Am 28. Juli 2024 veranstaltete die Guardini Stiftung im Dialograum Kreuzung an St. Helena in Bonn eine Gedenkveranstaltung für Dr. Hermann Josef Schuster, Prof. Dr. Alfred Hildebrandt, Prof. Dr. Wolfgang Bretschneider und Dr. Bernd Thiemann. Das Programm wurde musikalisch von Hyun-Jung Berger und Julius Berger gestaltet. Die von Mariola Lewandowska, ehemalige Geschäftsführerin der Guardini Stiftung, und Dr. Ulrich Pohlmann, Präsidiumsmitglied und Schatzmeister, dort gehaltenen Vorträge zeichnen ein eindrückliches Bild dieser Persönlichkeiten und der Bedeutung des Religionsphilosophen Romano Guardini heute. Erinnerung ist die Dankbarkeit des Herzens (Romano Guardini) von Mariola Lewandowska Das Motto der Gedenkveranstaltung wurde mit Bedacht gewählt, denn Romano Guardini respektive sein geistiges Erbe ist der Dreh- und Angelpunkt unserer Zusammenkunft heute. Guardini ist derjenige, dessen Gedanken den Kreis der hier Anwesenden verbindet. Und Guardini ist derjenige, dessen Gedanken auch die vier in der Einladung genannten Persönlichkeiten in ihren Vorstellungen und ihrem Tun bewegte – und das während einer für mich heute unfassbar lange erscheinenden Zeit. Erlauben Sie mir daher, dass ich ganz kurz an die Gründungsphase der Guardini Stiftung im Jahr 1987 erinnere. Es war ein kleiner Kreis, der sich im Sommer vor nunmehr 37 Jahren Gedanken zu einem Ereignis machte, das drei Jahre später in Berlin stattfinden sollte: der 90. Deutsche Katholikentag. Es war die Zeit unmittelbar vor dem Mauerfall. Die Teilnehmer dieses Gesprächskreises einte die Entschlossenheit, die viertägige Großveranstaltung für eine Darstellung der Großstadt als Bühne einer dialogischen Lebensform zu nutzen. Weltweit erwiesen sich doch die großen Städte – und dies zu betonen, ist keineswegs eine Phrase – als Motoren der kulturellen Entwicklungen. In Berlin war das in besonderer Weise spürbar. Nirgendwo trafen die geistigen Kraftlinien zwischen Ost und West so unmittelbar, um nicht zu sagen: so schroff aufeinander wie in dieser durch die Mauer geteilten Stadt. Die einzigartige Lage und Situation prädestinierte Berlin als den Ort, an dem die Überwindung der Spaltung Europas zur Sprache gebracht werden sollte, ja man kann sagen: musste. Das konnte aber nicht auf die vier Tage der geplanten Großveranstaltung beschränkt bleiben, verlangte vielmehr nach einer Verstetigung – geboren war damit die Idee eines ständigen Forums. Seine Aufgabe sollte es sein, zur Sprache zu bringen, was an „der Zeit“ ist. Diesen Ausdruck hatte Romano Guardini in seinen kritischen Stellungnahmen zum Zeitgeschehen wiederholt benutzt. Sehr schnell stellte sich in den vorbereitenden Gesprächsrunden heraus, dass der angestrebte Dialograhmen das Beziehungsgeflecht von Glauben, Wissenschaft und Kunst umfassen müsste und dass eben Romano Guardini (der ja lange Zeit in Berlin gewirkt hatte) es war, der dieses Geflecht oder besser gesagt: diese Konstellation zum Gegenstand seines lebenslangen Wirkens gewählt hatte. Die Guardini Stiftung wurde geboren. Wir sind heute zusammengekommen, um an jene vier Persönlichkeiten zu erinnern, die in besonderer Weise die Geschicke der Guardini Stiftung lenkten, innerhalb kurzer Zeit verstorben sind und zudem mit Bonn bzw. der Region hier aufs Engste verbunden waren. Die Gründung der Guardini Stiftung war in Vielem das Werk von Dr. Hermann Josef Schuster. Er war nämlich Mitglied des kleinen, bereits erwähnten Gesprächskreises, und in der Folge Gründungsmitglied der Stiftung, Vizepräsident von Beginn an, als Mitglied des Kuratoriums, Initiator und Motor des Kollegrates. Zahlreich waren die