Verabschiedung des Guardini Professors Ugo Perone

14. September 2021

Verabschiedung des Guardini Professors Ugo Perone

Rede von Mariola Lewandowska, Geschäftsführende Vizepräsidentin der Guardini Stiftung

Sehr verehrter Herr Professor Perone, lieber Ugo,
ich kann mich noch sehr genau an den warmen Junitag im Jahr 2012 erinnern, als ich Dich voll freudiger Erwartung am Flughafen Tegel abgeholt habe, ein Ort, der ohnehin viele gute Erinnerungen bei den meisten hier Anwesenden weckt. Ich habe Dich zu einigen ersten kurzen Besuchen in der Theologischen Fakultät begleitet und wir haben Pläne für die Zukunft geschmiedet. Auf Anhieb entstanden eine große Sympathie und das Gefühl, dass die Zusammenarbeit mit dem neuen Guardini Professor interessant, inspirierend und – das ist nicht unwichtig! – unkompliziert werden würde. Ich hatte das Glück, als Geschäftsführerin der Guardini Stiftung alle drei Deiner Vorgänger begleiten zu dürfen. Jeder Einzelne hatte seine eigene Weltsicht, erweiterte meinen Horizont, brachte uns allen viele Dinge bei und prägte nicht nur mich und die Institution, sondern auch seine Studierenden. Für Dich, Ugo, gilt das ganz besonders.

Bei Professor Perone wusste man nämlich sofort, dass man es mit einem Profi zu tun hatte. Er war und ist ein Profi, wenn es darum geht, Wissenschaft zu betreiben, die auf die Gesellschaft Einfluss nimmt und für sie relevant ist. Ein Profi ist er aber auch, wenn es um mediale Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit geht. Nicht umsonst war er einige Jahre Direktor des Italienischen Kulturinstitutes in Berlin und Kulturdezernent der Stadt Turin. Also auch auf diesem Parkett konnte man von ihm viel lernen. Für die erste Disputatio während seiner Amtszeit über die Relevanz von Medien für gesellschaftliche Veränderungsprozesse konnte er im Handumdrehen Giovanni di Lorenzo von der ZEIT und Peter Frey vom ZDF als Gesprächspartner gewinnen. Seine Antrittsvorlesung im Rahmen der „Lectio Guardini“ mit dem Titel „Lob der Philosophie“ wurde vielerorts besprochen und diskutiert. Im Deutschlandfunk beispielsweise berichtete Hans Joachim Neubauer: „Philosophie, glaubt Perone, ist immer auch Moral und Politik. Sie sucht nach dem Maß, das für alle gilt.“

Professor Perone erweiterte den Blick für die zeitgenössische italienische Philosophie und holte viele seiner Kolleginnen und Kollegen zu Studientagen, Konferenzen und Vorträgen an die Theologische Fakultät. Gleich zu Beginn fanden zwei seiner berühmten Summer Schools statt:  eine in Berlin und eine in Turin.

In die neun Jahre seiner Tätigkeit fiel das Reformationsgedenken, das die Guardini Stiftung gemeinsam mit der Professur mit dem DEKALOG-Projekt begleitet hat. In engster Zusammenarbeit mit der Theologischen Fakultät, namentlich mit Frau Professor Wendebourg und Herrn Professor Slenczka, haben wir eine Reihe von Ringvorlesungen organisiert, die sich u. a. mit Luthers katholischen Kontrahenten befassten. Es fanden unter der Leitung von Ugo Perone zwei internationale Summer Schools in Rom und Erfurt zu theologischen, kulturellen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Reformation über 500 Jahre statt.

Das letzte große Projekt mit einer ersten fulminanten Summer School im August 2019 in Rom zu christlichen Grundlagen Europas, das Herr Perone besonders am Herzen lag, wurde durch die Pandemie jäh unterbrochen. Ich hoffe sehr, dass wir im kommenden Jahr daran anknüpfen können und Dich, lieber Ugo, dabei weiterhin an unserer Seite wissen dürfen.

