Guardini akut | Fridays for Metaphysik

Guardini akut | KW 24/2020

Fridays for Metaphysik

Können Bäume Ratschläge geben? Spricht die Natur durch den Klimawandel mit uns? Ist das Coronavirus eine Botschaft speziell für den Menschen? Eine Auseinandersetzung mit dem biozentrischen Weltbild.
Von Franziska Holzfurtner

„Even gytz, Adam sin slunt,
Dy nature hant vorwunt.
Ja sie sinkit in den grunt,
Not sie dringit alle stunt,
Erge, crancheit, irre.
[…]
Alle ding uns vechten an:
Erde, mer, luft, berge, plan,
Nort, west, ost, sut uf uns gan.
vuer, sterne, sunne man
Erbbruch an uns rechin.“
Hiob-Paraphrase, Handschrift des Königlichen Staatsarchivs zu Königsberg. Hrsg. Von T. E. Karsten, Weidemannsche Buchhandlung, Berlin 1910.

Das obenstehende Zitat ist ein mittelalterliches. Aber eigentlich nur, weil es zufällig im Mittelalter geschrieben wurde. Von den Feuilletons über die Stammtische bis in die Wissenschaft ist die Sprache der Menschen – aktuell zu Corona, aber normalerweise eher in Bezug auf das Wetter – erfüllt von anthropomorphisierenden Naturbildern.

Der kleine, aber feine Unterschied zwischen obenstehendem Zitat und beispielsweise Äußerungen vom Klimafolgenforscher Professor Schellnhuber („Die Elemente Feuer, Wasser und Luft wenden sich nun gegen uns, weil wir den Planeten aus dem Gleichgewicht bringen.“ – 2017) oder Slavoj Žižek zur Coronakrise („Wenn die Natur uns mit Viren attackiert, sendet sie gewissermaßen unsere Botschaft an sie zurück.“ – 2020), ist, dass keiner von der Erbsünde spricht. Natürlich nicht, denn man ist ja säkular. Und das meine ich ganz ernst: Das moderne Zeitalter ist nicht, wie manche unterstellen, nur eine Fortführung alten Denkens mit dekorativen neuen Begriffen.

Eigentlich besteht im säkularen Menschen- und Weltbild, besonders der Umweltbewegung, ein Konsens darüber, dass der Mensch sich in keiner Weise vom Rest der Natur unterscheidet. Er ist nur ein Tier, Natur, und nicht wie beispielsweise in der christlichen Philosophie durch eine metaphysische Qualität anders geartet. ‚Biozentrismus‘ nennen Anhänger dieses Weltbildes ihre Idee gerne und grenzen sie ab vom anthropozentristischen Weltbild des Kapitalismus/der Aufklärung/des Christentums/der Materialisten (suchen Sie sich Ihren Lieblingsfeind aus), das dem Menschen jeweils eine besondere, zwitterhafte Natur und die Position des sekundären Souveräns im Kosmos zugesteht. Zwar ist er Natur und alle ihre Gesetze gelten für ihn, zeitgleich kennt er aber kraft seiner Seele Gut und Böse und trägt daher Verantwortung für sein Handeln. Thomas von Aquin definiert Sünde unter anderem als ein Handeln gegen die (natürliche) Ordnung Gottes.

Hängt man einem säkularen Weltbild an, ist „Natur“ jedoch eine überflüssige Kategorie. Ist alles Natur, dann ist der anthropogene Klimawandel auch natürlich. Der Mensch kann nicht gegen die Ordnung der Natur verstoßen. Auch ist auf einmal das Argument, der Mensch müsse sich zu seinem Selbstschutz bessern, kein Sinniges mehr: Der Mensch ist nicht bedeutsamer als jede andere Spezies, die sich durch zu große Verbreitung selbst ausgerottet hat. Eigentlich dürfte das einen echten Biozentristen nicht stören.

Hinzu tritt die Überzeugung, dass die Natur ständig mit dem Menschen kommuniziert. Wie schon im Žižek-Zitat angedeutet, spricht die Natur ständig zu uns und kennt dabei kein anderes Thema als den Menschen und sein Handeln. Die Wege, auf welchen die Natur kommuniziert, kennen wir beispielsweise aus der christlichen Mystik: Es sind nonverbale Verbindungen, Meditation, liebevolle Anschauung – Jane Goodall weiß, dass Schimpansen spirituelle Tiere sind, weil sie es in ihren Augen gesehen hat – oder aber Wunderzeichen wie Tornados, mit denen sie auf den Klimawandel aufmerksam machen möchte. Der Greenpeace-Mitbegründer Bob Hunter wusste nach einem mystischen Erlebnis mit einem Orca, dass er die Wale retten muss. Monica Gagliano berichtet, sie habe die Ratschläge von Bäumen gespürt. Doch im Gegensatz zum christlichen Mystiker, der sich zu Gott erhebt, beugt sich der ökologische Mystiker zur Natur herab. Sie ist zwar unendlich weiser als der Mensch, aber eben auch hilflos und ihm physisch unterlegen, dazu gezwungen passiv seine Handlungen zu empfangen. Das beginnt schon bei der Ansicht, die Natur sende ständig Hilferufe, der Mensch höre nur nicht zu.

Auch im biozentrischen Weltbild bleibt der Mensch Souverän – nur kein besonders benevolenter, der unter anderem sein Zeitalter, das Anthropozän, in seiner unendlichen Demut nach sich selbst benannt hat.


Die Religionswissenschaftlerin Franziska Holzfurtner lebt in München, promoviert über die Umweltbewegung und war Stipendiatin der Friedrich-Naumann-Stiftung. Zudem arbeitet sie als Onlineredakteurin für eine Computerzeitschrift und ist als freie Journalistin, insbesondere für die Salonkolumnisten, tätig.

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