Guardini Akut | „Ich möchte den Menschen eine Haltung vermitteln“

Guardini Akut | KW 45/2020

„Ich möchte den Menschen eine Haltung vermitteln“

Ein Gespräch mit Pfarrer Thomas Pfeifroth von St. Ludwig über seine Berufung, seinen Werdegang und die Herausforderungen der Pandemie
Von Andreas Öhler

Sie sind seit September 2020 Pfarrer bei St. Ludwig, einer der profiliertesten katholischen Gemeinden Berlins. Eine Herausforderung! Sind Sie schon angekommen?

In den ersten Wochen fühlte ich mich wie auf Wolke sieben. Ich habe mich sehr auf diese Stelle gefreut, mir war die Gemeinde bekannt, weil ich hier meinen Glauben gefunden oder besser gesagt meine katholische Sozialisation wiederentdeckt habe. Jetzt begegnet mir aber langsam der Alltag. Ich merke nun, dass das eine sehr komplexe Gemeinde ist mit sehr unterschiedlichen Strukturen und das ist schon eine große Herausforderung.

Beschreiben Sie doch die Wiederentdeckung Ihrer katholischen Sozialisation.

Ich bin katholisch erzogen, habe als 15-jähriger meine Berufung erlebt, habe dann leider Missbrauchserfahrungen machen müssen mit der katholischen Kirche, bin schließlich ausgetreten und habe irgendwann den Mut gefasst, zu fragen: In welche Kirche kann man denn hier in Berlin gehen? Ich bin extra aus Kreuzberg in die Nähe von St. Ludwig gezogen, weil mir diese Kirche empfohlen wurde. Hier habe ich wieder gelernt – das ist eine große geistliche Erfahrung – zu beten in Gemeinschaft. Ich habe zwar zuhause in Zeiten der Verzweiflung immer wieder auf das Vaterunser zurückgreifen können, aber ein eindrückliches Erlebnis, das ich wohl bis zu meinem Lebensende nicht vergessen werde, war der Sonntagsgottesdienst. Sie müssen sich vorstellen: rechts und links, vor und hinter mir saßen Leute und beteten und sangen. Ich konnte es aber noch nicht. Ich konnte noch nicht den Mund aufmachen und dieses doch intime Sprechen mit Gott in der Gemeinschaft vollziehen. Die Leute um mich herum trugen mich.

Ein verschlungener Weg zu einem Pfarramt.

Sie sagen es! Sehr schnell habe ich mich dann als Priesteramtskandidat beworben. Ich hatte die Sorge, dass ich mal als alter Mann auf mein Leben zurückblicke und mir sagen muss: Du hast nicht das gemacht, was du eigentlich solltest. Und eine schöne Erfahrung war, dass man mich, wenn ich Kritik an der Kirche äußerte, nicht abbügelte, sondern mir immer offen begegnete. Auch das hat mich wieder in die Gemeinde zurückgebracht.

Sprechen wir über die leidige Geißel unserer Menschheit: Corona. Ein Thema für die Predigt?

Ich bin der Meinung, dass wir das Virus geistlich durchdringen sollten, auch wenn es jedem bis hier oben steht. Zumal wir bei der Anmeldung am Eingang zum Gottesdienst immer öfter Probleme haben. Wir müssen aus Sicherheitsgründen die Kontaktdaten der Gottesdienstbesucher erfassen. Aber viele verhalten sich sehr unfreundlich und renitent.

Inwiefern renitent?

Ich sehe darin ein ganz archaisches Muster: Kirche gilt immer per se als ein vom Alltag abgehobener Raum. Das zeigt sich ganz existentiell im Kirchenasyl. Da hat der Staat nicht reinzureden. Und jetzt auf einmal sollen die ganzen staatlichen Maßnahmen, die zurecht bestehen, auch im Kirchenraum bestehen: 1,5 Meter Abstand, Maskenpflicht, Dokumentationspflicht. Ich glaube bei vielen kommt der Widerwille daher, dass ihnen nun der letzte Ort genommen wird, an dem man die Pandemie ausblenden kann. Aber auch in der Kirche gibt es Corona! Klar ist das problematisch, wenn alles das, was eine christliche Gemeinschaft ausmacht und begründet, staatlich verboten wird. Das ist natürlich eine paradoxe Situation, die ein ungeheures Spannungsfeld nach sich zieht.

Was bedeutet das für die Seelsorge?

Es ist gerade wirklich schwierig auf Sicht zu arbeiten. Wir haben gestern über Weihnachten gesprochen. Wir planen, wissen aber nicht, wie es dann sein wird. Wird der Klausurtag mit dem Gemeinderat stattfinden? Wir wissen es nicht. Wir haben jetzt eine Wanderung anvisiert, bei der man sich wenigstens draußen begegnen kann. Aber mit dem neuerlichen Lockdown wird das wohl auch nicht gehen. Dann kommt für mich dazu, im Gegensatz zu meiner vorherigen Kirche, die recht klein war, habe ich jetzt eine große Kirche und das Maskentragen ist obligatorisch. Bei einer Predigt lebe ich sehr davon, dass zwischen mir und der Gemeinde eine Kommunikation stattfindet. Ich nehme die Menschen in den Blick. Das ist für mich ganz wichtig. Und jetzt sind die Leute erst einmal sehr weit weg von mir und haben dann noch einen Lappen vor ihrem Mund und ihrer Nase. Das ist sehr belastend. Ich spüre in der Gemeinde bei einigen auch eine Grundaggressivität. Man möchte das alles nicht. Und hier in der Kirche soll es anders sein.  Das Bild vom heiligen Boden, der nicht angetastet werden soll, das ist in dem Menschen drin.

Lesen Sie dann der Gemeinde die Leviten?

Ich merke in der Entwicklung meiner Predigten – ich habe meine Gottesbilder immer wieder verändert –, dass ich früher doch auch sehr wie Johannes der Täufer agierte. „Ihr müsst und und und…“ Mittlerweile bin ich der Ansicht: Ich möchte den Menschen eine Haltung vermitteln, in der sie selber in das Göttliche einschwingen können, ohne dass ich dirigierend sage, wie es zu sein hat. Das heißt aber nicht, dass ich nur Wohlfühlpredigten halten will. Aber mit Druck und Zwang und Imperativen kommt man heutzutage nicht mehr weiter.


Thomas Pfeifroth betreut als Pfarrer die Gemeinde St. Ludwig in Berlin-Wilmersdorf. Vor seiner Priesterweihe 2005 liegt eine bewegte Vergangenheit: Der kurz nach seiner Geburt katholisch Getaufte trat aus der Kirche aus, studierte Kunstgeschichte, arbeitete als Filmausstatter, ließ sich zum Floristen umschulen und entschied sich schließlich, wieder in die Kirche einzutreten und Priester zu werden. Als neuer Pfarrer von St. Ludwig hat er es nicht nur mit einer ganz besonderen Gemeinde zu tun, sondern stellt sich auch den seelsorgerischen Herausforderungen der Coronakrise.

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