Ganz in der Tradition Romano Guardinis wirkte Professor Perone nicht nur an der Universität, sondern auch auf der Kanzel – sowohl als Prediger als auch in der Konzeption der Theologischen Predigtreihe. Darüber hinaus war er stets ein wichtiger Ansprechpartner für die Organisation und Realisierung der Guardini-Tage seit 2016. Auch 2022 dürfen wir ihn beim Guardini-Tag in München erleben.

So ein Abschied fällt schwer, lieber Ugo. Ich schätze Deine unglaubliche Offenheit für neue Ideen – die in keinem Lebensalter selbstverständlich ist, vor allem nicht, wenn man so viel Weisheit erlangt hat, wie es bei Dir der Fall ist. Du hast Dich unermüdlich für Deine Studierenden eingesetzt. Nicht zuletzt haben wir durch Deine Promovendin Dr. Patricia Löwe als eine geschätzte Referentin der Guardini Stiftung gewonnen, durch die sich die Zusammenarbeit zwischen Lehrstuhl und Stiftung noch intensiviert hat. Du bist humorvoll, tolerant, weltzugewandt und zuverlässig. Du und ich, zwei Ausländer in Berlin, haben oft darüber gescherzt, dass die sprichwörtliche deutsche Pünktlichkeit in der Neuzeit auf Abwege geraten ist. Wir alle werden Deine italienische Leichtigkeit – trotz Pünktlichkeit! – vermissen und auch Deine große Herzlichkeit, die uns über viele Hürden getragen hat, die die Institutionen in den letzten Jahren nehmen mussten.

Als Deine Studierenden Dich in ihrem Semesterabschlussgottesdienst verabschiedet haben, stammte die Lesung aus Jesus Sirach 25. Dort heißt es „Selig, wer mit einer klugen Frau zusammenlebt.“ In diesem Sinne möchte ich zum Schluss meinen Dank an Deine wunderbare Frau Annamaria richten, die für uns ebenfalls zu einer wichtigen und unersetzlichen Partnerin in all den Jahren geworden ist. Mein Dank gilt außerdem Deiner treuen Mitarbeiterin Dr. Silvia Richter, die mit Dir stets an unserer Seite gefochten hat.

Dieser Abschied hat schon jetzt ein Wiedersehen!


Rede von Prof. Dr. Georg Essen, Direktor des Instituts für Kathlische Theologie der Humbodlt-Universität zu Berlin

Wer die Frage stellt, welcher Philosophie die Theologie bedarf, sollte Fallstricke tunlichst vermeiden. Wer so fragt, und dann auch noch als katholischer Theologe, gerät schnell in den Verdacht, der Philosophie die Rolle zuweisen zu wollen, Magd der Theologie zu sein. Auf der sicheren Seite ist, wer es da mit Immanuel Kant hält: Ja, die Philosophie sei die Magd der Theologie, heißt es bei ihm. „Aber es ist ein Unterschied, ob die Magd der Herrin die Schleppe hinterherträgt oder ob sie ihr das Licht voranträgt.“ Ein großartiger Satz, auf den wir uns, lieber Ugo, rasch werden verständigen können. Aber würde Ugo Perone es, meine sehr verehrten Damen und Herren, so schroff und mit spitzer Zunge formulieren? Natürlich nicht, denn, lieber Ugo, Du bist ein über alle Maßen höflicher, liebenswürdiger und zuvorkommender Mensch. Und du bist ein Italiener, dem die stolze und gelassene Grandezza eines Piemontesen geschenkt wurde.

Selbstredend wird Ugo Perone stets die Autonomieansprüche der Vernunft verteidigen. Aber er ist, und zwar durch und durch, Hermeneutiker. Darum ist er sich sehr wohl bewusst, dass die Vernunft in Geschichte, Kultur und Traditionen tief eingelassen und folglich in Geschichten verstrickt ist. Es ist ja keineswegs verfehlt, die von ihm vertretene Philosophie eine Philosophie der Endlichkeit zu nennen. Sie weiß um das Bewusstsein ihrer Zeitlichkeit, sie weiß um ihre Grenzen und überschreitet sie doch. Denn es geht darum, ein Leben mit Bewandtnis zu führen. Ein solches Leben verlangt nach kultureller Deutung und auch Orientierung. Erfahrung, Sprache, Handlung, Identität und Geschichte gehören deshalb zu den Leitkategorien Deines Philosophietreibens. Dabei geht es Dir stets auch um die gelebte Kultur und die mit ihr verbundenen lebenspraktischen Herausforderungen, die sie beinhalten. Du vertrittst, wie man vielleicht sagen könnte, eine Hermeneutik der praktischen Vernunft. Auch Deine Metaphysik ist eine bestimmte Form der Hermeneutik. Sie umgreift Mensch und Welt, Denken und Sein, Innen und Außen, Kultur und Natur. Gott umgreift sie nicht, denn täte sie es, verfehlte sie die Spannung zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen, Vorletztem und Letztem, Bedeutung und Sinn.

