Guardini akut | Nr. 55 | 15. Mai 2023

Guardini akut | Nr. 55 | 15. Mai 2023

Passend zum Ende der Eisheiligen steht die zweite Ausgabe Guardini akut für dieses Jahr unter dem Motto „Frühlingsgefühle“. Sie widmet sich der romantischen Liebe in all ihren physischen, poetischen und transzendenten Aspekten. Bei der Recherche fiel auf: Während Schrifsteller*innen sich seit Jahrtausenden beim Versuch, die Liebe in Worte zu fassen, die Karpaltunnel entzünden, sind Philosoph*innen eher zurückhaltend auf diesem Gebiet. Platons Kugelmensch ist vielleicht deshalb eine so vielzitierte Figur, weil sich nach ihm viele seiner Kolleg*innen – Ausnahmen wie Blaise Pascal bestätigen die Regel – in beredtem Schweigen geübt haben. Umso erfreulicher ist es, dass die Philosophin Alessandra Cislaghi sich bereiterklärt hat, einen Text zu dieser Ausgabe beizusteuern. Einfühlsam und wortgewandt löst sie die romantische Liebe vom Tragischen. Der Journalist Lutz Lichtenberger versteht es, sich im Plauderton einerseits mit den politisch problematisierten Aspekten der Liebe und andererseits mit ihrer christlichen Bedeutung auseinanderzusetzen. Schließlich bittet Andreas Öhler den verstorbenen Dichter Heinrich Heine noch ein letztes Mal zum Interview.

Wer glaubt, die romantische Liebe sei Popkultur, ein flaches Konstrukt, eine ideologische Sprachregelung, sie sei der Freundschaft oder der religiösen Hingabe untergeordnet, wird in dieser Ausgabe eines Besseren belehrt.


Muss Liebe tragisch sein?

Liebe muss nicht immer scheitern! Über den Begriff der Romantik und Sinn bzw. Unsinn des Narrativs der unglücklich Liebenden.
Von Alessandra Cislaghi
Aus dem Italienischen von Franziska Holzfurtner und Patricia Löwe

Entweder die Liebe stirbt oder die Liebenden. Einer gewissen Strömung der Literaturkritik zufolge existiert die Idee der „romantischen Liebe“ seit Romeo und Julia, d.h. seit Shakespeares Tragödie. Diese Analyse ist ebenso bezeichnend wie eindringlich, doch sie überzeugt nicht ganz. Waren etwa Andromaches Gefühle für Hektor gar nicht so schrecklich tief, wie Homer sie schildert? Und war die Leidenschaft der jungen Nausikaa für den Fremden „voller Anmut“ nicht auch köstlich romantisch? War die Geliebte aus dem Hohelied nicht schwärmerisch verliebt? Und war der verzweifelte Prophet Hosea nicht seiner Braut verfallen, die später – welch Wonne! – zu ihm zurückkehren sollte?

Es scheint, dass der Mensch seit jeher, mindestens aber seit er Geschichten schreibt, Sehnsucht, Leidenschaft und manchmal auch Verzweiflung empfindet. Aber was macht die Liebe romantisch? Wir neigen dazu, die Kriterien der Tragödie anzulegen und meinen daher, dass ein unglückliches Schicksal unweigerlich zum Wesen der romantischen Spannung gehört. Dieses Kriterium kann jedoch zur Sackgasse geraten, aus der es kein Entrinnen gibt. Versuchen wir also, eine andere Richtung einzuschlagen, indem wir die leidenschaftliche Liebe als höchstes Gefühl betrachten. Es ist kein Zufall, dass die Mystik zu allen Zeiten und in allen Teilen der Welt auf erotische Motive zurückgriff, um die Vereinigung mit dem Absoluten und den Akt der Schöpfung zu verbildlichen. Liebende, so dachte Platon, seien die vernünftigsten Menschen, denn ihr Überschwang zeugt von ihrer Ispirazione (geistigen Offenheit) und ihrer Fähigkeit, aus dem Wahren und Wesentlichen zu schöpfen. Nur der Liebende vermag den Höhenflug und das volle Erblühen des Lebendigen mit eigenen Augen zu sehen.

