Zum Tod von Papst Franziskus: Urbi et Orbi

Zum Tod von Papst Franziskus: Urbi et Orbi – Guardini Stiftung e.V.

Franziskus war Papst in Rom und für den Erdkreis: Zum Thema „Papst und Zeit“ einige Gedanken von Thomas Brose


Als wir am Ostermontag in der Kirche saßen, machte sich plötzlich Unruhe breit – und dann kam die Nachricht, die wohl keiner unmittelbar nach dem „Triumpf“ (Andreas Englisch) des Segens „urbi et orbi“ erwartet hätte: Einen Tag nach dem Osterfest ist Papst Franziskus – wie ich zu sagen wage – zum Vater heimgegangen.

Der Segen für die Ewige Stadt und den Erdkreis war seine letzte große Symbolhandlung – nicht nur Katholiken, sondern Menschen in aller Welt, Gläubige aller Konfessionen und Religionen, Skeptiker und Säkulare, werden diese Geste, die am Ende seines Pontifikats stand, möglicherweise in Erinnerung behalten.

Papst Franziskus hat die Römisch-Katholische Kirche mit etwa 1,4 Milliarden Gläubigen zusammengehalten. Das gehörte zur Beschreibung seines Arbeitsplatzes am Tiber. Als Pontifex maximus, als oberster Brückenbauer, war er Diener der Einheit. Dass es ihm in einer Zeit schwerer Turbulenzen und Disruptionen gelungen ist, sein Amt auszufüllen und der ältesten noch bestehenden Institution der Welt Rückhalt und Glaubwürdigkeit zu geben, dafür dürfen auch wir an der Spree ihm dankbar sein.

Seit dem Rücktritt von Benedikt XVI. im Jahr 2013 leitete Franziskus die Weltkirche insgesamt zwölf Jahre. Das ist, wenn man die zweitausendjährige Kirchengeschichte betrachtet, kein kurzes Pontifikat.Mit 88 Jahren ist Franziskus als einer der ältesten Päpste verstorben.

Nachfolgend zum Thema „Papst und Zeit“ noch einige Gedanken, die ich zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung vom 2.August 2024, S. 29 publiziert habe:

Zwischen Machtpolitik und Mystik

Gott ist ewig, die Welt wandelt sich ständig. Und der Papst? Er hat die Aufgabe, in der Welt die Ewigkeit Gottes zu symbolisieren. Der Philosoph und Politikwissenschaftler Otto Kallscheuer analysiert die Rolle des Papstes in der Geschichte.

Dass Zeit mehr ist als ein physikalisches Phänomen, daran erinnert der berühmte Satz des Predigers Salomo, wonach „alles seine Stunde“ habe (Kohelet 3,1). Das Alte Testament nimmt damit eine allgemeinmenschliche Erfahrung in den Blick, die im Zentrum aller Religionen steht: Wie kann es dem homo sapiens angesichts der Allgewalt der Zeit gelingen, Spielräume von Freiheit und Transzendenz zu gewinnen – im Christentum geschieht dies durch den Einsatz von Ordnungsbegriffen wie „Vorsehung“ oder „Reich Gottes“. Otto Kallscheuer greift im Untertitel seines Werkes auf die durch den göttlichen Logos gestiftete „Heilsgeschichte“ zurück, kombiniert diese aber mit dem säkularen Ausdruck „Weltpolitik“. Der Verfasser macht damit deutlich, worum es ihm in seinem Werk geht: „Beide Instanzen (in-)formieren, strukturieren, modifizieren einander wechselseitig. Das ewiggeltende WORT Gottes (der Logos allen Sinns von Sein) hat unter uns gewohnt – in der Zeit. Diese Frohe Botschaft verkündet uns die Kirche: ebenjenes Corpus, dem der Papst vorsteht. Aufgabe der Kirche und Job des Papstes ist es, dieses WORT so zu artikulieren, … dass es die Wirklichkeit von (uns) Sterblichen zu berühren, zu ändern, zu heilen vermag.“

Es gehe, so der Philosoph und Politikwissenschaftler, am Anfang von „Papst und Zeit“ nicht „um Holzwege im Unbegangenen“, also nicht um Philosophie à la Heidegger, sondern „um die Macht (in) der Kirche um die Vollmacht ihres Chefs, um den Wandel und die Zukunft dieser Institution.“ Der Fachmann für Religion und Politik geht diese Aufgabe in seinem 30 Kapitel umfassenden, durch 20 Exkurse angereicherten, überbordenden Buch auf der Grundlage jahrzehntelanger Forschungen systematisch an – und zeigt sich dieser Herausforderung auf den fast 1000 Seiten seines Opus magnum durchgehend gewachsen.