Initiativen, die er ergriff, nicht zu überschätzen die Impulse, die er setzte – als treibende Kraft der Stiftung, immer präsent, immer wieder Unmögliches möglich machend. Er war es, der der Guardini Professur Gestalt gab und administrative Hürden zu überwinden half. Dass die Guardini Stiftung ihren konzeptionellen Reichtum entwickeln konnte, ist in erster Linie ihm zu verdanken. Er spielte die Rolle eines Impresarios im Sinne eines „künstlerischen und unternehmerischen Leiters“, einer Schlüsselfigur mithin, die mit Herz, Seele und Verstand all diejenigen zu überzeugen und zu motivieren, ja zu begeistern wusste, die zur Realisierung der jeweiligen, stets außerordentlich anspruchsvollen Vorhaben erforderlich sind: Mäzene, Spender, Förderer und vor allem aber ehrenamtliche Unterstützer. Einer der ersten Unterstützer von der ersten Stunde an war der Mediziner und Grundlagenforscher Prof. Dr. Alfred Hildebrandt. Er war ebenfalls Gründungsmitglied der Guardini Stiftung und hat sich bis ins hohe Alter ideenreich für ihre Belange eingesetzt. 15 Jahre lang, bis 2003, war er Präsidiumsmitglied und gehörte danach lange Zeit dem Kollegrat an. Nach seinem Umzug von der neuen in die alte Bundeshauptstadt – manchmal führen Wege gegen den Strom – engagierte er sich im Verein Kreuzung St. Helena, und dank seiner Initiative kam es zu einer fruchtbaren Kooperation der beiden Einrichtungen. Seine Stimme war uns, wenn ich das so sagen darf, stets umso wichtiger, als er zu den in der Stiftung nicht eben zahlreich vertretenen Natur- bzw. Erfahrungswissenschaftlern zählte. Wir gedenken heute Prof. Dr. Wolfgang Bretschneider, Theologe, Musikwissenschaftler und Organist. Er war seit 2008 Vorsitzender des Fachbeirats Musik der Guardini Stiftung. Mit Hingabe, in seinem Metier kaum zu übertreffendem Sachverstand, mit seiner Menschenwärme und nicht zuletzt seinem rheinischen Humor hat er sich dafür eingesetzt, dass in die verschiedenen Projekte der Guardini Stiftung Neue Musik auf höchstem Niveau Eingang gefunden hat. Besonders am Herzen lag ihm die Einheit von Besinnung, Gebet und Klang in den Ökumenischen Vespern, die er selbst (oft bis ins kleinste Detail) gestaltet und immer wieder liturgisch geleitet hat. Die Stadt Bonn und das Rheinland waren seine originären Wirkungsstätten. Wir gedenken heute Dr. Bernd Thiemann. Und mit ihm, der sich bis zu seinem völlig unerwarteten Tod geradezu täglich für die Stiftung „aufopferte“, schließt sich der Kreis: 2001 ist er auf Bitten Hermann Josef Schusters der Guardini Stiftung beigetreten und fungierte alsbald als Kuratoriumsvorsitzender, später auch als Präsidiumsmitglied. Seine Hauptaufgabe in der Guardini Stiftung sah er in der Beschaffung jener Mittel, die für den Stiftungs- und Programmauftrag unserer nicht gerade mit üppigen Vermögen ausgestatteten Organisation erforderlich waren. Dabei kamen ihm die zahlreichen Kontakte in der Wirtschaft, aber auch in den öffentlichen und gesellschaftlichen Institutionen, zugute. Sein Freundeskreis reichte, um nur diese zu nennen, von dem früheren Bundeskanzler Helmut Kohl über Unternehmer wie Reinhold Würth bis hin zu den großen künstlerischen Gestaltern unserer Zeit, wie etwa den amerikanischen Architekten Frank Gehry. Ähnlich wie Hermann Josef Schuster war er ein begnadeter Netzwerker und Strippenzieher, der es geradezu meisterhaft verstand, Außen- und Fernstehende für die Ziele der Stiftung zu begeistern. Diese vier markanten Gestalten also, an die wir heute erinnern, prägten neben den vielen anderen ihrer Generation die Geschicke der Stiftung. Ich kann nicht verhehlen, dass diese sich in