Der Liebende bringt den Geliebten ins Sein, er gibt dessen Körper eine Gestalt. Wunderschön sind die Schriften zahlreicher Philosophen (Sartre, Levinas, Irigaray, Marion, Henry, Jullien, nur um einige zu nennen), die sich der Interpretation der „Liebkosung“ widmen: Der Andere hält mich in meiner körperlichen Form, die sich zum ersten Mal selbst erkennt – erregt und fruchtbar unter den zarten Berührungen und Blicken des Gegenübers. Einige dieser Denker haben jedoch nur eingeschränktes Vertrauen in das Gelingen dieser feierlichen und glückseligen Begegnung mit dem Anderen, der mich liebt. Meine Haut bildet eine Grenze, schafft Distanz zwischen dem Anderen und mir selbst und verhindert die vollständige Verschmelzung. Selbst in der intensivsten Vereinigung und Intimität ist es unmöglich, zu fühlen, was der Andere fühlt.

Diese Limitierung ist eine unüberwindliche Tatsache, und in gewisser Hinsicht heilsam: Die romantische Liebe – jene unendlich leidenschaftliche, beglückende und erfüllende Liebe – ist nicht reine Verschmelzung. Die Liebenden verbleiben in ihrer einzigartigen Individualität, die durch die Intimität mit dem Anderen zum Leuchten gebracht wird, aber nicht in der Symbiose verlorengeht. Die tiefste Verbindung entfremdet mich nicht von mir selbst. Gerade in dieser Intimität eröffnet sich die Möglichkeit der authentischsten, transformativsten und wirksamsten Kommunikation. Eine solche Kommunikation ist – wie der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers schrieb – ein „Kampf der Liebe“, der sich im intensiven Dialog zwischen Liebenden entfaltet. Dort, in der symmetrischen und leidenschaftlichen Konfrontation, erfahren sie die Dimension des „Dualen“. Obwohl wir in modernen Sprachen, anders als im Altgriechischen, nicht mehr zwischen einem Plural (wir) und einem Dual (wir beide) unterscheiden, können wir im Liebeskampf den Kern der Beziehung erkennen, die gegenseitige Offenheit und Hingabe ermöglicht.

Die romantische Liebe lässt sich vom Tragischen lösen; das Tragische ist nicht notwendigerweise Teil von ihr. Eine jede Liebe darf sich romantisch nennen, wenn sie die Leben zweier Liebender verbindet. Das heißt, sie ist es wert, in einem Roman erzählt zu werden, da sie über die konkreten Biographien hinausgeht und gleichzeitig die schreckliche Frage aufwirft: Was, wenn sie nicht zueinander finden? Das Zusammentreffen, das romantisch vereint, kommt immer unerwartet. Das lässt die Interpretation zu, dass es auch nicht hätte stattfinden können, wenn die Liebenden einander nicht begegnet wären. Wir stellen also fest, dass die Romantik als hervorstechendes Merkmal der Liebe eines Paares die folgenden Eigenschaften aufweist: Absolutheit, Fülle, unerschöpflicher Antrieb, Übermaß. In diesen Eigenschaften scheint die Möglichkeit des Unendlichen im Hier und Jetzt auf. Und als Romantikerin zeigt sich die Liebe wie die farbenfrohe, duftende Üppigkeit einer Blüte im Frühling, die majestätisch ihre ganze strahlende Kraft zum Ausdruck bringt.

Die andere Seite dieser Medaille ist manchmal auch ein unwiederbringlicher Verlust, der eine unheilbare, schmerzende Wunde reißt; sie erinnert auf ewig daran, dass die Liebe wirklich, dass sie „echt“ war. In der Epoche der Romantik wussten die Liebenden, dass sie unglücklich waren, weil ihre Liebe nicht erwidert wurde. Aber sie irrten sich; nicht das Unglück macht die Romantik. Diotima, Lehrerin des Sokrates, sprach von der unerschöpflichen Fruchtbarkeit des Eros. Ihren Schüler, der in diesen Dingen unbegabt war, verspottet sie. Ihre Ironie und Bissigkeit sind uns überliefert, sodass auch wir in Kenntnis der transformativen Kraft der Liebe über ihn lachen können. Und wenn dieses Lachen verstummt, bleiben wir in der schmerzhaften Erkenntnis zurück, dass wir nur darauf vertrauen können, dass für die Liebe sogar die Ewigkeit nicht zu viel ist – um François Chengs chinesische Version der Erzählung von Tristan und Isolde zu zitieren.