Dass Du, lieber Ugo, in Deiner Heimatstadt Turin und hier in Berlin, das Dir und Deiner Familie zur zweiten Heimat wurde, ein Kulturpolitiker von Rang gewesen bist, ist Teil Deiner Lebensphilosophie. Kultur und das Nachdenken über sie gehören für Dich zum sinnbildenden Umgang des Menschen mit sich und seiner Welt. War es deshalb die Vorsehung oder doch – so ein kleinwenig ein Hegelianer bist Du ja nun doch – die List der Vernunft, dass natürlich Du über viele Jahre hinweg der Inhaber der Guardini Professur gewesen bist? Es passte einfach, weil auch Du, wie Dein italienischer Landsmann aus Verona, auf brillante, auf einzigartige Weise die Sinnwelten von Wissenschaft und Leben, von Vernunft und Kultur nicht nur zusammenführst, sondern sie gleichsam habituell verkörperst.

Sie sind leider selten geworden, die katholischen Intellektuellen, die, ausgestattet mit dem nötigen Selbstbewusstsein, stilsicher urban präsent sind. Wir haben über dieses Thema, lieber Ugo, nie gesprochen, aber liege ich ganz falsch, wenn ich Dich so wahrnehme, dass Deine katholische Identität das Kirchliche nicht wie eine Monstranz vor sich hertragen muss und dass Dir ein ekklesiologen-neurotischer Identitätszwang – die Sünde wider den Heiligen Geist, den unsere Kirche in der Moderne sich zuschulden kommen lässt – geradezu wesensfremd ist? Deine Frömmigkeit ist eine Weltfrömmigkeit. Typisch für Dich, dass du den wunderbaren Satz von Nicolas Malebranche, die Aufmerksamkeit sei das natürliche Gebet der Seele, im Umweg über Walter Benjamin in Erinnerung gerufen hast. Die am Institut für Katholische Theologie angesiedelte Guardini-Professur beinhaltet das Versprechen, ins Offene, ins Weite ausgreifen zu können.

Ugo, du bist Hermeneutiker. Als Wissenschaftler, Kollege und, vor allem, als Lehrer wirst Du auch deshalb wertgeschätzt, weil es, in Anlehnung an einen Satz von Gadamer, einer Deiner Lehrer nach Schriften, stets Dein Bestreben ist, dem anderen zuzuhören in der Meinung, er könnte recht haben. Für diese Grundhaltung uns allen gegenüber, lieber Ugo, danken wir Dir von Herzen.

Welcher Philosophie bedarf die Theologie? Von Dir, lieber Ugo, könnte sie lernen, dass die Philosophie den Mut nicht verlieren darf, Aussagen über die Welt im Ganzen zu machen. Zu lernen wäre von Dir auch, sich einer Sprache anvertrauen zu dürfen, die das Unbedingte zu sagen sich noch zutraut, wonach der Mensch sucht und fragt. Die Kultur als Ganzes sei eine „Form der Aufmerksamkeit“, heißt es in einem Deiner Texte. Sie ermutige, „etwas Unerwartetes zu gebären, das uns zu leben hilft: Ein Gedanke, ein Ton, eine Farbe, eine Form, ein Wort können uns in der richtigen Weise eine Welt erschließen, oder ab in verfehlter Weise eine Welt zerstören. Man muss lernen, auf all dies aufmerksam zu sein.“

Wir hatten und haben, sehr geehrte Damen und Herren, allen Grund, Ugo Perone unsere Aufmerksamkeit zu schenken. Dir, lieber Ugo, ein dankbares „Vergelt’s Gott“!


