Guardini akut | Der katholische Elefant in Zeiten der Krise

Guardini akut | KW 25/2020

Der katholische Elefant in Zeiten der Pandemie

Wie präsentiert sich die Katholische Kirche angesichts der Coronakrise? Glaube und Vernunft umarmen einander.
Von Piotr Kubasiak

Der im Dezember 2019 verstorbene Theologe Johann Baptist Metz prägte das Bild eines katholischen Elefanten, „der sich schon vom Bild her schwerlich in eine Nische sperren lässt und der in seinem veritablen Umfang immerhin schon über viele Epochenschwellen hinweggezogen ist – meist schweren, schleppenden Schritts und nicht selten eben auch wie der Elefant im Porzellanladen“. Den schleppenden Schritt hat der Kabarettist Helmut Schleich auf den Punkt gebracht, als er Benedikt XVI. in den Mund legte: „Erst kürzlich haben wir zugegeben, dass wir geirrt haben. Die Erde ist keine Scheibe. Galileo Galilei hatte Recht. Das muss man schonungslos aussprechen, auch wenn es schmerzen mag.“ Trotz der satirischen Übertreibung ist unbestritten, dass der katholische Elefant auch heute in vielen Punkten unzeitgemäß wirkt und sich dies nicht nur auf die Unzeitgemäßheit des Evangeliums schieben lässt.

Nun musste der Elefant Halt vor einem Virus machen. Die Coronakrise brachte Vieles ans Licht: Den Zustand des Gesundheitssystems, das Verantwortungsbewusstsein der Individuen oder die Tugenden der Politiker. Was zeigte die Krise vom katholischen Elefanten? Es wird noch viel Zeit kosten, die einzelnen Entscheidungen und das Verhalten der katholischen Kirche (vom Papst bis zu jedem Getauften) zu diskutieren und einzuordnen. Schon jetzt lässt sich allerdings sagen, dass der Elefant trotz vieler problematischer Punkte doch ein auffallendes Verhalten an den Tag gelegt hat:
1. Obwohl in vielen Aussagen des katholischen Lehramtes die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse (noch) nicht rezipiert sind, zeigt diese Krise, dass der ewige Konflikt von Glaube und Naturwissenschaft beendet ist. Die katholische Kirche hat keine Deutungsmuster vorgelegt, sondern sie ließ sich von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen führen. Woher das Virus kommt und wie man mit ihm umgeht, ist eine Frage an die Virologen. Wohin mit der Krise? Antworten auf diese Sinnfrage kann auch die Kirche suchen.
2. Am 27.03.2020 hielt Papst Franziskus eine Andacht auf dem leeren Petersplatz. Die Bilder des menschenleeren Platzes in der Abenddämmerung mit einem Papst, der durch seinen unsicheren Schritt selbst äußerst schwach wirkte, hatten eine enorme Ausstrahlung. Es war nicht nur ein weiterer Höhepunkt der päpstlichen Medialität: einer Medialität, die – wie vor kurzem Klaus Unterburger unterstrichen hat – viel stärker als alle Enzykliken wirkt. Viel wichtiger war die Form seiner Rede: Der Papst appellierte zwar an die grundlegenden Werte wie Gastfreundschaft, Solidarität, Brüderlichkeit und Gemeinschaft, aber er bot in der Rede keine Erklärungsversuche für diese Krise. Er wiederholte die Frage aus dem Markusevangelium: „Kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?“ Und nach einer kurzen Reflexion wechselte er sofort von einer Rede über Gott zu einer Rede zu Gott. Dies wäre auch im Sinne des bereits erwähnten Theologen Metz: „Diese Sprache der Gebete ist nicht nur universeller, sondern auch spannender und dramatischer, viel rebellischer und radikaler als die Sprache der zünftigen Theologie. Sie ist viel beunruhigender, viel ungetrösteter, viel weniger harmonisch als sie. Als solche ist sie viel widerstandsfähiger, viel weniger geschmeidig und anpassungsbereit, viel weniger vergesslich …“. Die auf den Petersplatz gebrachte Marienikone Salus Populi Romani („Heil des römischen Volkes“) und das Pest-Kreuz aus der Kirche San Marcello zeigen ebenfalls, dass der Beitrag der Christen eher im Gebet als in Erklärungsversuchen besteht und dass die sog. Volksfrömmigkeit in Krisenzeiten viel tiefer greift, als man es vermutet.
3. In der Krise hat sich noch etwas gezeigt: Die katholische Kirche ist viel mehr als die abgesagten Gottesdienste. In vielen Diözesen arbeitete man auf Hochtouren: Unzählige Gesprächsangebote, Entwürfe für Gottesdienste zu Hause, Engagement der Pfarrcaritas, Bildungsvorschläge der diözesanen Webseiten …

Was man über die Krise jetzt schon sagen kann: Das Virus war keine Weltverschwörung gegen die Kirche, wie das Nuntius Viganò wollte, und Medizin ist nicht zur neuen Religion geworden, wie Agamben im Märtyrermodus beschwört. Auf katholischer Seite haben sich Glaube und Vernunft umarmt: Man überließ die Erklärung den Virologen; man betete und arbeitete, statt große Theorien aufzubauen. „Gebet und stiller Dienst – das sind unsere siegreichen Waffen“, sagte Franziskus im März. Es bleibt zu hoffen, dass die Besinnung auf das, was Kirche sein sollte, auch nach der Krise bestehen bleibt.


Dr. Piotr Kubasiak hat Philosophie und Theologie in Krakau, Regensburg und Wien studiert und 2019 an der Universität Wien am Institut für Theologische Grundlagenforschung (Fundamentaltheologie) sein Promotionsstudium mit einer Dissertation über „Europa und Geschichte im Denken von Krzysztof Michalski“ abgeschlossen. Seine Interessen gelten vor allem der Politischen Theologie, dem christlichen Zeitverständnis und der historischen Theologie. Seit 2017 ist Piotr Kubasiak als Studienleiter für die AKADEMIE am DOM und als Wissenschaftlicher Assistent bei den THEOLOGISCHEN KURSEN sowie am Lehrstuhl für Liturgiewissenschaft der Universität Regensburg tätig.

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