Guardini akut | Nr. 55 | 15. Mai 2023 – Guardini Stiftung e.V.

Prof. Dr. Alessandra Cislaghi war an der Universität Turin Schülerin des Hermeneutikers und ehemaligen Guardini Professors Ugo Perone. Sie ist derzeit Professorin für Theoretische Philosophie an der Universität Triest und unterrichtet dort Natur- und Religionsphilosophie sowie die Philosophie der Person. Ihre Forschungsinteressen liegen im Grenzbereich zwischen Philosophie und Theologie.

Foto: Luca Manassero


Formelsammlung, kompliziert genug

Trigger-Entwarnung: Dieser Text enthält keinen Satz zu Online-Dating.
Über Konzepte romantischer Liebe 2023 und davor

Von Lutz Lichtenberger

„Love is all around“ sang die britische Band The Troogs 1967 – und wer ist nicht bereits nach der ersten Strophe hingerissen von dem betörend mit Streichquartett und Percussion-Effekten untermalten Popsong: „I feel it in my fingers / I feel it in my toes / The love that′s all around me / And so the feeling grows.“ Wenn ein Song einen onomatopoetischen Sound erzeugen kann, ein Lied, das so klingt, wie das, was es beschreibt, dann dieses.

Das Thema ist natürlich schon länger in aller Munde, ein gewisser Singer-Songwriter mit dem Namen Paulus von Tarsus landete bereits vor 2000 Jahren eine Reihe bis heute gern gespielte Hits: „Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.“ Da sind nicht nur die Gäste auf den blumengeschmückten, mit weißem Tuch überzogenen Korbstühlen unter dem Zeltdach einer Landgasthofhochzeit im Mai gerührt.

Gerade in durchpolitisierten Zeiten erscheint die Idee der romantischen Liebe als eines der vermeintlich letzten privaten Refugien, ein institutionell prämierter und ideell unanfechtbarer Schutzraum von aller Unbill der Welt, Befreiung von den Zumutungen des „feindlichen Lebens“ dort draußen und den Unsicherheiten im Innersten der Seele. Es handelt sich zudem um ein demokratisch-inklusives Glücksversprechen: ob jung oder alt, arm oder reich, verkopft oder praktisch veranlagt, für und in allen Geschlechtsvarianten und -kombinationen – und auch der größte Stinkstiefel vermag es, wenn er oder sie für einen Augenblick nicht aufpasst, ihr einmal anheimzufallen.

Das Christentum verstand sich schon lange darauf, seine Botschaft – theologisch nur unwesentlich verkürzt – mit den Semantiken der Liebe zu verquicken. Noch einmal ein paulinischer Klassiker: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu.“ Oder plakativer: Natürlich wollen Franca Lehfeldt und Christian Lindner zur extravaganten Hochzeit mit Prominenten und Porsche eine kirchliche Trauung, obgleich beide keiner Konfession mehr angehören – so viel Transzendenz soll dann doch noch sein. Der Neomythos lebt.

Und wird zugleich gerade – wieder einmal – demontiert. Im Jahr 2023 wird, wie es sich für diskursiv aufgeladene Zeiten gehört, über romantische Liebe insbesondere unter politischen, gesellschaftlichen, feministischen Vorzeichen nachgedacht. Zahlreiche Bücher sind zuletzt erschienen und haben sehr viele Leserinnen und Leser erreicht.

Emilia Roig plädiert in „Das Ende der Ehe. Für eine Revolution der Liebe“ (Ullstein) die wichtigste Säule der patriarchalen Ordnung, ihr trojanisches Pferd, abzuschaffen. Die Institution der Ehe basiere im Kern auf Unterdrückung und Ausbeutung der Frauen und erhalte ein Staats- und Gesellschaftssystem, das auf Ungleichheit aufgebaut sei.

