Theologische Predigt | Konflikt

29. Juni 2019 | Theologische Predigtreihe „Wo ist Christus?“

Konflikt

Predigt von Vikar Jonas Klur1

Petrus und Paulus waren zwei Gestalten, die miteinander nicht immer übereinstimmten und doch von der Kirche an einem Tag zusammen gefeiert werden. Beide gerieten mit unterschiedlichsten Personen in Streit und sind doch heilig geworden.

Ambivalenz des Konfliktes
Konflikte kennen wir alle, sie gehören zum Leben, sind unvermeidlich und können durch verschiedene Gründe bedingt sein. Ein Konflikt ist ein Zusammenstoß, der verändern, verstören, verletzen, verschüchtern, töten kann. Konflikte binden Kraft und setzen Energie frei. Sie führen zu Wut und geben nötigen Mut zum Handeln. Sie erhitzen und stimmen nachdenklich. Konflikte können befreien, etwas freisetzen oder Menschen und Beziehungen verhärten. Sie können etwas klären, offenlegen oder aber einen scheinbar unüberwindbaren Graben aufbauen. Ein Zusammenstoß kann die Wirkung wie ein reinigendes Gewitter haben oder zutiefst alle Beteiligten beschmutzen und in den Dreck ziehen. Konflikte sind ambivalent.
Sie sind Quellen des pulsierenden Lebens und können weiterführen, damit nicht alles immer im gleichen Trott und glatten Einerlei vonstattengeht. Das Klären des eigenen Standpunktes kann durch Konflikte befördert werden. Konflikte können gelöst werden, nicht wenige werden jedoch mit ins Grab genommen. Konflikte gehören zur menschlichen Existenz und selbstverständlich auch zum christlichen Dasein.
Ich stehe mit mir im Konflikt, in dem wie ich bin und wie ich sein könnte und will. Mein Bewusstsein, mein Gewissen von meinen großen Möglichkeiten steht im Konflikt mit meiner kleinen Wirklichkeit. Verschiedene Kräfte – aufbauende und zerstörende, erhebende und niederhaltende –, mannigfache Gegensätze und Widersprüche durchziehen mein Leben.
Ich stehe mit anderen im Konflikt. Die anderen sind nicht nur meine Freunde und Helfer, sondern sie stehen mir auch im Weg, nehmen den Platz ein, den ich gerne hätte und andersherum. Durch ihre bloße Existenz stellen mich die anderen infrage, sie zeigen, dass man auch anders leben, fühlen, handeln und denken kann. Sie wollen mich verändern und auch ich kann sie nicht lassen, wie sie sind. Wir diskutieren und reiben uns aneinander. Wir schweben zwischen Eigensein und Anpassung.
Ich stehe mit Gott im Konflikt. Durch die Sünde tue ich das, was Gott nicht will, unterlasse ich das, was Gott will und gerate so mit ihm aneinander, obwohl ich mich von ihm entferne. Sein unbedingtes Ja zu mir wird durch das Nein meiner Sünde kontrastiert. Wir sind anders, als Gott uns gerne hätte, und Gott ist anders, als wir meinen. „Das ist mein Schmerz, dass die Rechte des Höchsten so anders handelt?“ (Ps 77,11) Wer will schon intuitiv sein Kreuz annehmen, wer will schon sein Leben verlieren? Habe ich nicht meine eigenen Pläne für mein Leben, die im Konflikt stehen mit Gottes Plänen?
Ich stehe in Konflikt mit der Kirche. Gottes Anspruch an mich wird durch sie an mich herangetragen und sie macht es mir schwer, dass Wort Gottes auf mein Maß zurechtzuschrumpfen. Als objektive Instanz fordert sie meine Subjektivität heraus. Ihre Heiligkeit verträgt sich nicht mit meiner Unheiligkeit. Trotzdem finden sich in der Kirche viel Mittelmäßigkeit und tiefe Verstrickung in das Böse, was meinen Protest heraufbeschwört. In alledem bietet sie mir die Chance, dass ich über mich hinauswachsen kann.
Wir Christen stehen im Konflikt mit der Welt. Wir wollen mit unserer Botschaft ankommen und uns doch unterscheiden; wir wollen überzeugen und kommen doch entgegen. Wir sind in dieser Welt und sind doch anders, da wir von den Seligpreisungen her denken, mit dem Himmel rechnen und um ihn ringen. So werden wir zum Stein des Anstoßes. Am Ende der Seligpreisungen wird ungeschminkter Klartext gesprochen über unsere Konflikte mit der Welt: „Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen.“ (Mt 5,11)
Schließlich stehen wir Christen, wir Katholiken untereinander im Konflikt. Wir sind verbunden und merken doch die Divergenzen. Unterschiedliche Auffassungen werden offen und im Verborgenen ausgetragen. Wir müssen darum ringen, Gottes Willen zu erkennen. Wir bleiben hinter der gewünschten Einheit und Liebe zurück, an der uns die Welt als Gottes Kinder erkennen könnte.