Rede von Prof. Dr. Notger Slenczka, Theologische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin

Dank zu sagen ist der Auftrag, den ich ausdrücklich und offiziell vom Dekan der Theologischen Fakultät erhalten habe: zu danken im Namen der Fakultät für acht Jahre der Zusammenarbeit. Und zu danken ist mir ein persönliches Anliegen. Das stellt mich vor die Schwierigkeit, dieses persönliche Anliegen mit dem offiziellen Auftrag zu verbinden; das ist nicht so einfach. Es würde eben angesichts der persönlichen Verbundenheit nicht genügen, an das zu erinnern, was Du für die Fakultät getan hast und bedeutet hast, insbesondere für die Studierenden; und daher zähle ich nicht die vielen Lehrveranstaltungen auf, schweige zur Breite der Gebiete, die Du in der Lehre abgedeckt hast: zu Positionen der Religionsphilosophie; zur Wahrheitstheorie; zur Zeit; zur neuzeitlichen Philosophiegeschichte. Zur Emotionstheorie. Zu Bonhoeffer; zu Pascal; zu Jean-Luc Marion; und natürlich zu Dante – das wären, wenn ich es denn nennen würde (und das tue ich nicht!), nur wenige Beispiele. Ich zähle das nicht auf; ich berichte auch nicht, dass ich Dich zuweilen durch das Hörsaalfenster im Erdgeschoss des Fakultätsgebäudes in der Burgstraße gesehen habe, wie Du Deine Vorlesung gehalten hast, oft nicht vom Pult aus, sondern direkt vor den Studierenden stehend, auf Augenhöhe und im lebendigen Vortrag und Gespräch Deine Gedanken entwickelnd. Nein, davon spreche ich nicht, auch nicht von der Bewunderung und Zuneigung Deiner Zuhörer, die genau das an Dir schätzen und darum gern und überpflichtig, das heißt: weit über die Leistungspunktpflichten hinaus Deine Vorlesungen und Seminare besuchten. Das alles wäre nur offizieller Dank; das sage ich also nicht.

Ich spreche auch nicht davon, welche Bereicherung die Tagungen und Konferenzen auch für unsere Fakultät bedeuteten, zu denen Du insbesondere Kolleginnen und Kollegen aus Italien eingeladen und uns bekannt gemacht hast – auch davon schweige ich; es waren vom Thema her hochinteressante Treffen, wenn ich darüber sprechen würde, würde ich insbesondere die Tagung zum Gefühl 2015 wenigstens erwähnen und damit herausheben – aber das tue ich ja nicht.

Etwas näher an die Verbindung von ‚Offiziellem‘ und Persönlichem käme die Erinnerung an die im Rahmen des Programms der Guardini Stiftung durchgeführten Sommerschulen in Erfurt und zweimal in Rom – unvergesslich für die leitend und begleitend beteiligten Kolleginnen und Kollegen und vor allem für die Studierenden, die noch Jahre danach davon schwärmten – Sie merken: auch diese Ereignisse erwähne ich nicht. Deutlich näher am Persönlichen wäre der Dank für die selbstverständliche Kollegialität und das ausgleichende Temperament, mit dem Du die zuweilen etwas erratischen Auseinandersetzungen an unserer Fakultät begleitet hast, kopfschüttelnd manchmal, aber immer mit einem gesunden Blick, der Teilnahme und Außenperspektive verbunden hat – auch das erwähne ich nicht und sage daher auch nicht, dass Deine kritische Solidarität der Fakultät und mir selbst gut getan hat. Wenn ich dazu etwas sagen würde, dann würde ich sagen – tue ich aber nicht! –, dass hier die Verbindung von Philosophie und Politik, Wahrheitsorientierung und Gemeinsinn, die Deinen beruflichen Lebensweg bestimmt hat zwischen Lehrstühlen in Rom, Turin und Berlin einerseits und der Kulturpolitik in Berlin und Turin andererseits – dass diese Verbindung von Philosophie und Politik sich auch für unsere Fakultätspolitik segensreich ausgewirkt hat. Ich würde (wenn ich dazu nicht schweigen würde), sagen, dass Du Dich damit als Philosoph erwiesen hast, der sich im fakultären Gemeinwesen engagiert – Du bist halt doch Platoniker und orientiert durch den Philosophen als Politiker und umgekehrt. Aber: auch davon schweige ich.

