Guardini akut | KW 14/2020
„Die Theatermaschine steht still“
Ein Interview mit dem Musikdramaturgen Markus Hänsel
Von Patricia Löwe
Sie sind Musikdramaturg. Wie sieht Ihr beruflicher Alltag aktuell aus?
Das Stadttheater Klagenfurt ist zur Zeit geschlossen und die MitarbeiterInnen auf Kurzarbeit. In dieser Situation fallen viele meiner Aufgabenbereiche weg, beispielsweise die Betreuung von Vorstellungen und vor allem die Vorbereitung anstehender Premieren. Aber als Dramaturg tue ich noch andere Dinge. Zum Beispiel muss die nächste Spielzeit vorbereitet werden – im Augenblick gehen wir davon aus, dass sie stattfinden kann wie geplant, und arbeiten gemeinsam mit der Presseabteilung an der neuen Spielzeitbroschüre. Außerdem haben wir, wie viele andere Theater auch, ein Online-Format entwickelt.
Viele Theater und Opernhäuser streamen derzeit regelmäßig Aufführungen. Aber geht das überhaupt – Theater ohne Publikum?
Ich glaube nicht, dass Theater ohne Publikum möglich ist. Das Wesensmerkmal des Theaters ist, dass hunderte, in großen Häusern auch tausende Menschen gemeinsam in einem abgedunkelten Raum sitzen und auf die Bühne schauen, wo wiederum viele Menschen die Aufführung zustande bringen. Dazu kommt noch eine Menge Personen, die hinter der Bühne arbeitet – und das Personal, das die kommenden Produktionen vorbereitet. Die Theatermaschine steht also im Augenblick still.
Entscheidend beim Theater ist ja das Live-Moment. Es ist ein großer Unterschied, ob man sich einen Film anschaut, der immer gleich ist, egal wie oft man ihn ansieht, oder ob man ein Theater besucht. Eine Theateraufführung erlebt man, man sieht sie sich nicht einfach nur an. Keine zwei Vorstellungen sind gleich – es gibt Abende, die zwar reibungslos ablaufen, aber nichts Besonderes sind. An anderen Abenden springt ein Funke zwischen Bühne und Publikum über und es entsteht etwas Unvergessliches, Geheimnisvolles, vielleicht sogar Heiliges.
Dass dies im Moment unmöglich ist, zeigen auch die sogenannten Geisterpremieren, die an einigen Häusern stattgefunden haben, bevor sie ganz schließen mussten. Da wurden die Premieren ohne Publikum gespielt, aufgenommen und später ausgestrahlt. Natürlich wird in diesen Aufnahmen dokumentiert, dass die Premiere stattgefunden hat und wie die Produktion aussieht, aber das Theaterereignis bleibt aus. Die Tatsache, dass ein Stück gemeinschaftlich angeschaut wird, hat einen immensen Einfluss darauf, wie man es erlebt. Und auch für die Darsteller ist es eine Katastrophe, vor einem leeren Haus zu spielen. Ihnen fehlt der Kommunikationspartner. Publikum und Darsteller stehen während einer Aufführung normalerweise ständig miteinander in Kontakt und üben gegenseitig Einfluss aufeinander auf.
Erfüllt das Theater eine wichtige gesellschaftliche Funktion, die zur Bewältigung der Krise beitragen könnte, wenn die Häuser nicht geschlossen wären?
Über diese Frage, ob das Theater eine unverzichtbare gesellschaftliche Funktion erfüllt, wird gestritten, seit diese Institution existiert. Als Dramaturg sage ich natürlich: Das tut es. Andererseits rezipiert nur ein kleiner Teil der Gesellschaft das Geschehen auf den Bühnen. Und das Publikum geht, da muss man sich nichts vormachen, nicht primär ins Theater, um sich erziehen zu lassen, sondern um sich zu unterhalten. Diese Diskrepanz gab es schon immer und die Krise stärkt oder schwächt diese Debatte vermutlich nicht. Ich glaube allerdings, dass es nach der Aufhebung der Maßnahmen ein großes Bedürfnis geben wird, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen – und dazu gehört dann selbstverständlich auch das Theater.
Glauben Sie, die Krise wird die Theaterlandschaft entscheidend verändern – sowohl programmatisch als auch institutionell?
Um diese Frage zu beantworten, muss ich im Kaffeesatz lesen, der hier in meiner Tasse vom Frühstück übriggeblieben ist. Es ist davon auszugehen, dass sich, wenn eine Gesellschaft eine so starke Krise durchlebt, dies auch in den Spielplänen der Häuser niederschlagen wird. Institutionell hängt es davon ab, wie lange die Situation andauert. Im Moment gehen wir von einigen Monaten aus. Dann wird der Wiedereinstieg in den Betrieb relativ unproblematisch. Aber wenn die Theater längerfristig nicht spielen dürfen, wird das komplizierter sein.
Zudem ist zu bedenken, dass uns eine Wirtschaftskrise ins Haus steht. Wirtschaftskrisen waren für die Kulturbudgets meines Wissens nie besonders förderlich. Es wird also abzuwarten sein, in welcher Größenordnung die Politik nach der Krise bereit sein wird oder kann, die Theater weiter zu finanzieren. Andererseits macht das Kulturbudget nur einen Promilleanteil der Gelder aus, die in die Rettung der Wirtschaft fließen. Insofern ist zu hoffen, dass hier nicht gespart wird.
Markus Hänsel hat einen Magister in Philosophie und ein Diplom im Fach Operndramaturgie. Er arbeitet als Musikdramaturg am Stadttheater Klagenfurt. Seit der Schließung der Theater ist er auf Kurzarbeit umgestellt und harrt gemeinsam mit seinem Partner im Home-Office in München der Dinge, die da kommen mögen.