Die feministische Debatte sucht nach Antworten auf den vorgeblichen performativen Widerspruch, wie Mona Chollet es ausdrückt, sich auf der einen Seite gegen die patriarchale Ordnung aufzulehnen, dann aber eine Liebesbeziehung mit jenen zu wünschen, die genau für die Ordnung stehen. Das erscheine nicht kohärent. Chollets Buch „Wir müssen die Liebe neu erfinden. Wie das Patriarchat heterosexuelle Beziehungen sabotiert“ (DuMont) war ein Bestseller in Frankreich. „Wenn es um die Liebe geht, sträuben wir uns davor, Problemen klar ins Auge zu sehen. Wir können Ungleichheit und Sexismus in der Gesellschaft anprangern, aber die Liebe ist heilig. Wir wollen daran glauben, dass sie frei ist von gesellschaftlichen Zwängen“, was aber leider einfach nicht zuträfe.

Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erzählt Chollet, sie sei immer wieder erstaunt, festzustellen, dass feministisches Bewusstsein Frauen in keiner Weise davor bewahre, sich in Liebesdingen in unmögliche bis gefährliche Situationen zu bringen. In der Beziehung zu Männern würden auch viele Frauen, die klug, wach und unabhängig seien, plötzlich blind werden: „Als Frau wurde einem so sehr eingetrichtert, dass die Liebe alles Glück verspreche und das höchste Ziel sei, dass viele Frauen bereit sind, für deren Erhalt alles zu akzeptieren und ihre eigenen Grenzen permanent zu überschreiten.“

Sie plädiert dafür, nicht nur Mädchen in dem Gedanken zu erziehen, dass die Liebe etwas Schönes und Bereicherndes ist, sondern dies auch den Jungen von Beginn an beizubringen.

Die nüchternere Variante dieser reformierten, aber im Kern fortgesetzten Beschwörung des Neomythos stammt von der dänischen Wissenschaftlerin Lone Frank. In „Liebe. Vom höchsten der Gefühle“ (Kein & Aber) wird er, nicht weniger zeitgeistgemäß als in der politischen Variante, neurobiologisch analysiert, in seine chemisch-oxytocinischen Bestandteile zerlegt – schon Säuglinge haben ein intuitives Bedürfnis, in der Nähe ihrer primären Bezugsperson zu sein. Für Erwachsene: „Wir fühlen uns von Personen angezogen, die uns Geborgenheit im Vertrauten versprechen, von solchen, mit denen der Austausch wertvoller emotionaler und physischer Ressourcen ein Gleichgewicht erzeugt.“

Die klügste – und zugleich anspruchsvollste – politische und praktische Formel dürfte von bell hooks stammen. Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin und Autorin, Time Magazine bezeichnete sie noch treffender als „intellektuellen Rockstar“, argumentiert in „Alles über Liebe“ (HarperCollins), dass es der Zeit nicht an Romantik ermangle, aber an Fürsorge, Anteilnahme und Gemeinschaft. Und dass es nicht um Liebesnarrative, Semantiken, mythologisierte Erwartungen gehen könne, sondern um Entscheidungen und Handlungen, weniger Sagen und Versprechen als Tun.

Oder, wie The Troogs schon sagten: „So if you really love me. Come on and let it show.”

Guardini akut | Nr. 55 | 15. Mai 2023 – Guardini Stiftung e.V.

Lutz Lichtenberger war bis zur Einstellung des Blattes im April 2023 Chefredakteur des Hauptstadtbriefes in Berlin.