Eine Verbindung zwischen dem persönlichen und dem offiziellen Dank, dem Dank der Theologischen Fakultät und dem Dank von Notger Slenczka, würde auch die Erinnerung an Deine Bücher herstellen können, die eben nicht nur öffentlich wirken, sondern auch mich individuell beeinflusst haben – beispielsweise durch die kluge Verbindung einer problembewussten Phänomenologie des Subjekts mit Anliegen der politischen Philosophie. Wenn ich dazu etwas sagen würde, dann würde ich wiederholen müssen, dass mein Interesse insbesondere an Deiner Philosophie der Gefühle hängt; ich würde, wenn ich dazu nicht schweigen würde, hervorheben, dass Du in diesem Buch genau im Sinne des Grundthemas dieser Veranstaltung in einer Auslegung des Höhlengleichnisses den hermeneutischen Vorgang analysierst, in dem jemand im Fremden sich selbst wiederfindet. Auch davon schweige ich, schweige auch von den entsprechenden Gedanken bei dem von Dir geliebten Dante, der in den das Paradiso einleitenden Canti auch das Phänomen beschreibt, dass etwas mehr ist, als sich dem rechnenden Verstand erschließt, dass eine sachgerechte Phänomenologie in der durchschnittlichen Wirklichkeit einen Mehrwert, einen Grund erfasst, der sich gibt und entzieht – ein Grundthema Deines Denkens, scheint mir. Und wenn ich dazu etwas sagen würde, dann würde ich sagen, dass eben diese Frage nach dem Grund des Vorfindlichen es verständlich macht, dass und warum Du als Philosoph Deinen Platz an einer Theologischen Fakultät gefunden hast: Die Hermeneutik, das Geschäft des Verstehens und Fruchtbarmachens des Fremden, ist Dein Anliegen.

All das sage ich nicht. Ich schweige davon, auch, aber nicht nur, weil es mir nur schwer gelingt, den mir aufgetragenen offiziellen Dank der Fakultät zu unterscheiden von dem in mir aufsteigenden persönlichen Dank und dann beides miteinander zu verbinden. Vielmehr habe ich all das nicht gesagt, weil ich von jemandem anderen sprechen will und nicht von Dir, so leid mir das tut. Ich habe von Dir geschwiegen, weil ich sprechen will von Annamaria, Deiner Frau Annamaria Pastore. Wer Dich kennt, kennt auch sie, kennt Dich, Annamaria, und das darf ich jetzt einmal als ganz persönliche Anmerkung sagen: wer Dich kennt, schließt Dich sofort ins Herz: Deine Zugewandtheit. Deinen Humor. Deine Klugheit. Und ganz selbstverständlich und ganz unprätentiös: Deinen Intellekt und Deine Tiefe. Denn wer den Namen Ugo Perone bei Google aufruft, trifft auch auf Dich, Annamaria. Und wer dann Deinen Namen in die einschlägigen Büchersuchmaschinen eingibt, der findet Deine eigenen Werke, Annamaria, und er findet mit Ugo gemeinsam verfasste und herausgegebene Arbeiten, beispielsweise ein gemeinsames Buch „In lotta con l’angelo. La filosofia degli ultimi due secoli di fronte al cristianesimo“. Eine Geschichte der neueren Philosophie, deren Auseinandersetzung mit dem Christentum in das Bild des Ringens des Erzvaters Jakob mit dem Engel oder mit Gott selbst gefasst wird. Dieses vieldeutige biblische Motiv ist für Ugos Denken ganz zentral, und es ist zugleich ein Bild, das Euch beide und beide gemeinsam umtreibt. Im Gespräch mit Dir und Euch beiden erkennt man sofort: Du bist eine Fachphilosophin, die mit Ugo Perone durch eine Ehe verbunden ist, die vom gemeinsamen Studium anfangend ein lebenslanges gemeinsames Gespräch, ein symphilosophein ist. In Platons Phaidon werden die Frau des Sokrates und die Kinder aus dem Kerker geschickt, in dem Sokrates dann mit seinen Freunden über die Unsterblichkeit der Seele debattiert; hinausgeschickt werden sie, weil sie zu weinen beginnen angesichts des Sokrates bevorstehenden Geschicks. Emotionen haben für Platon in der denkerischen Bewältigung des Todes, oder besser: in der Vergewisserung der Unsterblichkeit nichts verloren. Bei aller Verehrung für Platon ist diese Absage an die Emotion nicht Ugos und auch nicht Deine Position, sondern Ihr fragt nach der Verbindung und Einheit von Ratio und Emotion, nach der Einheit von beidem in jedem Menschen, sei es Mann oder Frau. Nicht der Phaidon ist das Bild Eures gemeinsamen Philosophierens, sondern in Platons Sokrates vielleicht die Diotima des Symposium, oder natürlich die Beatrice bei Dante.