einer neuen, schwierigen, ja existenzbedrohenden Umbruchsphase befindet. Verursacht haben diese kritische Situation viele Faktoren – die politischen Krisen, die Krise in der Kirche, die Krise der Wertorientierungen, stiftungsspezifisch das Aussterben der Gründergeneration, die mühsame Rekrutierung einer, den Vorgängern gemäßen Nachfolgergeneration. Umso glücklicher und dankbarer bin ich, dass sich Dr. Ulrich Pohlmann als direkter Nachfolger von Bernd Thiemann in der Stiftung engagiert und gemeinsam mit den anderen Vorstandsmitgliedern das Guardini-Schiff zu neuen Ufern steuern wird. Gestatten Sie mir zum Schluss noch ein persönliches Wort. Ich durfte fast 34 Jahre für die Guardini Stiftung tätig sein. Ich habe sie von ihrer Gründung an im Jahr 1987 durch alle Etappen bis heute begleitet. Die, an die wir heute erinnern, haben mich persönlich geprägt. Allen voran Hermann Josef Schuster, an dessen Seite ich 15 Jahre lang alles lernen durfte, was im „Stiftungsgeschäft“ erforderlich ist. Er war der Spiritus Rector der Guardini Stiftung und mein geistiger Vater, dessen Werte und Leitgedanken mir die lange Zeit seither für immer vor Augen stehen. Dankbar bin ich aber auch Bernd Thiemann, dessen plötzlicher Tod mich erschüttert hat. Er hat mir in den vielen schwierigen Stiftungsstunden stets das Gefühl eines Urvertrauens gegeben; er war mir in den letzten Jahren meine größte Stütze, ein Freund und Förderer, ohne dessen Zuspruch und Hilfe ich die schwierigen Zeiten wohl kaum durchgestanden hätte. Zum Schluss möchte ich noch ein Wort des Dankes an die hier Versammelten richten, aber auch an die vielen, die sich für das große Anliegen derer eingesetzt haben, an die wir uns erinnern: An Pater Hans Langendörfer für die Andacht, die wir mit ihm feiern konnten. Pater Langendörfer war viele Jahre der Schutzengel der Stiftung, auf dessen Rat und Fürsprache ich immer zählen konnte. Unermesslich verpflichtet fühlen wir uns Julius Berger, dem wir die heutigen musikalischen Gebete verdanken. Auch mit ihm verbindet mich eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit. Ich danke Burkhard Severin für die stets unkomplizierte, freundliche Zusammenarbeit, nicht nur bei der Vorbereitung des heutigen Abends, sondern auch bei der Umsetzung anderer „Parallelaktionen“ der beiden Institutionen. Ich danke allen, die uns im Gedenken an die großen von uns Gegangenen geholfen haben, und ich danke den großen von uns Gegangenen für das, was sie geleistet haben. Wir sollten heute das tun, was die Verstorbenen zuvorgetan haben. Nämlich einem Vermächtnis zu entsprechen, das Guardini in die Worte gefasst hat: „Unsere Zeit ist uns gegeben als Boden, auf dem wir stehen, und als Aufgabe, die wir bewältigen sollen.“ „Warum Guardini heute?“ von Dr. phil. Ulrich Pohlmann Hinweis: Für diese Veröffentlichung wurde der bei der Gedenkveranstaltung ‚Musikalische Gebete‘ am 28. Juli 2024 gehaltene Vortrag gekürzt und mit Anmerkungen versehen. I. Romano Guardini beschäftigt mich, seit ich während meines Studiums in Bonn zum ersten Mal von ihm hörte. Später begegnete mir sein Name im Zusammenhang mit dem Guardini-Stiftungslehrstuhl. Altbundeskanzler Dr. Helmut Kohl, dessen Referent und späterer Büroleiter ich war, engagierte sich Anfang der 2000er Jahre auf Bitten der Stiftung mit Erfolg für eine Wiederbelebung und Finanzierung des 1939 von den Nationalsozialisten verbotenen Lehrstuhls für Religionsphilosophie und Katholische Weltanschauung an der evangelischen theologischen Fakultät der Humboldt-Universität. So ist mir Guardini über all die Jahre präsent geblieben – auch durch Besuche der