Foto: Henriette Gängel


Leichtes Gefieder

Von Nora Bossong

Vielleicht zu spät, als eine Krähe
unseren Morgen kappt. Ein Schlag.
Und ob sie fällt und ob sie weiterfliegt –
Ich frag zu laut, ob du noch Kaffee magst.
Dein Blick ist schroff, wie aus dem Tag gebrochen.
Es riecht nach Sand. Du fragst mich, ob ich wisse,
dass Krähen einmal weiß gefiedert waren.
Ich lösch die Zigarette aus, ich wünsch mich
weg von hier, ich möchte niemanden,
ich möchte höchstens einen andern sehen.
Du nennst mich: Koronis. Ich zeig zum Fenster:
Sieh doch, die Aussicht hat sich nicht verändert!
Was gehen dich die Stunden an, die du nicht kennst?
Ich will nur Mädchen sein, nicht in Arkadien leben.
Dein Nagel scharrt noch in der Asche,
doch du bist still, als wärst du fort.
Ich bin zu leicht für deine Mythen.

Erschienen in: Sommer vor den Mauern, Gedichte Edition Lyrik Kabinett, Hanser Verlag, 2011


„Ich war überall und immer zu spät“

Ein (fast) echtes Gespräch mit dem Dichter Heinrich Heine über die romantische Liebe

Aufgezeichnet von Andreas Öhler

Frühling in Paris. Zwei junge Verliebte suchen Schutz unter dem kupfergrünen Vordach eines Mausoleums auf dem Friedhof von Montmartre. Nicht weit davon entfernt hat der Dichter Heinrich Heine seine letzte Wohnstatt bezogen. Die Marmorbüste auf seinem Grab scheint zu dem Paar hinüberzublicken. Wer ein Interview über romantische Liebe führen möchte – dazu noch in einer ganz und gar unromantisch, lieblos wirkenden Zeit – kommt an diesem Meister nicht vorbei.

Andreas Öhler: Herr Heine, Liebe und Tod liegen so nah beieinander: Was denken Sie beim Anblick dieses jungen Paares?

Heine: „Die Welt ist so schön und der Himmel so blau, / Und die Lüfte die wehen so lind und so lau …“ „ Und die Blumen winken auf blühender Au‘ / Und die Menschen jubeln, wohin ich schau‘ …“

Pardon, Monsieur, ich möchte Sie nicht unterbrechen, aber es regnet gerade in Strömen, mit Ihrer Wetterbeschreibung liegen Sie da schon mal falsch.

Nun warten Sie doch mal ab. Sonst wird das nichts mit unserem Gespräch. Jetzt kommt doch erst die Pointe, hoffentlich kriege ich sie noch zusammen. Ah ja: „Und doch möchte ich im Grabe liegen / und mich an ein totes Liebchen schmiegen.“

Ihre letzte Ruhestätte gefällt Ihnen also. Ist das vielleicht ein Grundzug der romantischen Liebe, dass das Grauen des Todes immer die Liebe überschattet?

Sie sprechen mich auf mein „Buch der Lieder“ an, das 1827 bei Hoffmann und Campe erschien. Meine ersten Flegeljahregedichte, das Intermezzo, die Heimkehr und zwei Abteilungen von Seegedichten haben einen hübschen Band ausgemacht, der den Anfang und das Ende meines lyrischen Jugendlebens enthält.

Es war das Werk, mit dem Sie sich in die literarische Welt einführten. Und es beginnt mit dem Kapitel „Junge Leiden“. Darin finden sich Traumbilder, die Sie zwischen 1817 und 1827 geschrieben haben. Da beobachtet der Dichter eine schöne Maid, die sein Totenkleid webt, seinen Eichensarg zimmert und sein Grab gräbt – er schreckt hoch aus dem Schlaf, als sich dessen Schlund öffnet.

Ich habe aber auch ganz lebendig gegen den Tod angesungen. In der Sammlung „Heimkehr“ finden Sie doch die Zeilen wie: „Kennst Du das alte Liedchen:/ Wie einst ein toter Knab‘ / Um Mitternacht die Geliebte / zu sich geholt ins Grab? / Glaub mir, du wunderschönes/ du wunderholdes Kind / Ich lebe und bin noch stärker, / Als alle Toten sind.“

Das klingt lebensbejahend. Ohne Tod mag es ja manchmal gehen, aber ohne Leiden geht es offenbar bei Ihnen gar nicht. Das hat ja schon was fast Religiöses an sich, um nicht zu sagen Katholisches. Verzeihen Sie, ich will Ihnen nicht zu nahetreten. Apropos: Sind sie nicht konvertiert?