Oder Aristoteles: bei ihm findet man die Feststellung, dass ein Philosoph natürlich autark ist: die Philosophie ist gerade darum die Erfüllung des Strebens nach Glück, weil man im Philosophieren auf niemanden anderen angewiesen ist. Aber, so fährt Aristoteles sinngemäß fort: in Gemeinschaft, mit einem gleichgesinnten Freund oder Freundin, ist das Philosophieren schöner, weil man so einen Zeugen des Glücks der Philosophie hat. Non è bene che l’uomo sia solo: gli voglio fare un aiuto che gli sia simile – es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht, ent-spricht: eine Hilfe, die spricht, mit der man ein Gespräch führt. Nicht nur, aber auch in der Ehe sind wir einander gegenseitig eine Hilfe, indem wir einander antworten und, wenn es gut geht, das Leben als Gespräch führen, als symphilosophein. Mir scheint, das habt Ihr beide erfahren, und darum wirst Du mir nicht nur verzeihen, sondern ganz einverstanden sein, mein lieber Ugo, wenn ich meine tiefe Dankbarkeit und den Dank der Fakultät und aller Kollegen Dir gegenüber schweigend vorgetragen habe und nun Deiner Frau danke: Annamaria Pastore, mille grazie per tutto.


Rede von Prof. Dr. Ugo Perone

Liebe Gäste,
es ist für mich eine außerordentliche Freude, hier so viele Menschen zu sehen, die ich schätze und denen ich verbunden bin.

Seine Exzellenz der Nuntius, Ihre Exzellenzen der Erzbischof und der Landesbischof,  die Direktorin des italienischen Kulturinstituts (und der ehemalige Direktor), der Präsident der Guardini Stiftung (der jetzige und der ehemalige) und die Direktorin der Stiftung,  der Direktor der Katholischen Akademie, die Kolleg*innen der Theologischen Fakultät und des IKT,  meine langjährige Assistentin Fr. Dr. Richter (und heute nehmen wir auch von ihr Abschied, die meine Arbeit großartig unterstützt und ergänzt hat), viele Freund*innen und Studierende, auch meine Frau und meine Kinder sind anwesend.

Sie, die Studierenden, möchte ich besonders herzlich begrüßen und in den Kreis der Freunde einschließen. Weil ich sie als meine Freunde erlebt habe und sie mich als Freund betrachtet haben. Manche haben mich in all den Semestern meiner Tätigkeit begleitet (und haben mich gezwungen, in jedem Semester das Thema meiner Vorlesungen und Seminare zu wechseln). Allmählich beherrschen sie so viel Philosophie wie ich, da ich in den 18 Semestern meines Aufenthalts mein Latein ausgeschöpft habe. Sicher eine nicht symmetrische Freundschaft, aber, wie wir in einem dieser Semester gelernt haben, eine noch tiefere. Es ist durch einen Dritten, wie Schiller uns lehrt, dass die Freundschaft auf die Probe gestellt wird und zu einem Bund wird, der die einfache Entsprechung übersteigt.
Dieser Dritte im Bunde ist die Liebe für die Philosophie gewesen.

Eins habe ich in all diesen Jahren nicht gemacht. Nie habe ich über meine eigene Philosophie gelesen. Selbstverständlich habe ich das auch immer wieder gemacht, mit der Auswahl der Themen und der Autoren, mit den Akzenten meiner Interpretation. Aber nie direkt, ausführlich, explizit, systematisch. Und jetzt, da wir am Ende dieser Jahre sind, frage ich mich, ob ich diese Gelegenheit nutzen sollte, um meine eigene Philosophie in einer Art Schlusswort kurz zu skizzieren.

