Die Guardini Stiftung trauert um Erwin Sedlmayr

Die Guardini Stiftung trauert um Prof. Dr. Erwin Sedlmayr (* 26. April 1942, † 31. Januar 2022)

Die Guardini Stiftung trauert um Erwin Sedlmayr – Guardini Stiftung e.V.

Am 31. Januar 2022 verstarb der renommierte Astrophysiker Erwin Sedlmayr. Von 1986 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 2006 war er Direktor des Instituts und des Berliner Zentrums für Astronomie und Astrophysik an der TU Berlin.
Sein Wissenschaftlerleben widmete er dem Sternenstaub. Er lehrte, wie sich Gasmoleküle zu Festkörpern und schließlich zu Planeten und Sternen entwickeln, wie aus Biomolekülen nach und nach Leben im Weltall wird. Innerhalb seines Fachs gehörte er zu den Koryphäen.
 
Mit großem Engagement beteiligte Erwin Sedlmayr sich an der Arbeit der Guardini Stiftung. Seine langjährige Beziehung mit der Stiftung begann im April 1989, als er als Referent zum Triangel-Kolloquium „Entgrenzung“ im Kloster Zangberg in Niederbayern eingeladen wurde. Die Veranstalter hatten damals keine Ahnung, dass er im benachbarten Gantenham zu Hause war. Thema des Kolloquiums war die den Menschen faszinierende, aber auch quälende Verwiesenheit auf das Unendliche, seine Fähigkeit, eigene und fremde Grenzen, aber auch Überschreitungen zu reflektieren. Herr Sedlmayr sprach über die weltbildprägende Frage nach der Endlichkeit oder Unendlichkeit des Alls. Sein Vortrag begeisterte nicht nur Naturwissenschaftler, sondern auch diejenigen, die sonst nur wenige Berührungspunkte mit Physik und Astronomie hatten. 1990 wurde Erwin Sedlmayr Mitglied des Präsidiums der Guardini Stiftung, 1999 Vorsitzender des neu gegründeten Fachbeirats Transdisziplinäre Wissenschaften und schon bald wurde er zu einer der Schlüsselfiguren der Stiftung.
Mit dem Kolloquium „Licht – physikalische und metaphysische Wirklichkeit“ im Oktober 1992 auf Schloss Milkel gründete er die legendäre Reihe „Schlüsselworte der Genesis“. Bei diesem ersten Kolloquium hielt der unvergessene erste Präsident der Guardini Stiftung, Otto von Simson, einen Vortrag über die Rolle des Lichtes in der Gotik. Im Sinne Otto von Simsons hat Erwin Sedlmayr in den dreißig Jahren der Existenz der Guardini Stiftung immer wieder an die Ursprungsidee der Institution, den Dialog von Kunst, Wissenschaft und Glauben, erinnert. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Guardini Stiftung hielt er den Grundsatzvortrag „Wissenschaft – Kunst – Glaube: Verschlungene Wege zum Ganzen. Was geht das Guardini-Projekt eigentlich einen Naturwissenschaftler an?“
 
Sein Tod macht uns betroffen. Wir trauern und vermissen eine der prägenden Gestalten der Stiftung, aber auch einen geschätzten Freund und unersetzlichen Menschen. Unsere tief empfundene Anteilnahme gilt seiner Frau und Weggefährtin Karin Sedlmayr.


Persönliche Erinnerungen

„Für mich war unser Freund ganz große geistige und menschliche Substanz unserer Stiftung. Was für ein Verlust! Unvergessen sein letzter Jahrestagungsvortrag, mit dem er – wohl nicht zuletzt für sich selbst – seine Summe zog – glaubensstärkend. Unvergessen seine Ansprache auf der Terrasse der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften in Rom anlässlich unserer Privataudienz bei Benedikt XVI. Vor- und nachher ist uns die zukunftsweisende Sinnhaftigkeit der Gründungsphilosophie unserer Stiftung nicht überzeugender, nicht eindringlicher auf die Seele gebunden worden.“
Lutz von Pufendorf

„Die Nachricht, dass Erwin Sedlmayr verstorben ist, macht mich sehr traurig. Er war für mich nicht nur ein hochgeschätzter Gesprächspartner in Sachen Dialog zwischen Physik und Philosophie. Er war vor allem auch ein guter Freund. Bestens erinnere ich die stets entspannten und anregenden Gespräche mit ihm über den inneren Zusammenhang des Triangels von Wissenschaft, Kunst und Religion sowie andere Aspekte unseres menschlichen Lebens im Zeitalter der Wissenschaften. Erwin Sedlmayr war ein ebenso offener wie in sich ruhender Geist. Stets gab er den Personen in seinem Umfeld das Gefühl, individuell nicht ersetzbar und wichtig zu sein. In unseren Gesprächen durfte ich des Öfteren auch über „Zeichen“ in Alltag, Wissenschaften, Philosophie und anderen Künsten sprechen. Dies war eines unserer gemeinsamen Themen. Es ist, denke ich, in der Weise von Zeichen und Bildern, in der unsere besten und auch die verstorbenen Freunde präsent sind, da sind.“
Günter Abel

