Guardini akut | Mit unplattbaren Reifen auf den Spuren Bachs

Guardini akut | KW 9 bis 10/2022

Mit unplattbaren Reifen auf den Spuren Bachs

Die Musikerinnen Mareike Neumann und Anna-Luise Oppelt führen zu Bach auf einer musikalischen Thementour durch Thüringen und Sachsen-Anhalt und Sachsen.
Das Gespräch führte Andreas Öhler

Andreas Öhler: Als gefragte Mezzosopranistin haben Sie sicher genug zu tun. Dennoch engagieren Sie sich jedes Jahr in Ihrem Projekt „Bach by Bike“, einer musikalischen Themenradtour zu den Wirkungsstätten Johann Sebastian Bachs. Seit wann gibt es das Projekt?

Anna-Luise Oppelt: Die Geigerin Mareike Neumann und ich haben gemeinsam in Detmold studiert. In unserer Freizeit haben wir zusammen viele Radtouren unternommen. Als ich dann für mein Gesangsstudium nach Weimar wechselte, kam uns die Idee, mit dem Rad die Bach-Orte zu erkunden. Das war im Sommer 2012. Schon bei unserer Planung fiel uns auf, dass fast alle Bach-Lebensorte in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen an wunderschönen Fahrradstrecken liegen. Die einzige Ausnahme: Lüneburg. Hier hat er zwei Jahre lang die Schule besucht.  

Und das hat vor Ihnen niemand bemerkt?

Wir wunderten uns auch, dass die Bundesländer noch keinen Johann-Sebastian-Bach-Radweg touristisch vermarktet haben, zumal die einzelnen Orte in perfekter Fahrraddistanz zueinander liegen. Auf unserer ersten Tour haben wir uns bei allen Bachmuseen und -kirchen persönlich vorgestellt und ihnen unsere Idee vorgetragen:  Alle waren durchweg begeistert davon und stimmten zu, dass diese Orte eigentlich viel besser miteinander vernetzt werden müssten. Hätten zudem Ehrenamtliche sich nicht persönlich engagiert, ohne solche Menschen wäre etwa die Traukirche Bachs in Dornheim gar nicht mehr erhalten. Inzwischen haben wir ein großes Netzwerk mit den verschiedenen Bach-Stätten aufgebaut. Über mangelnde Kooperation können wir uns nicht beklagen. Man öffnet sogar extra für uns die Museen, so manche sonst verschlossene Tür und unbekannte Orte, wenn wir mit unseren Gruppen kommen.

Wer vermittelt das historische Wissen?

Wir arbeiten mit Kantoren und Historikern zusammen, die Bach-Spezialisten sind und besonders genau Bescheid wissen, was an ihrem Ort geschah, was Bach erlebt und welche Werke er komponiert hat. An anderen Orten führen wir die Gruppen aber auch selbst. Mein Examen in Musikwissenschaft schrieb ich über die Bachrezeption in den Niederlanden. Mareike Neumann und ich haben zudem in einem eigens für die Touren erstellten Reiseführer alle die Informationen zusammengetragen, die wir wichtig finden und vor Ort weitergeben wollen.

Ist das so eine Art neues Biathlon? Sie springen atemlos vom Fahrrad, laufen in die Kirche und singen dann eine Bachkantate?

Das kommt tatsächlich manchmal vor. Lieber versuche ich aber, ein Begrüßungskonzert am ersten Abend der Tour zu geben, so dass ich nicht direkt nach dem Fahrradfahren singen muss. Manchmal singe ich begleitet von einem Organisten in einer Kirche am Wegesrand eine Arie oder nach einer Übernachtung am nächsten Morgen, etwa in Weimar. Oft haben wir auch Organisten unter unseren Teilnehmern, das ist dann besonders praktisch für eine spontane Gesangseinlage zwischendurch!
In diesem Jahr, welches unser Jubiläumsjahr ist, haben wir einige offizielle Konzerte mit unserem Bach-by-Bike-Ensemble in die Touren eingebaut. Dann übernehmen unsere Co-Tourenleiter die Tour, so dass wir uns in Ruhe vorbereiten können. 

Ihr Team besteht also aus mehr als zwei Personen?

Wir haben inzwischen einen Pool aus weiteren Tourguides, die wir nach und nach eingearbeitet haben: alles fahrradbegeisterte Musiker, wie wir!

Welche Menschen nehmen Ihr Angebot wahr?