Sie dürfen beruhigt sein, ich werde das nicht tun. Aber ich fühle mich trotzdem aufgefordert, ein nicht banales und sogar irgendwie umfassendes Schlusswort zu wagen.

Man hat oft die incipit (die Anfangssätze) in der Literatur untersucht. Bei einem Abschied scheint es aber angebrachter, unsere Aufmerksamkeit auf die Schlussworte der Klassiker der Literatur zu richten. Heute – es war eine schöne Hommage und eine spannende Lektüre, die die Herr Professor Helmrath uns angeboten hat – heute (auch in der Vesper) war viel von Dante die Rede, dem ich selbst zwei Seminare gewidmet habe. In seiner sorgfältigen Aufmerksamkeit für Zahlen, Symbole, Namen und Worte achtet Dante in allen drei Cantiche eben auf das letzte Wort. Dieses Wort ist, wie bekannt, „stelle“ (Sterne).

Das Wort, das sich wiederholt, drückt jedoch drei unterschiedliche Gefühle aus:
(Ich zitiere die Verse auf italienisch. Sie merken, es ist eine diskrete Aufforderung, italienisch zu lernen.)

Als Dante am Ende aus der Dunkelheit der Hölle austritt, stehen die Sterne am Schluss für einen neuen Anfang, einen Rückweg in die lichte Welt: “Lo duca e io per quel cammino ascoso/ intrammo a ritornar nel chiaro mondo/… e quindi uscimmo a riveder le stelle.“

Am Ende des Leuterungsberges sind sie ein Versprechen einer anderen, höheren Welt und Zeichen einer gelungenen Erneuerung: “Io ritornai dalla santissima onda/ rifatto sì come piante novelle/ rinnovellate di novella fronda/ puro e disposto a salire alle stelle“. Dante ist bereit, einen neuen Weg zu gehen (novelle/rinovellate/novella fronda – drei Mal wiederholt er das Wort “neu”), der ihn zu den Sternen führen soll.

Am Ende des Paradieses, nach einer meditativen Versenkung in das Geheimnis der Trinität, vertreten die Sterne symbolisch, nach Aristoteles und über Aristoteles hinaus, die ganze von Gottes Liebe am Leben erhaltene Schöpfung. Das letzte Wort wird auch zur Bekenntnis einer Wirklichkeit, die der Vollkommenheit Gottes unangemessen, aber von ihm doch aufgenommen und geschützt ist: „All’alta fantasia qui mancò possa;/ ma già volgeva il mio disio e l’velle,/ sì come rota ch’igualmente è mossa,/ l’amor che move il mondo e l’altre stelle/“. Was jetzt zählt, ist nicht mehr die menschliche Einbildungskraft, sondern Gott, d. h die Liebe, die die Welt und die Sterne bewegt und sie anzieht.

Dante hat sich selbstverständlich eines Weltbildes bedient, in dem das Paradies als Gipfel des Glücks gilt. Dieser Gipfel kann jedoch als solcher nur mühsam erkannt werden und die stelle sind eben wie astra, die zuerst nur fern wie ein Wunsch im Himmel leuchten, aber doch am Ende die fürsorgliche Liebe Gottes für die ganze Schöpfung beweisen. Wir in der Moderne kennen keine vergleichbaren Beispiele, keine, die eine solche vielfältige Kraft besitzen. Trotzdem möchte ich zwei Autoren erwähnen, die mir lieb sind und meine Philosophie geprägt haben und die uns in einer Form, die vielleicht unserer komplexen gegenwärtigen Zeit angemessen ist, ebenfalls eine abschließende Mitteilung hinterlassen, die neue Möglichkeiten öffnet.

Proust beendet sein Werk, in dem Band, der den Titel „Le temps rétrouvé“ trägt, mit dem Wort „Temps“ (groß geschrieben), Zeit. Titel und Schlusswort hallen nach wie ein modernes Echo von Augustinus, der uns die Zeit als Aufgabe anvertraut. In der Endlichkeit der Existenz steht es uns zu, die Zeit zu retten (sicher bei Augustinus, aber doch auch bei Proust). Die Zeit, die uns bleibt, hat eine größere Ausdehnung als der Raum und strebt nach Dauer. (Man hört hier ein Echo von Bergson.)