Dem Autor gelingen dabei Analysen, die Einblicke in den politisch-spirituellen Untergrund des Westens gewähren: etwa wenn Kallscheuer in seinem „INTROITUS“ vier Pontifikate miteinander verbindet: „Ein römisches Wunder also, dass am 27. April 2014 nicht weniger als vier Päpste gleichzeitig … vor über einer Million katholischer Pilger“ auftraten. Neben Papst Franziskus nahm nämlich auch „der im Vorjahr vom römischen Bischofsamt zurückgetretene Benedikt XVI.“ an der Feier einer doppelten Heiligsprechung teil. „Und zur Ehre der Altäre erhoben wurden zwei Kollegen, zwei im Bewusstsein vieler Gläubiger äußerst lebendige Päpste des zwanzigsten Jahrhunderts: Johannes XXIII. (1958-1963), der Papst des Zweiten Vatikanischen Konzils, und Johannes Paul II. (1978-2005), der polnische Pontifex, der das Schiff der katholischen Kirche durch die Schlussphase des Kalten Krieges gesteuert und ins neue Jahrtausend geführt hatte.“ Mit anderen Worten: Jenen beiden Päpsten bescheinigt Kallscheuer, dass es ihnen auf je eigene Weise gelungen sei, die verrinnende Zeit (Chronos) so zu gestalten, dass sie den richtigen Zeitpunkt (Kairos) wählten, um „Heilsgeschichte und Weltpolitik“ überzeugend aufeinander abzustimmen. Jegliches hat seine Zeit.

Der politische Theoretiker macht deutlich: Auch die katholische Kirche als größte und älteste noch bestehende Institution auf dem Globus war den Wechselfällen einander ablösender Epochen stets unterworfen; nie ruhte sie petrinisch-felsenfest in sich selbst, sondern musste von Anfang an darum kämpfen, die Zeichen neuer Zeiten zu deuten. Wie konnte aus einer jüdischen Sekte eine Weltkirche werden? Auf welchem Weg vollzog sich der Aufstieg der Nachfolger Petri zu einem Papsttum mit unbestrittener Deutungs- und Entscheidungshoheit? Und welche Rolle spielte dieses „Regelsystem“ für die Entwicklung der westlich-abendländischen Welt?

Packend erzählt der Autor vom 28. Oktober 312, an dem sich Kaiser Konstantins (306–337) Wende zum Christentum, ein welthistorisches Ereignis größten Ausmaßes, vollzog. „In hoc signo vincis – ‚in diesem Zeichen wirst Du siegen‘, habe ihm der Gesalbte (christos) Gottes im Traum versprochen … Also prangte das Zeichen des Herrn – ‚XP‘, das Christusmonogramm Chi-Rho – auf den Schildern seiner Truppen, die am folgenden Tag im Triumph in die Hauptstadt einzogen.“ Kallscheuers Fazit: Konstantins „Begegnung mit dem Christuszeichen als dem neuen Siegesmal des römischen Kaisertums war kein historischer Zufall, sondern Ergebnis einer doppelten Entwicklung, in der sich beide Antagonisten, Kirche und Reich, teilweise bereits aneinander anverwandelt hatten: Zum einen war die … ekklesia selbst zunehmend römisch geworden; zum anderen war auch das Römische Imperium auf der Suche nach einem seinem universalen Anspruch angemessenen Begriff religiöser Legitimität.“

Dass das Papsttum weltgeschichtlich aber beinahe auf der Strecke geblieben wäre, dafür steht beispielsweise der Name Bonifaz VIII. (1294-1303). Anlässlich des ersten, von ihm ausgerufenen „Heiligen Jahres“ 1300 hatte er großspurig verkündet: Alle christlichen Reiche Europas unterstünden letztlich dem Apostolischen Stuhl. Was darauf folgte, war eine Tragödie – hundert bittere Jahre des Papsttums in Avignon, verbracht in „französischer Gefangenschaft“, fernab der Gräber der Apostel. Für die Nachwelt, so Kallscheuer, habe vor allem Dante Alighieri das Bild des „päpstlichen Machtmenschen Bonifatius VIII.“ geprägt, indem er ihn in jenes „Höllenloch“ versetzte, „in dem die kirchlichen Simonisten schmoren müssen. … Denn hier schmachten diejenigen Päpste, welche die Kirche als ‚schöne Braut‘ des Herren“ durch Ämterkauf verraten haben.

In der säkularisierten Gesellschaft zeichnet sich gegenwärtig ein neues Interesse für Glaubensmacht und Politik ab. Dabei geht es um grundlegende ethische, Völker und Nationen überwölbende und verbindende Konstellationen. Als Role Model und Identifikationsfigur für ein Papsttum, das auf der Höhe seiner Zeit agiere, legt der Politologe nahe, komme dabei beispielsweise Paul VI. (1963–1978) in Frage. Dieser habe vor der UN-Vollversammlung „für die Rolle des Papstes in der Weltpolitik die schöne, weil paradoxe Formulierung ‚Spezialist für humanité‘“ beansprucht. Diese „Wortwahl – Menschheit/Menschlichkeit – umschreibt gerade kein präzises politisches Aufgabenfeld“, sondern universelle Kriterien, an denen sich Politik heute jederzeit messen lassen müsse.

In seinem Werk berichtet der Autor in lebendiger Weise von geschichtlichen Wechselfällen, in denen Päpste – zwischen Antike und Spätmoderne – als Bekenner und Friedensstifter, aber auch als Kriegstreiber und Eroberer, Feinde der Aufklärung und Anwälte der Menschenwürde auftraten. Um das Papsttum zu begreifen, das zeigt Otto Kallscheuer in seinem herausragenden Buch, brauche es zweierlei: ein christlich-theologisches Grundverständnis von „Heilsgeschichte“, verbunden mit einer tiefgreifenden historisch-sozilogischen Analyse von „Weltpolitik“.

Otto Kallscheuer: Papst und Zeit. Heilsgeschichte und Weltpolitik. Matthes & Seitz, Berlin 2024. 956 S., EUR 44,00.

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