Die Menschen, die bei „Bach by Bike“ mitfahren, haben meist zwei gemeinsame Interessen: Das Fahrradfahren und die Musik. Bisher haben sich die Teilnehmer immer bestens verstanden. Die Gruppen wachsen oft sehr schnell zusammen und schon nach ein, zwei Tagen werden spontan auf dem Rad Kanons angestimmt und dergleichen mehr.  

Wie alt sind die Teilnehmer?

Unser jüngster Teilnehmer war 14 Jahre alt und dieses Jahr wird ein 89-jähriger bei einer unserer Touren dabei sein. Der Schwerpunkt, liegt so ab 50 Jahren und aufwärts.  

Und das sind dann meist Musikkenner?

Oft ja. Es gibt aber auch Teilnehmer, die vorher noch gar keine Berührung mit Musik hatten und sich einfach ganz offen darauf einlassen, bei einer Themenradtour dabei zu sein. Immer wieder bekommen wir dann ganz begeisterte Rückmeldungen, wie sehr wir den Horizont erweitert hätten. Nach einer Woche „Bach by Bike“ werden so manche zu ganz begeisterten Konzertgängern, was uns besonders freut.

Wie lange geht denn eine Bach-by-Bike- Tour?

Jede Tour ist unterschiedlich. Unser Klassiker beläuft sich auf sechs Fahrrad-Etappen von Eisenach bis Leipzig, vom Geburts- bis zum Sterbeort. In Leipzig bleiben wir dann meist noch drei Tage beim renommierten Bachfest und hören Konzerte an den originalen Orten. Wir bieten aber auch kürzere Varianten an. Dieses Jahr haben wir mehrere nur viertägige Kurztouren im Programm und für die, die voll und ganz intensiv eintauchen möchten, bieten wir unsere Jubiläumstour zum MDR-Musiksommer an, die ganze 16 Tage lang ist und durch sämtliche Bach-by-Bike-Orte führt.

Aber bedarf es nicht eines touristischen Fachwissens, um so eine Tour zu organisieren, um den Teilnehmern nicht zu viel zuzumuten? Wie haben Sie das getestet?

Nach unserer eigenen ersten Tour im Bach-Land 2012 waren wir sehr begeistert von unserer Entdeckung und haben viel davon erzählt. Eine Volkshochschulleiterin gab uns dann den Auftrag, eine Tour für die Volkshochschule zu kreieren. Dies haben wir im Winter am Schreibtisch getan: Sinnvolle Etappen für eine Woche gestaltet, auf denen man neben dem Fahren auch zu den passenden Öffnungszeiten der Bach-Stätten an Ort und Stelle ist. Zudem bekamen wir beim ADFC Einführungen und Hilfestellung zum Leiten einer Gruppentour. Dann luden wir Bekannte und Eltern ein, unsere Tour zu testen:  Diese Testgruppe fuhr 2013 im Sommer die gesamte Strecke von Mühlhausen bis Köthen ab. Wir wollten wissen: Gehen die Etappen und unsere Planung auf?  Das Durchschnittsalter der acht Testpersonen lag zwischen 50 und 70 Jahren. Keiner war besonders trainiert. Danach haben wir noch einige Details leicht verändert. Damals haben wir auch die Hotels getestet und ausgesucht: Welche sind überhaupt für Gruppen mit Fahrrädern und nur einer Übernachtung offen? Wir evaluieren die Touren seitdem jedes Jahr, weil sich natürlich auch immer wieder Umstände ändern. In den ersten Jahren gab es noch mehr technische Pannen, platte Reifen, oder Probleme mit der Kette. Die Fahrräder haben sich inzwischen extrem verbessert. Ich habe seit zehn Jahren keinen Platten mehr gehabt, weil ich mit unplattbaren Reifen fahre.

Wer organisiert die Touren?

Von Anfang an haben wir die Touren selbst organisiert. Von den Hotels, bis zum Fahrradverleih, Gepäcktransport, Mittagessen und natürlich vor allem dem kulturellen Programm kümmern wir uns eigenhändig um jedes Detail. Wir hatten mehrere Jahre zusätzlich externe Reiseveranstalter, die die Hotel- und Kundenbuchung für uns übernommen haben und die Versicherungen, die ein Reiseveranstalter haben muss, um solch eine Reise durchzuführen. Seit zwei Jahren veranstalten wir die Touren nun aber komplett selbstständig.

Gibt es ein Begleitauto?  

Ja, leider können wir darauf nicht ganz verzichten:  Unsere Fahrer transportieren das Gepäck und sorgen zudem immer wieder auch für einen kleinen Snack oder ein Mittagsimbiss zwischendurch. Auch Wasser können wir immer wieder nachfüllen und wenn doch mal Hilfe für ein Rad gebraucht wird, erweist sich das immer wieder als nützlich.