Veranstaltungen der Guardini-Stiftung und natürlich durch Lektüre einiger seiner Schriften. Ich bin also ein von den Gedanken Guardinis angerührter Laie, der nach der Aktualität Guardinis für uns heute fragt. Joseph Ratzinger sagte 1985, damals noch Kardinal, zum 100. Geburtstag Guardinis, dass, je kräftiger sich ein Mensch seiner Zeit stelle, desto gültiger bleibe seine Botschaft. [1] Was also ist sie? II. Am Werk Romano Guardinis wird deutlich, dass Glaube und Denken keine Gegensätze sind. Oft muss sich der christliche Glaube den Vorwurf des Irrationalen, des nicht Greifbaren, des Emotionalen und des Unaufgeklärten – wir feiern den 300. Geburtstag Kants! – gefallen lassen. Aber an Guardini sehen wir: Der große Denker, der sich in den Sphären der Philosophie souverän bewegte wie Wenige, kommt zur der geradezu demütigen Erkenntnis: „Wichtiger als alles Denken, Schreiben und Lesen ist zu erfahren, dass Er, der große Gott, mich anblickt. Das Wichtigste ist die Erfahrung von Gottes Wirklichkeit.“ [2] Oder an anderer Stelle: „Wir können nichts Besseres tun, als hineinzudrängen in Gottes Blick. Je tiefer wir verstehen, was Gott ist, desto inniger verlangen wir danach, von Gott gesehen zu werden.“ [3] Derlei Einsichten zeugen von Guardinis hingebungsvollem, ja frommem Glauben und seiner biblisch-theologischen Orientierung, die immer gedanklich höchst reflektiert ist. „Reasonable faith“ [4] heißt das neuerdings im englischen Sprachraum – und erfährt dort wie auch hierzulande zunehmend Interesse. Auch für die Guardini-Stiftung ist die Zusammenführung von Wissenschaft und christlichem Glauben eines der Programmschwerpunkte. Davon zeugen nicht nur der Stiftungslehrstuhl, sondern auch die Guardini-Lectures und weitere Projekte. Daran auch in Zukunft festzuhalten ist für uns als Stiftung eine Verpflichtung. III. Zweitens: Gottes Wirklichkeit konkretisiert sich für Guardini in der Person Jesu Christi. Nicht ohne Grund widmet er der zentralen Gestalt des christlichen Glaubens sein oben erwähntes „theologisches Hauptwerk“ [5] – ‚Der Herr‘. [6] Jahrzehnte später hat es ihm Papst Benedikt XVI mit seinem Alterswerk [7] gleichgetan – wohl mit derselben Motivation wie Guardini, dass mit Jesus Christus der christliche Glaube steht und fällt. Alle Religionen kämen aus der Welt, schreibt Guardini. „Christus hingegen bringt keine ‚Religion‘, sondern die Botschaft des lebendigen Gottes, die zu Allem in Unterschied und Widerspruch steht, auch zu den Religionen.“ [8] Glaube heiße nicht, in einer der verschiedenen ‚Weltreligionen‘ zu stehen, sondern den „einzig wahren Gott“ zu erkennen, den Gott gesandt habe. [9] Diese Schärfung, ja Abgrenzung, vielleicht auch Absolutierung, ist mehr denn je aktuell, gerade in der Auseinandersetzung mit dem Deismus und den Weltreligionen. IV. Drittens: Der Gebrauch von Künstlicher Intelligenz (KI) ist heute so selbstverständlich wie die Automatisierung, die Robotik und die Digitalisierung. Die Technologie der KI soll lt. einer Definition von Microsoft die menschlichen Fähigkeiten „in Sehen, Hören, Analysieren, Entscheiden und Handeln ergänzen und stärken“. [10] Schon bei der Robotik, mehr aber noch bei der KI wird stets Wert daraufgelegt, dass die Letztkontrolle und Entscheidungsgewalt beim Menschen liegen müssen. Man kann darauf nicht genug bestehen, da ernstzunehmende Wissenschaftler schon vor einem Entgleiten der KI warnen [11]. Guardini war von diesem speziellen Problem Mitte der 1920er Jahre weit entfernt. Eingedenk seiner grundsätzlichen Skepsis gegenüber dem Fortschrittsgedanken darf uns seine durchaus modern klingende Mahnung vor der