Guardini akut | KW 19/2021
„Er ist ein theologischer Autor der Zukunft“
Ein Gespräch mit Hans Otto Seitschek über die theologische Aktualität Romano Guardinis
Von Andreas Öhler
Wann sind Sie zum ersten Mal Romano Guardini begegnet und was fasziniert Sie so an ihm?
Ich entdeckte ihn zu Beginn meines Philosophiestudiums in München. Dort gab es bis vor wenigen Jahren auch einen Guardini-Lehrstuhl. Ich konnte noch bei Hans Maier meine Promotion und bei Rémi Brague, dem letzten offiziellen Lehrstuhlinhaber, 2011 meine Habilitation abschließen. Sie sehen: Die ganze Zeit meiner akademischen Qualifizierungsphase hindurch hat mich Romano Guardini begleitet. Ich habe mich in sein Werk vertieft und stets war das für mich eine bereichernde Lektüre. Und heute begleite ich mit großem Interesse den Seligsprechungsprozess.
Gibt es denn noch Geheimnisse in Guardinis Werk? In München liegen seine Schriften im Archiv der katholischen Akademie. Kommen Sie mit den Originalen in Berührung?
Ich greife häufig auf die gedruckten Veröffentlichungen zurück. Doch auch in den Archiven wird geforscht. Relevante unveröffentlichte Schriften werden dann rasch theologisch erschlossen, kommentiert und ediert.
Guardini war thematisch sehr breit aufgestellt. Wo liegt der Wesenskern seines Werkes?
Er war in der Tat ein sehr vielseitiger Denker, eben ein Intellektueller im klassischen Sinne. In den frühen Jahren beschäftigte er sich intensiv mit Liturgie, das Thema „Europa“ trieb ihn im Alter im Zusammenhang mit der Verleihung des Erasmuspreises an ihn im Jahre 1962 um. Dazu gibt es eine breitgefächerte Auseinandersetzung mit Literatur und Kunst durch die ganze europäische Geistesgeschichte hindurch. Philosophisch setzte sich Guardini mit Platon, Pascal, Kierkegaard, Nietzsche und anderen auseinander. Er hat gerade die religionskritische Seite der Philosophie sehr gewürdigt, um die Religion nicht nur von einer Seite zu sehen.
Wo lag da sein Akzent?
In den 1920er-Jahren war Guardini der phänomenologischen Methode sehr zugewandt. Mit ihr versuchte er, die Spannung zu fassen, der die menschliche Existenz immerfort ausgesetzt ist. In seinem Werk „Der Gegensatz“ (1925) hat er diesen Gedanken entwickelt und dann in „Welt und Person“ (1939) vertieft anthropologisch fortgedacht. Für Guardini braucht es nicht notwendigerweise eine Dialektik, um Gegensätzliches in Verbindung zu bringen. Der Mensch kann für seine Existenz einen Gleichklang anstreben. Mit seinem phänomenologischen Ansatz versuchte er sich an einer Antwort auf die frühe Existenzphilosophie, die noch vom Linkshegelianismus herrührte.
Hat Guardini denn selbst die Balance hinbekommen? Er war doch ein eher schwermütiger Mensch.
Das wäre etwas verkürzt, so zu denken. Als katholischer Priester hat er schließlich aus seinem Glauben heraus gelebt, spätestens nach seinem ganz entscheidenden Erlebnis 1906, als er sich in Berlin zur Berufung zum Priester entschlossen hat. Seine Glaubensgewissheit hat er immer wieder in den Vordergrund heben und den Blick auf das Morgen richten können. Diese Zuversicht bei aller Nachdenklichkeit konnte er auch sehr gut vermitteln, zuletzt in seinen Universitätspredigten in Sankt Ludwig in München. Das war für eine ganze Generation nach dem Zweiten Weltkrieg von großer Wichtigkeit für den Glauben. Der Generation meiner Eltern hat Guardini den Glauben, in und mit der Kirche zu leben, zurückgegeben. Da hat Romano Guardini eine ganz große pastorale Leistung erbracht und am geistigen Wiederaufbau Deutschlands entscheidend mitgewirkt.
Predigten arbeiten häufig mit Ausrufezeichen. Als Methodiker war Guardini eher ein Fragender, der seine Zuhörer bei der Suche beteiligte.
Das stimmt nur zum Teil. Er gibt zwar durch seinen sokratischen Fragegestus immer Raum zum Denken, bietet aber konkrete Wegweisungen an. Er ist ein Meister der leisen Töne. Seine Vorlesungen hielt er immer hoch konzentriert, verbat sich jede Störung von seiner Zuhörerschaft.
Dennoch schien in den letzten Jahrzehnten in der katholischen Theologie der Name Guardini immer mehr zu verblassen. Woran lag das?
Das hat mehrere Gründe. Guardini hat zwar selbst ein ganz klassisches theologisches Studium absolviert, nach einem gewissen Anlauf, den er gebraucht hat. Aber er war in all seinen Lehrtätigkeiten, beginnend mit seiner Professur in Berlin, nie fest in einer theologischen Fakultät verankert. Als Gastprofessor an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin war er wegen des preußischen Konkordats Angehöriger der katholischen Fakultät in Breslau. Und später in Tübingen und auch in München war er mit seinem Lehrstuhl stets an der Philosophischen Fakultät angesiedelt. Und das als habilitierter Theologe! Zwischen den Disziplinen war sein Platz. Aber aus dieser Zwischenstellung hat Guardini den höchsten Erkenntnisgewinn gezogen, er gab theologische Antworten auf die Fragen der Zeit. Abgesehen von seinem großem Jesus-Buch „Der Herr“ (1937), mit dem er ein theologisches Buch im engeren Sinne vorgelegt hat, lässt sich sein Oeuvre fachtheologisch nicht so leicht zuordnen.
Hat Romano Guardinis Werk in der katholischen Theologie überhaupt noch eine Zukunft?
Davon bin ich fest überzeugt! Er ist ein theologischer Autor der Zukunft. Der gegenwärtige Papst Franziskus setzt sich bis in seine Enzykliken hinein mit Romano Guardini auseinander. Als junger Jesuitenpater arbeitete Jorge Mario Bergoglio an einer Dissertation über Guardini, bevor er zum Provinzial in Buenos Aires berufen wurde und dann seine Arbeit relativ rasch abbrach. In der Enzyklika „Laudato si“ finden sich jedoch einige Zitate von Guardini aus dem „Ende der Neuzeit“ (1950). Damit kritisiert der Papst einen falsch verstandenen Anthropozentrismus.
Wie sieht es mit dem theologischen Nachwuchs aus, der über Guardini forscht?
Es gibt immer wieder junge Studierende, die sich ernsthaft mit seinen Werken beschäftigen. Durch den nun eingeleiteten Seligsprechungsprozess wächst das Interesse weiter. Ich persönlich merke das auch an der steigenden Nachfrage nach Vorträgen zu diesem Denker. Sie haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Und wenn, so Gott will, die Seligsprechung einmal positiv abgeschlossen sein wird, dann wird das schon eine bedeutende Wirkung auf die Guardini-Rezeption weltweit haben.
Prof. Dr. Hans Otto Seitschek ist außerplanmäßiger Professor der Philosophie an der LMU München, katholischer Theologe und Kirchenrechtler. Seit 2016 ist er zudem Geschäftsführer des Katholischen Bildungswerks in Erding. Er ist Mitherausgeber des Bandes „Helfen durch die Wahrheit. Romano Guardini auf dem Weg zur Ehre der Altäre“ (Ostfildern: Grünewald 2020).