Guardini akut | Gott in Albanien

Guardini akut | KW 5 bis 6/2022

Gott in Albanien

Mit ihrer aktuellen Ausstellung „Gott in Albanien“ wendet sich die Fotografin Jutta Benzenberg der religiösen Vielfalt in Albanien zu – einem hochbrisanten Thema. Das Interview mit der Künstlerin führte Frizzi Krella.

Frizzi Krella: Liebe Jutta, wie begann Dein Weg als Fotografin nach Deiner Ausbildung an der Bayrischen Staatslehranstalt für Fotografie, die ja sehr streng und konsequent auf Technik und das fotografische Handwerk ausgerichtet war?

Jutta Benzenberg: Erst einmal hatte die Schule mir die Fotografie verleidet. Ich hatte vorerst keine Lust mehr zu fotografieren und bin zum Film gegangen. Zuerst war ich bei einer privaten Filmgesellschaft, anschließend beim Fernsehen des Bayerischen Rundfunks. Dort sah ich eines Tages Schwarz-Weiß-Bilder ausgestellt, die mich fasziniert haben und zufälligerweise war der Fotograf – es war Ralf Weiss – vor Ort. Er hat mich zurück zur Fotografie gebracht.
Und dann ist folgendes passiert – wie immer in meinem Leben – gibt es diese einmaligen Begegnungen. In Paris habe ich in einer kleinen Buchhandlung ein Buch mit dem Titel „Exiles“ entdeckt von Josef Koudelka. Ich nahm es in die Hand, schlug es auf und es war für mich eine Erleuchtung. Ich wusste: So will ich fotografieren.

Josef Koudelka ist doch großartig, oder?

Das ist das, was ich als Fotografie sehe. Das ist fantastisch. Jedes Bild ist einfach gut. Daraufhin sagte mir Ralf: Kauf Dir eine Leica. Das tat ich. Es war eine M6, zwei Objektive, ein 50er und ein 35er. Und dann bin ich losgezogen
Ich habe in Paris und New York fotografiert, überall wo wir waren.

Wie bist Du auf Albanien gestoßen?

Im September 1991 hatte ich in der Wochenzeitung DIE ZEIT einen Artikel von Dirk Kurbjuweit gelesen. Er hat übrigens auch gerade einen Film gemacht, „Das Haus“. Damals war er in Albanien und schrieb die Geschichte einer Familie auf, die er in Tirana besucht hatte. Dieser Text war so warmherzig, so begeisternd, dass ich dachte, da möchte ich gerne hin. Ich habe mir daraufhin überlegt, wie ich nach Albanien komme und an der Universität in München angefragt, ob sie nicht albanische Studenten hätten. Natürlich gab es keine, aber sie hatten einen Exilprofessor, Martin Camaj. Er hatte seine Familie verlassen, war in den Fünfzigerjahren in den Westen geflohen und arbeitete nun in München als Professor für Albanologie. Er bot mir an, mich mit einem albanischen Journalisten zusammenzubringen. Das war Ardian Klosi, der gerade nach Deutschland kam.
Da ich mich als Bildjournalistin ausgab, wimmelte er mich erst ab, denn er dachte, ich sei von der Bildzeitung. Erst nach der Vermittlung durch Martin Camaj stimmte er einem Treffen zu. Wir trafen uns am 8. Oktober 1991. Es war Liebe auf den ersten Blick, von beiden Seiten. Ab diesem Moment waren wir ein Paar bis 2012.

Und wann bist Du nach Albanien aufgebrochen?

Im November 1991 bin ich das erste Mal zu ihm nach Albanien geflogen. Ich kann mich noch gut an den alten Flughafen erinnern und die Kühe auf der Landebahn. Das große Glück war, dass er aus einer bekannten Familie kam. So hatten wir Zugang zu allen Themen, die wichtig waren für das erste Buch, welches von Überleben nach dem Umbruch in Albanien erzählt.
Ich bin mit ihm durch sein Land gereist, habe Schwarz-Weiß fotografiert. Ich hatte mir zum Fotografieren Monate ausgesucht, in denen es ein ganz besonderes Licht gibt. Im Sommer wollte ich nicht fotografieren. Ich habe dieses Düstere fotografiert, es passte zum Umbruch und der Situation dieser Menschen.
Auch heute habe ich das Land nur noch Schwarz-Weiß in Erinnerung. Ich sehe überhaupt keine Farbe in dieser Zeit. Ich habe sogar Schwarz-Weiß von dem Land geträumt. Es war so arm.