Wer bucht diese Tour?

Menschen aus allen Regionen Deutschlands und Europas, aber auch aus dem weiteren Ausland, aus den USA, Kanada, Australien, Asien, Israel. Wir bieten die Tour in englischer und deutscher Sprache an.

Was ist, wenn das Wetter schlecht ist?

Bisher war uns das Glück ziemlich hold. Ab Juni gibt es in dieser Gegend meist sehr trockenes und heißes Wetter. Natürlich gerät man auch mal in den ein oder anderen Regenschauer, das lässt sich nicht vermeiden, aber dann ziehen alle eben ihre Regenkleidung an und freuen sich, diese nicht umsonst mitgenommen zu haben. Falls es mal länger schütten sollte, besteht in der Regel die Möglichkeit, eine Etappe mit dem Regionalzug abzukürzen.

Wie halten Sie es mit Elektro-Fahrrädern?

Immer mehr Teilnehmer bringen E-Bikes mit, oder leihen sich diese Fahrräder über uns aus. Unser kulturelles Programm kann dann für viele entspannter wahrgenommen werden. Natürlich fahren aber auch viele wie auch wir selbst auf Trekkingrädern. Die E-Bikes mischen sich von der Geschwindigkeit her erfahrungsgemäß problemlos mit den Trekkingrädern.

Aus wieviel Leuten besteht die Reisegruppe optimalerweise?

Die Gruppen sind meist zwischen 15 und 20 Personen groß, ein paar mehr oder weniger Personen kommen auch vor. Wir müssen natürlich insgesamt schauen, dass sich das ganze Projekt rechnet und die Kosten gedeckt werden.

Können Sie denn immer mit dabei sein, auch wenn ein anderes lukratives Angebot kommt?

Wir leiten unsere Touren immer noch möglichst selbst und versuchen, dass mindestens eine von uns beiden dabei ist. Natürlich sind wir hauptberuflich Musikerinnen und das erfordert Flexibilität und auch unsere Ersetzbarkeit. Mit unserem Pool an Musikern gelingt uns, dass wir flexibel zwischen Konzertanfragen und unseren Touren jonglieren können und eben manchmal auch vertreten werden. In diesem Jahr springt meine Mutter, die Chorleiterin ist, während unserer zehnjährigen Jubiläumstour für mich ein und auch Mareikes Vater, der Kantor ist, unterstützt uns. Hier fahren wir in zwei Wochen durch sämtliche Bachorte.  Zwischendrin treten Mareike und ich in einem Konzert des hochkarätigen MDR?Musiksommers in Weimar auf, das die Gruppe auch besuchen wird. Hierfür werden wir drei Tage mit einem kleinen Ensemble und drei anderen Sängern vor Ort proben. Das Konzert haben wir selbst konzipiert und führen jeweils ein Werk aus jedem der Bach-Orte auf und zeichnen so unsere Tour und Bachs Leben musikalisch nach!

Mehr Informationen zu Bach by Bike finden Sie hier.

Grafikdesign Anja Matzker


 
Die Berliner Mezzosopranistin Anna-Luise Oppelt schloss ihr Studium 2018 mit dem Master für Operngesang an der Hochschule für Musik Weimar ab. Ein Studienjahr in Utrecht/Niederlanden sowie Meisterkurse bei Ingeborg Danz, Christa Ludwig, Teresa Berganza, Anke Vondung und die Bachakademie Stuttgart ergänzen ihre vielseitige Ausbildung. Zu Anna-Luise Oppelts vielfältiger Konzerttätigkeit zählen Auftritte bei den Thüringer Bachwochen und dem Festival Güldener Herbst Gotha. 2018 war sie als Solistin mit der Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie zu erleben. Im Frühjahr 2019 sang sie die Altpartie in einer szenischen Aufführung von Bachs „Johannespassion“ unter der Leitung von Marcus Creed im Radialsystem Berlin. 2020 war sie Solistin der Akademie der Bachwoche Stuttgart. Als Opernsolistin war sie u.a. als 3. Dame in Mozarts „Zauberflöte“, als Tante Wimpel in „Der Vetter aus Dingsda“ von Künneke sowie als Mrs. Peachum in Brittens „Beggar´s Opera“ zu hören. 2017 trat sie in der Uraufführung der Oper „Trip to the Moon“ von Andrew Norman unter der Leitung von Sir Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern im Großen Saal der Philharmonie auf. 2022 sang sie Szenen der Waltraute aus Wagners „Götterdämmerung“ sowie der Charlotte aus Massenets „Werther“ mit dem Theater Werkmünchen.

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