Unbeherrschbarkeit von Technik zu denken geben [12]: Wohl brauche der Mensch Werkzeuge, Hilfsmittel in großer Zahl und feinster Zurichtung, schreibt er in seinen Briefen vom Comer See. „Doch sie bleiben stets Unterstützung; sie weiten nur den Wirkungs- und Aufnahmekreis der natürlichen menschlichen Organe aus; helfen ihnen, ferner und genauer zu sehen, zu hören, zu wirken, zu fassen und zu herrschen. Immer aber bleiben diese Mittel in das lebendige Spiel der menschlichen Einheit eingebaut. Immer bleibt die Grenze gewahrt, innerhalb derer noch unmittelbar-lebendige Durchfühlung möglich ist. [13]“ So könnte es, meine Damen und Herren, auch im Umgang mit Künstlicher Intelligenz gehen. V. Viertens: Weiten wir den Blick und sprechen über Europa. Was hat uns Guardini hier zu sagen – ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod? Das kann nichts Tagesaktuelles, sondern nur etwas Grundsätzliches sein, nämlich: Was macht Europa aus? Auf welchen Fundamenten baut es? Was sind seine grundlegenden Werte? Sich dessen zu versichern, wird immer wichtiger angesichts der sogenannten Systemrivalitäten – oder besser Systemfeindschaften -, derer wir uns konfrontiert sehen. Zwei Erfahrungen vor allem prägen Guardinis Europa-Verständnis: Seine Lebensgeschichte als Italiener und Deutscher, und sein persönliches Erleben von Totalitarismus und Krieg in Europa. Gerade die totalitäre Erfahrung (K. D. Bracher) ließ ihn den Wert der Freiheit umso höher erscheinen. In der Freiheit sah er „die Grundlage der ganzen Europäischen Existenz“. [14] Freiheit bedeutet für ihn – was heute vielfach in Gefahr ist -, „dass der Mensch die Möglichkeit habe, die eigene Überzeugung zu bilden, sie auszusprechen und nach ihr zu leben“. [15] So gehörte es für Guardini zum „demokratischen Prinzip“, „dem Anderen das gleiche Recht“ zuzusprechen „wie sich selbst.“ [16] Dieses „europäische Bild vom Menschen“ sah er im Wesentlichen vom Christentum bestimmt. [17] Wenn allgemein gesagt wird, Europa beruhe kulturell auf den Säulen des Judentums, des Christentums und der Aufklärung, so wird Guardini nicht müde, den Beitrag des Christentums herauszustreichen. „Die abendländische Kultur“, schreibt er, „ist (…) wesentlich aus der Wirkung hervorgegangen, welche das Christentum in den europäischen Völkern hervorgebracht hat“ [18] Für ihn würde Europa „aufhören zu sein, wenn es sich ganz von Christus löste.“ [19] Damit hebt er sich klar von Stimmen ab, die – entgegen allem geschichtlichen Befund [20][i] – das Christliche an der europäischen Kultur am liebsten verschweigen möchten. Guardini gibt uns auch hier Wegweisung. Deshalb widmen wir im September 2025 am Comer See dem Thema „Guardini, Italien und Europa“ eine eigene Herbsttagung. VI. Diese vier Aspekte im Denken Guardinis sind nur eine Auswahl. Es ließe sich weitermachen: Seine Gedanken zur Wahrheit im Verhältnis zur heutigen Cancel-Culture, oder seine sehr sensiblen Beobachtungen zur Urbanität [21] in Relation zur Städteplanung heute. Deutlich geworden ist aber sicher, dass uns Romano Guardini für die Arbeit unserer Stiftung eine Fülle an Themen hinterlassen hat. Die Stiftung befindet sich in einer Umbruchphase, verursacht vor allem durch gesunkene finanzielle Zuwendungen. Aktuell müssen wir davon ausgehen, die Guardini-Professur nicht über das akademische Jahr 2024/2025 hinaus fortsetzen zu können. Von der Guardini-Galerie haben wir uns als Mieter bereits getrennt, nicht aber als Nutzer. Trotzdem geht die Arbeit weiter. Es wird auch zukünftig die Guardini-Tage geben – so im kommenden Februar in München zeitgleich mit Guardinis 140. Geburtstag. Wir werden