Diese harten Kontraste zeigt die Schwarz-Weiß-Fotografie auf sehr besondere Art.

Die Armut und dann die Fröhlichkeit der Leute. Klar. Es war der Umbruch nach 1990. Es fing etwas Neues an und sie waren erlöst.

Hast Du das gespürt, als Du da warst?

Ja, das habe ich schon sehr gespürt. Aber auch diese unglaubliche Armut.

Wann ist Euer erstes gemeinsames Buch erschienen?

Das war 1993, in der Edition Fotohof im Otto-Müller-Verlag.
Das zweite Buch haben wir im Verlag meines Mannes selber herausgegeben. Es heißt „Sombre Beauty“. Als wir 1999 nach Albanien gegangen sind, habe ich anders fotografiert. Ich war noch näher dran. Da habe ich mit den Porträts angefangen.

Wie hast Du Deine Themen der Fotografie in Albanien entwickelt? Zu Anfang waren es das Land und seine Menschen? 

Zu Anfang waren es nur die Menschen. Das erste Buch war der Versuch, so zu fotografieren wie Josef Koudelka. Er war mein Lehrer, den ich übrigens auch später in Albanien getroffen habe.

Später habe ich einmal im Norden ein Porträt des Bruders von Martin Camaj gemacht. Martin hatte gesagt: Besucht meine Familie im Norden. Da sind wir vier, fünf Stunden auf die Berge des Dukagjins hoch im Norden Albaniens gelaufen. Aber bevor wir hin sind, war er schon verstorben. Wir sind zu seiner Familie gekommen, und ich habe von seinem Bruder, der ihm sehr ähnlichsah, ein Porträt gemacht. Er hatte im Gefängnis gesessen, da sein Bruder einst geflohen war. Mit der Leica M6 und dem 50er-Objektiv. Ich habe es mir daraufhin angeschaut, vergrößert und gedacht: Das ist eine tolle Art, Porträts zu machen. So nah rangehen, nur mit Tageslicht. Es ist auch etwas Wunderbares geschehen während der Aufnahme. Wir waren alleine in diesem uralten Haus, was selten ist in Albanien, denn man ist auch in den entlegensten Gebieten nie alleine. So entwickelte sich eine Intimität, die es erlaubte, dass mein Gegenüber sein Innerstes vor mir öffnete. Das war ein magischer Moment.
Ich habe dieses Foto nur mit Tageslicht und dunklem Hintergrund gemacht. Das mache ich bei meinen Porträts bis heute noch. Ich verwende kein künstliches Licht, ich wähle Stellen, wo es im Hintergrund dunkel ist.

Den Hintergrund lässt Du unscharf und richtest den Fokus aufs Gesicht?

Das ist wichtig. Die Schärfe auf die Augen.

Auch bei den Porträts der Verfolgten, vor denen wir gerade stehen, liegt die Schärfe in den Augen. In ihnen spiegelt sich die Welt. Und die Nase beginnt schon leicht in die Unschärfe hinüberzugleiten und was schön ist, man sieht auch Dein Spiegelbild in den Augen.
Das heißt Du porträtierst sie und gleichsam entsteht ein Selbstporträt von Dir. Es ist die Reflexion Deiner Welt in den Menschen. Dein Blick auf diese Menschen. Das Porträt ist ja immer auch ein Dialog.

Es ist wirklich ein Dialog, weil ich erst dann abdrücke, wenn ich diesen Blick habe. Wenn ich den Blick in die Seele, in den Menschen finde. Sonst ist mir das Foto nichts wert.

Hast Du schon vor dem Fotografieren eine Idee vom Bild? Oder entwickelt sich diese Idee erst in der Begegnung?

