Guardini akut | Romano Guardini – meine Lektüren

Guardini akut | KW 29 und 30/2021

Romano Guardini meine Lektüren

Von Godehard Schramm

Guardinis Name klingt wie ein italienischer Zuruf: „Guarda! Schau!“

Wer als Schriftsteller wie ich die meiste Lebenszeit in Franken wohnend und arbeitend zugebracht hat, der denkt bei der Burg Rothenfels am unterfränkischen Main sogleich an den Schriftsteller-Theologen, der dort 1920 mit Vorträgen für die katholische Jugendbewegung auftrat.

Im Jahr 1961 stieß ich, jugendlich vermessen, auf diesen Gelehrten. Das kleine Taschenbuch-Bändchen (ro-ro-ro) trug den Titel „Der Tod des Sokrates“. Danach griff ich zum Werk „Christliches Bewusstsein: Versuche über Pascal“. Beide Bücher waren zu schwierig für mich damals. Aber bald darauf las ich „Topos Tagebücher“ – „Italienische Reisen“ und „Von heiligen Zeichen“. Mir wurde klar: „Die Liturgie ist eine Welt heilig-verborgen, aber mit immerfort Gestalt werdenden und darin sich offenbarenden Geschehen: sakramental.“ Im Jahr 2004 erhielt ich als Buchgeschenk von einem oberfränkischen Bildhauer „Hölderlin und die Landschaft“. Ein Vortrag, im Sommer 1944 geschrieben. 1946 dann erschienen mit U.S.-amerikanischer Lizenz. Für mich völlig einsichtig: „die heroischen Ausblicke Altdorfers, die kraftvollen Bäume und Wolken Ruysdaels, die flammenden Städte Crecos…, die ganz in der seelischen Strömung stehenden Buchenwälder Corots. Entsprechendes gilt auch für die Dichtung. Wo immer man sie aufschlägt, treten aus ihr Menschen mit ihrer Leidenschaft hervor.“ Und zur Landschaft schreibt er: „Sie ist vielgestaltig und zum anderen besteht sie aus dem, was der jeweils sie erfahrende Mensch durch den Akt seines Erfahrens selbst in die Gegenständlichkeit hineingibt.“ Ebenso einleuchtend: „Diese Landschaft ist nicht in sich fertig, sondern entsteht aus der Begegnung des Einzelnen mit der umgebenden Wirklichkeit.“ Guardini warnt auch vor eigenen voreiligen Typisierungen und lädt seine Leser zu „entsprechenden Vorbehalten“ ein. Er zwingt nicht, er schlägt vor, setzt also einen freien Menschen voraus.

Nicht nur für mich als Schriftsteller auf Reisen anregend: Guardinis Satz aus dem „Tagebuch Torcelo“ (1928): „Es ist schön, wenn man in eine fremde Stadt fährt, um in ihr nicht alles Mögliche, sondern nur Eines zu sehen, ein Werk, einen Bau. Dann erhält der Tag etwas Gesammeltes.“

Ein Guardini-Titel ließ mich zunächst kalt: „Die Technik und der Mensch“. Doch der Bundesminister Oscar Schneider (CSU) legte mir Guardinis „Briefe vom Comer See“ ans Herz, wenn ich über Adenauer und sein Feriendomizil in Cadenabbia schreiben wolle.

Romano Guardinis Rat für die Zukunft wurde mir zur Maxime: „Das Ende ist: Ja sagen zu unserer Zeit. Nicht durch Rückkehr, nicht durch Umkehr oder Ausstand, auch nicht durch bloße Änderung oder Verbesserung wird jene Frage gelöst. Nur aus ganz tiefem Ansatz her kann Lösung kommen (…). Es muss möglich sein, die Illusion fallen zu lassen, die Grenzen unseres Daseins ganz scharf gezogen zu sehen. Zugleich aber eine neue Unendlichkeit zu gewinnen, die aus dem Geiste hervorgeht.“

Fortwährende faszinierende Aufschlüsse schenkte mir Guardini und denen, die seine Bücher lesen. An Guardinis Hölderlin-Auslegung faszinierte mich die Unterscheidung zwischen dem realistischen und dem stilisierenden Maler – die man getrost fragen kann, ob sie auch gelernt haben, genau zu zeichnen. Sein Fazit: „Nun wird man bei Hölderlin sicher keine Bilder von der Art eines modernen Naturalisten suchen. (…) Die Kraft des inneren Schauens war bei Hölderlin von vornherein nicht auf Schilderung, sondern auf Ausdruck, vielleicht muss man sogar sagen, auf ‚Offenbarung‘ und ‚Kündigung‘ gerichtet.“ Im Vergleich zwischen Hölderlin und Adalbert Stifter kommt der Religionsphilosoph zum Schluss: „Auch Landschaften, wie sie etwa Stifters Werke erfüllen, in denen sich das Ganze beständig aus einer Fülle klar gesehener Sondergestalten erhebt, so dass der Leser das Gefühl eines reichen und schön geordneten Kosmos hat, gibt es bei Hölderlin nicht.“

1933 erschien Guardinis „Religiöse Gestalten in Dostojewskijs Werk“. Damit reihte er sich in die bedeutsame Galerie von Manès Sperber, Julius Meier-Gräfe, Fedor Stepun und Horst Bienek ein.

Weit über „Vom Geist der Liturgie“ hinaus zählt Guardini zu den Autoritäten die Kardinal Ratzinger noch als Papst Benedikt XVI. schätzte. Peter Seewald hat in seinem Porträt „Ein Leben“ (2020) mehrfach auf diesen Bezug hingewiesen. Papst Franziskus hatte über ihn sogar eine Dissertation begonnen in Deutschland.

In „Von heiligen Zeichen“ erfahren wir schließlich, dass diese mehr sind als „ein bloßes Denken, um das Gebärden herumgehängt werden“. Damit werden „Schauen und Tun“ zur Einheit. „Auf das Kreuzzeichen folgen Die Hand, Das Knien, Das Stehen und das Schreiten… Die Glocken und die Geheiligte Zeit.“ Schauen und Tun ist auch die Profession des Autors.


 

Godehard Schramm ist das, was man im besten Sinn einen Heimatdichter nennen kann. Er ist weit gereist und kann also vergleichen. In Moskau und Erlangen studierte er Slawistik. Er gilt als ein bedeutender Chronist Frankens, das er immer in einen europäischen Kontext einzubetten weiß. Ihm geht es dabei stets um den „Vierklang Mensch, Glaube, Kultur und Landschaft. Durch seine Auseinandersetzung mit christlichen Bräuchen und Symbolen kam er mit den Schriften Romano Guardinis in Berührung, den er in seinem Werk über den Comer See „Der Kanzler und der See: Lago di Como – Land und Leute, Kultur und Konrad Adenauer“ würdigt. Er lebt als freier Schriftsteller in Nürnberg und Emskirchen-Neidhardswinden.

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