die Guardini Lectures fortsetzen und gemeinsam mit Kooperationspartnern Projekte im vertrauten Dreiklang Theologie – Wissenschaft – Kunst auf den Weg bringen. Wir können trotz aller Veränderungen mit Zuversicht und Gottvertrauen nach vorne blicken! Anmerkungen: [1] Ratzinger, Josef Cardinal: Von der Liturgie zur Christologie, in: ders. (Hg): Wege zur Wahrheit. Die bleibende Bedeutung von Romano Guardini, Düsseldorf 1985, S. 122. [2] Wahrheit des Denkens und Wahrheit des Tuns. Notizen und Texte 1942 – 1964, S. 98, 115, 120, zitiert nach Franz Henrich, Leben, Persönlichkeit und Charisma Romano Guardinis, in: Ratzinger, Joseph Cardinal: Wege zur Wahrheit. Die bleibende Bedeutung Romano Guardinis, Düsseldorf 1985, S. 28. [3] Guardini, Romano: Vom lebendigen Gott, Mainz 1950, S. 42 [1] [5] Gerl-Falkowitz, Hanna-Barbara: Guardinis-Christologie: Auch eine Ideologiekritik, in: Die Tagespost: http:/www.die-tagespost.de/feuilleton/Guardinis-Christologie-Auch-eine-Ideologiekritik;art310,146399. Der Beitrag unternimmt vor allem eine zeitgeschichtliche Einordnung des Werkes. [6] Guardini, Romano: Der Herr. Betrachtungen über die Person und das Leben Jesu Christi, Würzburg 1959, 11. Aufl. Zur biographischen Einordnung des Werkes siehe die instruktive Biographie von Gerl-Falkowitz, Hanna-Barbara: Romano Guardini 1885-1968. Leben und Werk, Mainz 1982, 2. erg. Aufl., S. 304-310. [7] Ratzinger, Joseph, Benedikt XVI: Jesus von Nazareth, 3 Bd.e, Freiburg 2007-2012. [8] Guardini, Der Herr, a. a. O., S. 348. Ähnlich auch in: Guardini, Romano: Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik, Mainz 1979, S. 41/42: „Die Heilbringer kommen aus dem Schoß der Welt und der Natur; Christus aus dem Dreieinigen Gott, der in keiner Weise in das Gesetz vom Wandel des Lebens und des Todes, des Lichtes und der Finsternis eingefangen ist. (…). Er kommt aus der unabhängigen, ihrer selbst mächtigen Freiheit Gottes.“ Siehe hierzu auch Maier, Hans: Romano Guardini als Interpret seiner Zeit, in: zur debatte 4/2015, S. 30. [9] Guardini, Romano: Der Herr, a. a. O., S. 348. [10] https://news.microsoft.com/de-de/einfach-erklärt-was-ist-kuenstliche-intelligenz/ [11] siehe hierzu Spiekermann, Sarah: Digitale Ethik. Eine Wertesystem für das 21. Jahrhundert, München 2019, S. 170ff. aktuell dazu auch Schießl, Johannes: Wieviel KI brauchen wir? Wieviel KI wollen wir? In: zur debatte, Jg. 54, Heft 2/2024, S. 42-45. [12] vgl. Gerl-Falkowitz, Hanna-Barbara: Anfechtung und Treue. Romano Guardinis geistige Gestalt in ihrer heutigen Bedeutung, Donauwörth, 1991 2. Aufl., S. 26: „Was (…) Guardini an Kritik der Technik, an Enthüllung von Zerstörung gewordener Gewalt durch die Möglichkeiten des Maschinenzeitalters, an Rückgewinn von Formgefühl und Lebenssicherheit leistet, was er zum Bestehen der übermäßigen Machtfülle an behutsamen und zugleich unnachgiebigen Vorschlägen aus christlicher Erhellung sagt, liest sich heute in einer Weise modern, dass seine damalige Durchbruchswirkung heute schon als in ein Denken der Allgemeinheit übergegangen bezeichnet werden kann.“ [13] Guardini, Romano: Briefe vom Comer See, Mainz 1953, 3. Aufl., 8. Brief, S. 72. [14] Guardini, Romano: „Damit Europa werde…“ Wirklichkeit und Aufgabe eines zusammenwachsenden Kontinents, Regensburg 2003, S. 78. [15] ebda. [16] a.a.O., S. 77. [17] a. a. O., S. 53. [18] a. a. O., S. 52-53. [19] a.a.O., S 55. [20] siehe hierzu Lauster, Jörg: Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums, München 2025 (2. Aufl.). [21] Guardini, Romano: Briefe vom Comer See, a.a.O., S. 14ff. |
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