Paulus
Romano Guardini hatte eine große Wertschätzung für den Apostel Paulus. Er war für ihn ein großer Geist und galt ihm als „fünfte[r] Evangelist2. Vor allem der Gedanke der Inexistenz Christi im Leben des Christen war für Guardini ganz zentral. Er geht zurück auf den Satz im Galaterbrief: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ (Gal 2,20)
Paulus war ein Mann mit Ecken und Kanten, was zwangsläufig zu Konflikten führen musste. Gerade seine leidenschaftliche Natur trug dazu bei. Guardini: „In Paulus waren starke Leidenschaften. Wenn wir seine Briefe recht verstehen, dann war es vor allem ein mächtiger Stolz und eine starke Sinnlichkeit. Und diese Kräfte, die waren in ihm in einer Weise, die Konflikte erzeugen.3
An anderer Stelle meint Guardini: „Paulus scheint ein Mensch gewesen zu sein, der Schweres anzog. Sein Wesen war so, daß er die Widerstände und Widersprüche des Daseins zu voller Schärfe hervortrieb; sein ganzer Lebensgang zeigt es. Er war ein geplagter Mensch. Die letzten Kapitel des zweiten Korintherbriefes reden von unendlicher Mühsal; es ist, als ob sich das Buch Job mit der Geschichte von Herakles, dem übermenschlich Geplagten und unermüdlich Ausharrenden verbunden hätte.4
Bei der Steinigung des Stephanus stößt er auf Christus, ohne es merken, er bekämpft ihn in seinem Diakon und zugleich stoßen die alte Logik des Gesetzes und die Kraft des Evangeliums zusammen mit tödlichem Ende. Dies kommentiert der Religionsphilosoph folgendermaßen: „Er [Stephanus] stößt mit Gesetzeslehrern zusammen; ihre Bücherweisheit kommt gegen seine charismatische Macht nicht auf und hilft sich mit Gewalt.5
Ein weiteres Mal, diesmal mit erheblichen Konsequenzen für sein Leben, stößt Paulus auf Christus, der ihn vor Damaskus auf den Boden wirft und erkennen lässt, dass er die ganze Zeit den Gottessohn verfolgt hat. Dadurch muss er sein Leben neu ordnen lassen, wieder sehen lernen und eine erhebliche Kehrtwende vollzieht sich. Guardini kommentiert dazu: „Es ist ein Ereignis, in welchem dieser Mann gleichsam zu Tode geschleudert wird und zugleich in dem er zerschlagen wird, indem das, wovon er bis dahin gelebt hat, ihm aus den Händen gerissen wird. Er sitzt drei Tage da, nicht essend, nicht trinkend, blind und sprachlos. Und dann wird er angerufen, und er ist ein neuer Mensch.6
In der Folgezeit steht er mit seiner Vergangenheit auf Kriegsfuß. Er bereut, dass er die Kirche Christi und damit auch ihren Herrn bis aufs Blut verfolgt hatte. Trotz seiner Erwählung bezeichnet er sich als „Missgeburt“ (1 Kor 15,8).
Auch Konflikte mit anderen blieben trotz seiner Bekehrung nicht aus. Bei seinen Missionsreisen hatte Paulus Gefährten. Einmal geriet er mit Barnabas darüber in Streit, ob man Markus mitnehmen solle (vgl. Apg 15,36-41). Sie konnten sich nicht einigen. Jeder von beiden zog dann mit einem anderen Gefährten in unterschiedliche Richtungen. Dahinter steckt die Botschaft, dass man im Reich Gottes genug Platz findet, um dort parallel zu wirken, wenn man auch nicht immer mit allen direkt und eng zusammenwirken kann, da Differenzen nicht ausbleiben. Pragmatisch gesehen muss man dann unterschiedlicher Wege gehen, obwohl man das gleiche Ziel verfolgt und sich für den gleichen Herrn einsetzt.
Interessant ist, dass Paulus nicht unmittelbar nach seiner Konversion zu Christus die Apostel aufsucht. Es verstreichen drei Jahre, ehe er in Jerusalem das Haupt der jungen Kirche aufsucht, um ausführlich mit ihm zu sprechen. Weitere 14 Jahre später packt ihn eine gewisse Unsicherheit und er macht sich erneut zu Petrus auf. Paulus schreibt darüber: „[…] ich wollte sicher sein, dass ich nicht ins Leere laufe oder gelaufen bin.“ (Gal 2,2) Es stand die Frage im Raum, ob Heiden, die Christen werden, nach Brauch der Juden beschnitten werden müssen und sich die Christen an die verschiedensten Gebote der Juden (wie die Essensvorschriften) halten müssen. Mit der Zeit erlangte man Sicherheit in diesen Fragen und deswegen legte sich Paulus entschieden mit Petrus an, als dieser nach Antiochia gekommen war. Er warf ihm vor, dass er inkonsequent und heuchlerisch lebe. „Als ich aber sah, dass sie nicht geradlinig auf die Wahrheit des Evangeliums zugingen, sagte ich zu Kephas in Gegenwart aller: Wenn du als Jude nach Art der Heiden und nicht nach Art der Juden lebst, wie kannst du dann die Heiden zwingen, wie Juden zu leben?“ (Gal 2,14)
Neben diesem Konflikt mit den Aposteln der ersten Stunde sei abschließend auch erwähnt, dass Paulus mit verschiedenen Missionaren Spannungen hatte, die ein anderes Evangelium als er verkündeten, wovon zahlreiche Belege in seinen Briefen Zeugnis geben.

