9/11 denke, obwohl ich da Jahr um Jahr älter werde? In New York schaut man zum Gedenken an diesen Tag in zwei tiefe schwarze Löcher mit schwarzem Marmor ausgeschlagen und den Namen der Opfer. Irgendwie kam mir die Kabbala in den Kopf und die Haddsch nach Mekka und die Kaaba aus schwarzem Stein, die nach islamischem Glauben von Adam erbaut wurde: „Oh ihr Menschen, fürchtet euren Herrn. Gewiss, das Beben der Stunde ist eine gewaltige Sache.“ (Sure 22)

HL: Der Himmel als Feste. „…so ein schöner, fester, grauer Himmel; man könnte Lust bekommen, ein‘ Kloben hineinzuschlagen und sich daran zu hängen, nur wegen des Gedankenstriches zwischen Ja und wieder Ja – und Nein.“ Georg Büchners Woyzeck versucht den Befreiungsschlag, eingeklemmt zwischen Himmel und Erde. „Aber alles so dicht.“ (Büchner, Lenz)

GMR: „Sieh doch zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst.“ – Ich habe ihn gesehen den Kometen Neowise mit Schweif im Juli 2020. Weil er nur 103 Millionen Kilometer von der Erde entfernt war, konnte man ihn mit bloßem Auge sehen. Das wird auf der Erde erst wieder in 6000 Jahren möglich sein. Wie wird es dann auf der Erde aussehen? Wird es noch Menschen geben auf dem Planeten? Vor 6000 Jahren hat sich Britannien vom europäischen Festland abgetrennt. Ursache war das Abschmelzen der Gletscher und der damit verbundene Anstieg des Meeresspiegels.

HL: Kann uns der Blick zum Himmel etwas sagen? – Ich habe mich lange gefragt, ob wir beim Blick in den Nachthimmel den Kosmos oder ein großes Tohuwabohu vor Augen haben? – Erkennen wir etwas von Gottes Schöpfertum beim Blick in die Natur? – Was sagt uns der Himmel? Sagt er uns überhaupt etwas?

GMR: „Er sah eine Treppe, die auf der Erde stand und bis zum Himmel reichte.“ – So war es seit 1836 im Brandenburger Dom zu sehen. Eine Treppe zum Hochchor wurde gebaut vom preußischen Staatsarchitekten Karl Friedrich Schinkel. Wer fromm und demütig ist, wird im Laufe seines Lebens immer weiter aufsteigen. Wann werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen? Oder gehen wir ein paar Stufen rauf und dann wieder runter? Ist das Christentum eine einzige Sisyphusarbeit?

HL: „Man muss sich Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen“, schreibt Camus. – Weil Sisyphus das Absurde zum Beruf gemacht hat. Er weiß um die Sinnlosigkeit und geht dennoch seiner Arbeit nach. Sisyphus, der Gesegnete? „Nichts neues unter der Sonne. Alles eitel und ein Haschen nach Wind“, schreibt der Prediger Salomo und weiter: „Darum pries ich die Freude, dass der Mensch nichts Besseres hat unter der Sonne, als zu essen und zu trinken und fröhlich zu sein.“ (Kohelet 8,15)

GMR: Das Manna – es wird auch Himmelsbrot genannt – lässt Jahwe vom Himmel fallen, um die Israeliten auf ihrem Weg durch die Wüste zu stärken. Jahrzehntelang ohne eine feste Heimatstatt, wie kann das ein ganzes Volk ertragen? Die Jesiden erfahren – als ein Teil des kurdischen Volkes – seit Jahren ein ähnliches Schicksal. Sie huldigen dem Melek Taus, einem von Gott geschaffenen Engel, der von einem blauen Pfau symbolisiert wird.

HL: Es fällt schon auf, dass das himmlische Personal der Putten und Engel Pfau trägt. Keiner konnte mir bisher genau erklären, wann und warum die Pfauenfedern Einzug in die Bilder vom Himmel gehalten haben. Augustin ging von der Unverweslichkeit des Pfauenfleisches aus – ein Auferstehungstier, das sich – laut Physiologus – für seine unansehnlichen Füße schämt und deshalb so erbarmungswürdig schreit. Die seufzende Kreatur mit Farbfächer…

GMR: „Die Fläche war wie mit Saphir ausgelegt und glänzte hell wie der Himmel selbst.“ – In der Bibel wird genau beschrieben wie der Himmel aussieht oder wie das Zelt für die Bundeslade auszusehen hat oder der erste Tempel, den Salomo bauen ließ im ersten Buch der Könige.

HL: Dennoch erfahren wir vom Himmel wenig: „Gott ist im Himmel und du bist auf Erden, darum lass deine Worte wenig sein.“ Ab und zu öffnet sich der Himmel. Ab und zu tönt es von oben: „Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe“. – Himmelsstimmen waren schon immer zwiespältig. Nicht alle hören sie. Und die sie hören, müssen sie zu deuten wissen. Vogelstimmen. Ein Gurren mit Ölzweig im Schnabel. Ornithologie und Theologie.