„Die Nachricht traf mich vollkommen unerwartet. Die Zahl der Mitglieder, die der Guardini Stiftung ihr Gesicht, ihr Profil in den ersten zwei Jahrzehnten gegeben haben, wird immer weniger. Und ich hatte das Glück, mit diesen außergewöhnlichen Menschen über dreißig Jahre zusammenzuarbeiten. Erwin Sedlmayr war ein besonderer Stern an diesem Guardini-Himmel. Mit ihm verbinden mich Erinnerungen an unzählige Veranstaltungen, ob in Kloster Zangberg, ob in Posen oder die letzte in der Abtei Münsterschwarzach, in der er mit Hobbyastronomen diskutierte. Am Abend saßen wir in einem Dorfzelt, es war gerade irgendeine Fußballmeisterschaft und das ganze Dorf saß vor dem Bildschirm. Erwin Sedlmayr erzählte mir, wie eine polnische Hofgehilfin ihn als kleinen Jungen vor dem Tod gerettet hatte, als er von einem Bienenschwarm überfallen worden war, während die Erwachsenen sich um die Feldarbeit gekümmert hatten. Eine besondere Beziehung zu Polen trug er immer in seinem Herzen und auch ich eine besondere zu Erwin Sedlmayr. Ich sehe ihn in seinem Garten in Zangberg, unter dem Apfelbaum, mit einer Pfeife im Mund, in den Himmel schauend. Dass er nicht mehr ist, macht mich sehr traurig.“
Mariola Lewandowska

„Was für eine traurige Nachricht! Herr Sedlmayr war für mich immer einer der Leitsterne der Guardini Stiftung, gegenüber jedem – egal ob jung oder alt, studiert oder nicht – aufgeschlossen, interessiert und neugierig. Stets interessiert am Austausch der Menschen, der Disziplinen, der Religionen. So wahnsinnig klug und doch so geerdet. Mit Zangberg verbinde ich die schönsten Erinnerungen meiner Arbeit für die Guardini Stiftung. Er war wirklich einzigartig. Sein Tod macht mich sehr traurig.“
Lydia Bauer

„Mit dem Tod von Herrn Sedlmayr wird tatsächlich eine weitere Tür zur „alten“ Stiftung und ihrer Größe unwiderruflich geschlossen. Ich erinnere mich an die beiden Male, bei denen er sich zu unserer Fachbeiratssitzung per Zoom dazugeschaltet und so eindringlich, gedankenreich und ganz persönlich eingebracht hatte. Nun ist er auch im Hintergrund nicht mehr dabei, und es liegt an uns, ihn in unserer Erinnerung weiterleben zu lassen. So viele Abschiede.“
Cathrin Nielsen

„Für mich war der Astrophysiker Erwin Sedlmayr die bewegendste Begegnung, weil er mich mit Themen konfrontierte, die mir nicht geläufig waren. Er war ein Kollege, Professor der TU Berlin wie ich, und doch hätte ich ihn wohl nie kennengelernt, wenn er nicht in der Guardini Stiftung tätig gewesen wäre. 2002 an seinem 60. Geburtstag gab es ein Festcolloquium an der Universität und eine Feier in der Guardini Stiftung. Sedlmayr erzählte, wie er zu Astrophysik gekommen war. Seine Eltern hatten in Niederbayern eine Landwirtschaft und eine Gastwirtschaft. Nach dem Abschluss der Volksschule half der Junge mit im elterlichen Betrieb. Er hatte ein Interesse für Physik, merkwürdig genug, und er bestaunte die Sterne, die damals noch zu sehen waren am dunklen Himmel. Er fuhr in die Stadt und kaufte sich ein Lehrbuch für Physik, das er immer wieder las, bis er alles verstand.
 
Dann kam der Glücksfall. Lehrer des städtischen Gymnasiums unternahmen einen Ausflug aufs Land und machten Rast in der elterlichen Gaststube. Sie unterhielten sich über ein physikalisches Problem. Der Junge hörte neugierig zu, dann holte er die Schiefertafel, auf der seine Mutter mit Strichen die Biere markierte, die getrunken wurden, drehte sie um und schrieb mit Kreide die Lösung des Problems auf die Tafel. Er zeigte sie den Lehrern; großes Erstaunen: „Der Bub muss aufs Gymnasium.“ Und so geschah es. Er hatte in Mathematik, Physik, Chemie eine 1, in Englisch eine 5. Er erhielt Nachhilfe in Englisch und schaffte das Abitur. Er studierte Astophysik, wurde Assistent in Heidelberg und bald Professor an der TU Berlin. „Er hätte den Nobelpreis verdient“, sagte unser Philosphie-Professor Hans Poser einmal zu mir.“
Aus: „Ein Rückblick auf 80 Jahre“ von Hans Dieter Zimmermann

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