Ich möchte aber nicht schließen, ohne einen zweiten Autor der Moderne zu zitieren, dem ich mich mehrmals in Veranstaltungen gewidmet habe. Paul Celan sagt uns:
„Sprich auch du,/ sprich als letzter,/ sag deinen Spruch,/ Sprich- /Doch scheide das nein nicht vom ja./ Gib deinem Spruch auch den Sinn:/ gib ihm den Schatten,/ Gib ihm Schatten genug,/ gib ihm so viel,/ als du ihm um dich verteilt weißt zwischen/ Mittnacht und Mittag und Mittnacht.“

Und dies ist eine letzte Mahnung, nach einem Wort zu suchen, das beim Abschließen niemanden und nichts ausschließt.

Diese Autoren haben mich in meinen Vorlesungen und Seminaren begleitet. Sie helfen uns bei dem letzten, echt abschließenden Sprung, zu einem Wort, das der Vielfalt der Bedeutungen bei Dante aber auch der Treue zur Endlichkeit und deren helldunklen Kontrasten, wie bei Proust und Celan, gewachsen sein möchte.

Wenn ich für mich ein Schlusswort finden muss, dann soll es das Wort „erschließen“ sein.

Erschließen (auf Italienisch dischiudere) scheint mir ein für die (für meine) Philosophie geeignetes Wort. Es enthält die Schließung, die Grenzen und auch die Dunkelheit des Lebens; enthält den Kampf gegen sie, aber auch die Erwartung eines Sieges, die Ankündigung einer Hoffnung und auch die Zuversicht, dass so etwas anderen anvertraut werden kann.

Die Erschließung, wie ich sie verstehe, hat nicht mit einer Heideggerischen Lichtung zu tun. Sie ist nicht Natur, sondern Werk eines in einer Gemeinschaft und für eine Gemeinschaft handelnden Menschen. Man könnte wohl sagen: Wo es einen Philosophen gibt, gibt es eine Gemeinschaft und wo es eine Gemeinschaft gibt, gibt es einen Philosophen. Es sei mir erlaubt, so etwas zu wagen, in einer Zeit, die die Klage von Feuerbach gegenüber dem akademischen Betrieb zu bestätigen scheint: nämlich „dass ein spezifisches Kennzeichen eines Professors der Philosophie [ist], kein Philosoph zu sein“ (III, 221). Andere Fächer können autoritär und blind sein, und trotzdem funktionsfähig bleiben. Nicht die Philosophie, die nur dort ein zu Hause finden kann, wo ein solcher Geist herrscht.

Eine mittelalterliche Piazza oder eine Piazza der Renaissance stellen eine Erschließung dar. Die Gassen und die Gebäude, die an sich nichts anderes als die Behauptung ihrer Werte und Interessen erreichen wollte, eröffnen plötzlich einen Raum, einen leeren Raum, der jedoch kein Raum der Leere ist, die Piazza, die zum Ort der Gemeinschaft wird. Piazza ist der Berührungspunkt des Individuellen und des Universellen. Sie enthält eine Spannung, aber dadurch auch eine Einheit von vielen unterschiedlichen und sogar gegensätzlichen Elementen.
Dies tut auch eine Erschließung.

So habe ich die anderen Philosophen gelesen, als ob sie mir etwas anvertraut hätten, und so möchte ich, dass diese Bereitschaft, dass das philosophische Denken als eine wohlwollende und großzügige Fortsetzung des schon Gedachten weitergeführt wird, eine Art Zusatz oder Zugabe (um ein voraussehendes Wort eines meiner besten Schüler zu verwenden), die plötzlich einen Funken Wahrheit aufblitzen lässt (um mit einem Ausdruck zu schließen, der bewusst Platon mit Walter Benjamin kontaminiert und damit vielleicht in der Lage ist, uns einen unserer Gegenwart würdigen und gleichzeitig zukunftsfähigen Sinn zu erschließen).

Fotos: (c) Jannis Sterr

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