GMR: „Kannst du die Bande des Siebengestirns zusammenbinden oder den Gürtel des Orion auflösen? Kannst du die Sterne des Tierkreises aufgehen lassen zur rechten Zeit oder die Bärin samt ihren Jungen heraufführen? Kennst du die Gesetzte des Himmels, legst du auf die Erde seine Urkunde nieder?“ – So spricht Gott der Allmächtige mit Hiob. Und bevor er all die Fragen stellt, lesen wir: „Ich will dich fragen, lehre mich!“ Hiob hatte Gott mit seinen Theodizeefragen in große Verlegenheit gebracht. Ob Gott nun, in seiner ersten langen Rede aus dem Sturm so achtsam ist, weil er seinerseits erwartet, von Hiob belehrt zu werden? Was antwortet Hiob auf die Einladung Gott zu belehren? Er hält sich für zu gering, um sinnvoll zu antworten. Er legt seine Hand auf den Mund.

HL: Der Himmel als Hinterstübchen. Was dem armen Hiob geschieht, wurde im Himmel ausgeheckt – zwischen Gott und Satan, im Kreis der „Söhne Gottes“. Selten können wir so direkt an himmlischen Ratsschlüssen partizipieren. Die Hiobsgeschichte sät Zweifel: Krankheit und Tod als Prüfungen Gottes? Als eitles Spiel der himmlischen Mächte?

GMR: „Der im Himmel thront, lacht …“ – Gott hat offenbar Humor, doch er wird uns ja nicht auslachen. Das wäre mit seiner Barmherzigkeit nun wirklich nicht zu vereinbaren. – Gut daran zu erinnern, dass nicht der Mensch der Schöpfer aller Dinge ist. Es wurde uns die Macht gegeben, über die Dinge zu herrschen, aber welche Art von Herrschaft hatte Gott wohl vor Augen? Wir sollen ein Bild sein, das Gott gleicht. Welches Gottesbild nehmen wir da zum Vorbild?

HL: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat sein Stunde.“ (Kohelet 3,1) – Im Himmel ticken die Uhren anders. Chronos, die gezählte Zeit. Kairos, die gefüllte Zeit. Himmelszeit auf Erden. Zeit und Ewigkeit. Die Veränderungen in unserer Natur gehen zu langsam, als dass wir sie bemerken, geschweige denn als dringlich anerkennen könnten. Die Schöpfung seufzt leise. Zu leise. Unhörbar. Die Geschwindigkeit unseres Raubbaus ist zu schnell, um ihn aufzuhalten, und zu langsam, um ihn zu bemerken. Erst im Blick der Ewigkeit …

GMR: „Selbst der Storch am Himmel kennt seine Zeiten.“ (Jeremia 8,7) – Wir Menschen brauchen Sonnenuhren oder digitale Uhren. Wir haben verlernt mit dem Sonnenauf- und Untergang so natürlich umzugehen wie die Vögel des Himmels. Sie verstummen in der Nacht – außer die Nachtigall. Wir Menschen machen einfach immer weiter. Wir wundern uns, dass wir morgens nicht fit sind, wenn wir die Nächte durchmachen. Künstliches Licht halten wir für fortschrittlich. Ist es ja auch! Aber unser Biorhythmus ist aus dem Takt geraten.

HL: Gibt es einen Rhythmus des Himmels? – Wir kennen die „Sphärenharmonien“, die Akkorde und die Klänge. Aber gibt es einen gemeinsamen Takt? Takt heißt gemessene Zeit. Gemessene Zeit ist irdisch. Hat der Klang der Ewigkeit einen Rhythmus? Ein Schwingen der Himmelsboten?

GMR: „Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer.“ Die Heere des Himmels kommen ohne Gewehre daher. Vielleicht sind sie wie ein warmer Sommerregen, der so mild und angenehm ist, dass wir wünschen, er soll gar nicht aufhören. Etwas ganz Besonders geschieht. Etwas Außergewöhnliches, das sich jeder Beschreibung entzieht. Kein Bild kann es fassen, kein Smartphone versenden.

HL: Der Heiland reißt den Himmel auf! Die Wolken verschwinden. Der schöne graue, feste Himmel lichtet sich. Tiefblau. Tiefschwarz. Und dann? Licht? Gold? – Der Goldgrund der alten Meister ist nicht Fläche, sondern Raum. Darin Gesang? Musik? Tiefe Stille?

GMR: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ – Sind sie nicht Traumtänzer wie wir, die Männer von Galiläa und alle ihre Nachfolger? Sollen wir nicht lieber das Lied von Reinhard Mey anstimmen? „Über den Wolken / Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein / Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man / Blieben darunter verborgen und dann / Würde, was uns groß und wichtig erscheint / Plötzlich nichtig und klein.“

HL: Es gibt im Himmel einen Gott, der Geheimnisse offenbart. Pssssst! Soll ich Euch ein Geheimnis verraten? – Rätsel kann man lösen. Geheimnisse bleiben.

GMR: „Gott hat uns wissen lassen das Geheimnis seines Willens nach seinem Ratschluss, den er zuvor in Christus gefasst hatte, um die Fülle der Zeiten heraufzuführen, auf dass alles zusammengefasst würde in Christus, was im Himmel und auf Erden ist, durch ihn.“

Teaser und Titelbild: Ingar Krauss, Colosseum, 1996, Baryt-Abzug, 24 x 30

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