Petrus
In seinen Predigten zum 29.06., die man im Archiv der Katholischen Akademie in München finden kann, dem Fest der Apostel Petrus und Paulus, spricht Guardini vornehmlich über Petrus. Das liegt wahrscheinlich daran, weil der Theologe an ihm seine „lautere, wunderschöne Menschlichkeit7 schätzte und für ihn Kephas „vielleicht der menschlichste von den Aposteln8 war. Er war nicht von der gleichen Geistesgröße wie Paulus, hatte aber ein „großes Herz9. Immer wieder wagt sich Petrus frei und unverstellt an den Herrn heran, ergreift meist als erster das Wort und muss sich des Öfteren Rechtweisungen anhören, die er – das ist seine Größe – demütig annimmt und nicht weggeht. Guardini stellt im Hinblick auf den Tadel, den Petrus empfängt, als er Malchus, dem Diener des Hohenpriesters, bei der Gefangennahme Jesu das Ohr abschlägt (vgl. Joh 18,10f), fest: „Aber nachher nimmt er die Zurückweisung an. Das ist das Wunderbare: Petrus nimmt nie etwas übel; er ist nie empfindlich und er nimmt an und ist wieder da in seiner ganzen freudigen Bereitschaft.10
Petrus gerät immer wieder in Konflikt mit Jesus. Am schlimmsten manifestiert es sich, als er sich Jesus lange vor seinem Tode in den Weg stellt, um zu verhindern, dass er schmachvoll in Jerusalem sterben soll. Mit heftigstem Vokabular herrscht der Gottessohn ihn an: „Tritt hinter mich, du Satan!“ (Mt 16,23) Petrus konnte nicht schlimmer beleidigt werden, wenn er als Gegenspieler Gottes tituliert wurde.
Und gerade diese schwache Natur wird zum Felsenmann der Kirche erkoren kraft der Gnade Gottes, nicht aus eigenem Verdienst. Guardini meinte dazu: „Nicht weil Petrus Herrenbegabung und Herrscherkraft hatte, sind ihm die Schlüssel des Himmelreiches übergeben worden – soweit diese Gabe überhaupt einen Grund im Betrauten selbst hatte, und nicht vielmehr reines Gefallen Dessen war, der ‚alle Macht im Himmel und auf Erden besaß‘ – sondern weil sein Herz offen war für Gott wie kein anderes, und weil er dieses Herz in ganzer Lauterkeit, ohne zu rechnen, seinem Meister geschenkt hat.11
Am Ende des Lebens Jesu stehen zwei Verrate aus seinem engsten Vertrautenkreis mit unterschiedlichem Ausgang und unterschiedlichen Beweggründen. Judas lieferte paradoxerweise den Herrn mit einem Kuss aus, sodass er festgenommen werden konnte, was Judas einen nicht unerheblichen Geldbetrag bescherte, ihn aber schlussendlich in den Selbstmord stürzte, da er sich der Verzweiflung anheimgab. Obwohl Petrus dem Herrn vollmundig versprochen hatte, sein Leben für ihn hinzugeben, verleugnet er ihn gleich dreimal. Guardini versucht zu verstehen, wie es dazu kommen konnte: „Bei Petrus wird es eine Verleugnung sein, die aus der Heftigkeit des Gefühls, aus dem Umschlag der Selbstüberhebung in die Verzagtheit kommt. Es ist ein Verrat, der den Glauben und die Liebe nicht aufhebt – sie wenigstens nicht aufzuheben braucht, wenn der Herr ihn halten will. Wir sehen das gleiche Bild wie damals auf dem See. Alle sehen und anerkennen: es ist der Herr, der da auf dem Wasser steht. Petrus aber sagt: Laß mich auf dem Wasser zu Dir kommen. Sein Gefühl ist so heftig, daß er sich zutraut, in den Geheimnisbereich der Macht zu treten, in der Jesus steht – und dann der Umschlag: er fürchtet sich und sinkt.12
Petrus verzweifelt im Gegensatz zu Judas jedoch nicht an seiner furchtbaren Tat, für die er sich sicherlich sehr geschämt hat, denn er ahnt, dass der Herr ihm einen Neuanfang schenken kann, dass er ihm selbst das Unverzeihbare verzeihen kann. In gewisser Weise kann Petrus dank Jesus das 0:3 wieder ausgleichen. Jesus stellt ihm drei Fragen nach seiner Auferstehung. Hören wir Guardini dazu: „Er hat den auferstandenen Herrn schon einige Male gesehen, aber Jesus hat noch nicht über das gesprochen, was zwischen dem Apostel und Ihm geschehen ist. Die einzige Antwort auf den Verrat ist der Blick gewesen, den Jesus im Vorübergehen auf ihn gerichtet, und der ihn so tief getroffen hat, daß er bitter weinend hinausgegangen ist. Aber es muß doch wohl noch etwas geschehen, und so fragt ihn der Herr nach seiner Liebe.13
Das dreifache Verleugnen wird durch das dreifache, geläuterte, schmerzhafte Liebesbekenntnis (vgl. Joh 21,15-19) ausgeglichen. Dahinter steckt eine große Lehre des Christentums, die Guardini auf den Punkt bringt. „Der Mensch mag fallen und mag schwach werden, das ist Menschenlos; eines darf er nie tun: er darf sein Herz nie verschließen vor Gott. Und es mag noch so schlimm werden und noch so furchtbar werden. Und es mag so werden, daß er sich selber nicht mehr ertragen kann, Gott kann es.14