Da ist eine Begegnung und ich sehe das Porträt vor mir. Ich sehe den Menschen und denke: Das wird toll. Wenn die Menschen zum Anfang etwas schüchtern sind, fasse ich sie an, am Arm oder streiche ihnen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Das ist in Albanien üblich, dass man die Menschen berührt. Und auf einmal sind sie ganz entspannt. Ich schicke auch alle weg und bin so fixiert auf sie. Ich bin nur noch bei ihnen. Das ist eine Liebe, eine Begeisterung. Eine tiefe Liebe zu diesen Menschen. Wenn das Foto fertig ist, ist alles weg. Da ist auch komisch, ein bisschen wie Piraterie.

Bei Deiner Serie Gott in Albanien hast Du ganz unterschiedlich fotografiert. Einerseits machst Du Porträts und andererseits fotografierst Du auch Orte oder die Menschen im Inneren von Gebäuden wie bei diesem Foto, ein Derwisch in seiner Tekke. Was ist das für ein Raum?

Das ist der Empfangsraum für die Leute, die sich bei ihm Rat holen wollen. Er hört sich alles an, welche Probleme sie haben. Es gibt Kaffee, es gibt Tee. Er ist der Derwisch, so etwas wie ein Priester im Bektaschi.

Wie hast Du die Kontakte zu den Menschen bekommen, wie triffst Du sie? Meldest Du Dich vorher an?

Es gibt einen Journalisten in Albanien, einen guten Bekannten, der hilft mir immer wieder. Er hat Verbindungen zu der Teke und mit ihm bin ich dahingefahren. Das Gute ist, er spricht mit ihnen, denn ich möchte gar nicht so viel reden. Ich möchte nur fühlen und empfinden. Das Problem beim Reden ist, dass man Kaffee und Schnaps trinken muss, das benebelt und führt mich weg von dem Thema. Ich laufe umher und schaue mich um. Was berührt mich? Wo ist das beste Licht, wie kann ich eine Geschichte erzählen?

Das ist ja kein für Dich klassisches Porträt, sondern Du hast ihn in seinem Kontext in Verbindung mit dem Ort fotografiert. Du hast das künstliche Licht im Innenraum und hast als Medium die Farbfotografie gewählt.

Wegen dieses starken Grüntons, die Farbe der Bektaschis. Das Grün und das Rot, diese Farben haben mich fasziniert.

Ist hierbei der Schwerpunkt ein anderer? Bei den Verfolgten schaust Du ihnen wirklich in ihre Augen, in ihre Seele … 

Die Themen sind ganz unterschiedlich. Es sind die Verfolgten. Da geht es um persönliche Geschichten. Es geht darum, dass sie verfolgt wurden unter Enver Hoxha. Sie muss ich nah ranholen, damit die Geschichte, das Gefühl, die Trauer, das was sie erlebt haben, durchkommt. Da geht es wirklich um die Person. Das persönliche Schicksal. Der Derwisch ist einer von vielen.

Was macht für Dich eine gute Fotografie aus?

Für mich ist eine gute Fotografie die, wenn man immer noch einen draufsetzt.  Man hat ein tolles Bild, aber es ist die dritte Ebene der Geschichte, die es braucht. Die einzigartige Story.

Die Ausstellung „Gott in Albanien“ mit Fotografien von Jutta Benzenberg ist noch bis zum 29. März 2022 in der Guardini Galerie zu sehen.

Grafikdesign Anja Matzker


Jutta Benzenberg arbeitet und lebt als freie Fotografin in München und Tirana. Sie zeigte ihre Werke in zahlreichen Ausstellungen zu albanischen Themen in verschiedenen Städten Deutschlands, Frankreichs, Österreichs, Italiens, der Schweiz und Albaniens. Unter anderem erschienen sind von ihr die Publikationen „Ahead with the Past“, „Sombre Beauty“ und „Albanisches Überleben. Gott in Albanien“. Ihr aktuelles Projekt heißt „Ich habe einen Traum“ und wird unterstützt von UN WOMEN Albanien. Von 2015 bis 2017 war sie in Berlin als kulturelle Beraterin im Rahmen des Projektes „Albania meets Germany“ tätig.

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