Christliche Wurzeln Europas? Rom als Idee

Rom | 22. bis 31. August 2019

Als der Religionsphilosoph und Theologe Romano Guardini 1962 in Brüssel den Erasmuspreis entgegennahm, lautete der bekenntnishafte Titel seiner Festrede „Warum ich Europäer bin“. Guardini fand sich abseits nationaler Identität im geistigen Raum Europa beheimatet und schöpfte aus dieser Überzeugung Inspiration für sein Werk. Die Guardini Stiftung möchte in diesem Sinne das Bekenntnis ihres Namensgebers zum Anlass nehmen für die Ausschreibung einer Reihe von insgesamt fünf Summer Schools mit dem Thema „‘Warum ich Europäer/in bin?‘ Europa zwischen Differenz und Einheit“.

Bei den geplanten Summer Schools handelt es sich um forschungsorientierte Seminare für Postgraduierte, die von Fragen geleitet sind, die einerseits Europa als kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Raum beschreiben und andererseits – den Zielsetzungen der Guardini Stiftung entsprechend – nach dessen christlichen Wurzeln und den daraus sich ergebenden Zukunftsperspektiven fragen.

Die Summer Schools sollen an Orten stattfinden, die im Laufe der Geschichte für die Identität Europas prägend geworden sind und die von Erzählungen der Vergangenheit und Vorstellungen der Gegenwart umgeben sind, die noch aktuell in den Antworten auf die Frage, „Warum ich Europäer/in bin“ mitschwingen. Dabei soll immer die Ambivalenz der Erzählungen und Vorstellungen mit bedacht werden, denn Europa und seine Geschichten gibt es nur in einer Vielfalt von Deutungen. Die Bearbeitung der historischen Erinnerung in exemplarischen Texten soll jeweils mit einer Erschließung des jeweiligen Ortes und seiner die Vergangenheit repräsentierenden Denkmäler verbunden werden.

Die erste Summer School, die im August 2019 in Rom stattfinden soll, wird sich an einem Ort, der in verschiedenen historischen Zusammenhängen als Zentrum Europas betrachtet wurde, mit den christlichen Wurzeln des Kontinents auseinandersetzen. Das Christentum verbreitete sich in Europa durch die Christianisierung des römischen Imperiums und verband sich dabei mit der Geschichte und den Institutionen Roms und mit der Ideengeschichte der antiken Philosophie. Es wurde zum gesellschaftsprägenden Faktor und bestimmte als solcher das Mittelalter, aber auch die Neuzeit bis in die Moderne hinein. Dabei war Rom über viele Jahrhunderte der zentrale Referenzpunkt.

Als solcher wurde die Stadt auf den sieben Hügeln immer wieder zur Projektionsfläche, die einerseits, vornehmlich in katholischen Zusammenhängen, als heilige Stadt, als zweites europäisches Jerusalem gehandelt wurde, andererseits aber auch Missfallen, ja Abscheu erregte. Ein Beispiel für die Idealisierung der Stadt ist die Deutung der Kirche bei Roberto Bellarmin, der die Unterstellung unter den Bischof von Rom, den Nachfolger Petri als konstitutiv für die Zugehörigkeit zur Kirche betrachtete; ein Beispiel für die Aufnahme und Umdeutung solcher Idealisierungen ist die Haltung des Kaisertums von Konstantinopel, das sich als das „Rhomäische“, d.h. als die wahre Fortsetzung des Römischen Reiches verstand und so einerseits bleibend auf Rom bezogen war, in Rom aber andererseits einen politisch und kulturell abgesunkenen und schließlich religiös abgefallenen Ort sah. Ein anderes Beispiel ist Martin Luther, der bei seiner Romreise auf die Knie gefallen sein und ausgerufen haben soll: „Sei gegrüßt, du heiliges Rom, wahrhaftig heilig von den heiligen Märtyrern, von deren Blut es trieft“, die Stadt später aber als modernes Babylon betrachtete.

Die christliche Kirche hat sich (1) in vieler Hinsicht als Erbe und als Widerspruch zum Römischen Reich verstanden. Sie hat die Ordnung Europas bis in die Gegenwart in den Kategorien des Anspruches des Römischen Reiches verstanden (Konstantinische Schenkung); (2) oder diese Verbindung mit der Kultur der Antike und mit der Macht der Welt als Verkehrung des christlichen Glaubens gedeutet (so Teile der protestantischen Romkritik; (3) die Idee der politischen und weltanschaulichen Einheit der Menschheit mit der christlichen Kirche als Zentrum bestimmt die Arbeit mittelalterlicher Theologen, (4) das Selbstbild der Renaissance-Päpste (5) und wird andererseits zum Gegenbild zentrifugaler Kräfte (6); darin bildet sich das bis heute in Europa wirksame Gegeneinander von Einheit und Beharren auf der Differenz ab (7).

Insgesamt 24 Studierende, Doktorandinnen und Doktoranden sowie Postdocs stellen im August in Rom gemeinsam mit den betreeunden Profesoren Dorothea Wendebourg, Notger Slenczka und Ugo Perone die Frage nach den christlichen Wurzeln Europas. Lektüresitzungen werden von Impulsreferaten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Exkursionen im römischen Stadtgebiet und Vorträgen renommierter Gastreferenten ergänzt.

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