Das heutige Fest birgt mehrere Konflikte in sich. Petrus wie Paulus hatten zahlreiche Konflikte mit dem Herrn, mit sich, mit anderen. Beide stimmten auch nicht in allem überein. Das Evangelium (Joh 21,15-19) können wir nur auf dem Hintergrund verstehen, dass etwas zwischen Petrus und Jesus war, was angesprochen werden musste, ohne es explizit zu thematisieren. Aus Konflikt wird Begegnung – beim (heutigen) Fest. Gott kann es.



1
Die Predigt wurde publiziert in: J. Klur, Froher Ernst des Glaubens, Saarbrücken 2019.
2 R. Guardini, „Ich fühle, daβ Groβes im Kommen ist.“. Romano Guardinis Briefe an Josef Weiger 1908-1962, hg. von H.-B. Gerl-Falkovitz Hrsg., Ostfildern [1. Aufl.] 2008, 332.
3 R. Guardini, Predigt vom 08.07.1951, gehalten in St. Ludwig München, Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Ordner XIV Mooshausen, 6.
4 R. Guardini, Das Christusbild der paulinischen und johanneischen Schriften, Mainz – Paderborn 1987, 47.
5 Ebd. 45.
6 R. Guardini, Predigt vom 08.07.1951, gehalten in St. Ludwig München, Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Ordner XIV Mooshausen, 4.
7 R. Guardini, Predigt vom 29.06.1946 in Tübingen, Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Ordner IV Tübingen, 2.
8 R. Guardini, Wurzeln eines großen Lebenswerks. Aufsätze und kleine Schriften, Mainz – Paderborn 2000, Bd. IV, 129.
9 R. Guardini, Predigt vom 29.06.1946 in Tübingen, Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Ordner IV Tübingen, 2.
10 R. Guardini, Predigt vom 29.06.1954, Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Ordner XL Verschiedene Predigten, Nr. 736, 5f.
11 R. Guardini, Wurzeln eines großen Lebenswerks. Aufsätze und kleine Schriften, Mainz – Paderborn 2000, Bd. II, 318.
12 Ebd. Bd. IV, 144.
13 Ebd., Bd. IV, 149.
14 R. Guardini, Predigt vom 29.06.1946 in Tübingen, Archiv der Katholischen Akademie in Bayern, Ordner IV Tübingen, 5.

Foto & Grafikdesign Anja Matzker

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