So viele Fragen. Das können Sie alles in den Biografien über mich nachlesen. Ich sage nur so viel: „In der Liebe gibt es ebenfalls wie in der römisch-katholischen Religion ein provisorisches Fegefeuer, in welchem man sich erst ans Gebratenwerden gewöhnen soll, ehe man in die wirklich ewige Hölle gerät.“ Oder anders gesagt: „Die Erde ist ein großes Golgatha, / Wo zwar die Liebe siegt, aber auch verblutet.“

Aber selbst ein Dichter kann sich doch nicht ständig mit religiösen Analogien zufriedengeben. Haben Sie nicht auch eine rationale Erklärung für dieses Phänomen der „romantischen Liebe“?

„Bei der Erklärung der Liebe muss ein physikalisches Phänomen oder ein historisches Faktum angenommen werden. Ist es Sympathie, wie der dumme Magnet das rohe Eisen anzieht? Oder ist eine Vorgeschichte vorhanden, deren dunkles Bewusstsein uns blieb und in unerklärlicher Anziehung und Abstoßung sich ausspricht?“

Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen? 

„Die Liebe ist immer eine Art Wahnsinn, mehr oder minder schön.“ Wobei ich immer auch hinzufüge: „Liebeswahnsinn! Pleonasmus. Liebe ist ja schon Wahnsinn.“

Und wie haben Sie das alles bewältigt in Ihrem persönlichen Leben?

„Anfangs wollt ich fast verzagen / Und ich glaubt, ich trüg es nie; / Und ich hab es doch getragen – Aber fragt mich nur nicht wie.“

Aber mit Ihrer dichterischen Bilanz könnten Sie doch zufrieden sein. Sie haben uns Deutschen eines unserer schönsten Volkslieder geliefert. Die „Loreley“ wird immer noch in Gesangsvereinen gesungen.

„Harmonium und Männerchor, so stell ich mir die Hölle vor.“ Aber ich will nicht kokettieren. „Mein Tag war heiter und glücklich meine Nacht. Mir jauchzte stets mein Volk, wenn ich die Leier / Der Dichtkunst schlug. Mein Lied war Lust und Feuer / Hat manche schöne Gluten angefacht.“

Wo liegt dann das Problem?

„Tag und Nacht hab ich gedichtet, / und hab doch nichts ausgerichtet; Bin in Harmonien geschwommen / Und bin doch zu nichts gekommen. Himmlisch wars, wenn ich bezwang / Meine sündige Begier, / Aber wenn‘s mir nicht gelang / Hat ich doch ein groß Pläsier.“

Und hätten Sie denn einen Rat für das junge verliebte Paar? Werden sie es besser machen als ihr Romantiker damals?

„Ja, ich sage es bestimmt, unsere Nachkommen werden schöner und glücklicher sein als wir. Denn ich glaube an den Fortschritt, ich glaube, die Menschheit ist zur Glückseligkeit bestimmt, und ich hege also eine größere Meinung von der Gottheit als jene frommen Leute, die da wähnen, er habe den Menschen nur zum Leiden erschaffen.“

Heinrich Heines Antworten in diesem Interview wurden aus seinen Werken zusammengestellt.

Guardini akut | Nr. 55 | 15. Mai 2023 – Guardini Stiftung e.V.

Der Dichter Heinrich Heine wurde 1797 in Düsseldorf geboren. Obwohl er eine vielversprechende Karriere als Kaufmann und Jurist begann, entschied er sich für ein Leben als Schriftsteller, zunächst in Hamburg, dann in Paris. Dort verstarb er 1856. In Deutschland wurden seine Schriften 1835 verboten; auch der Vatikan setzte einige seiner Werke auf den Index.


Guardini akut | Nr. 55 | 15. Mai 2023 – Guardini Stiftung e.V.
Lea Draeger, Küsschen Küsschen Päpstin, Aus: Ökonomische Päpste
Ausgestellt in der Guardini Galerie 2023
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